Entscheidungsstichwort (Thema)

Geltung des Vollstreckungsverbots des § 294 Abs. 1 InsO für Forderungen, die nicht zur Tabelle angemeldet wurden und nicht bei der Verteilung der eingegangenen Beträge durch den Treuhänder berücksichtigt werden können

 

Leitsatz (amtlich)

Das Vollstreckungsverbot während der Laufzeit der Abtretungserklärung gilt auch für Insolvenzgläubiger, die am Insolvenzverfahren nicht teilgenommen haben und die der Schuldner nicht in das Vermögensverzeichnis aufgenommen hat.

 

Normenkette

InsO § 294 Abs. 1, § 305 Abs. 1 Nr. 3, § 308 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Beschluss vom 23.07.2003; Aktenzeichen 2 T 185/03)

AG Sömmerda (Entscheidung vom 20.03.2003; Aktenzeichen 2 M 197/03)

 

Nachgehend

OLG Düsseldorf (Urteil vom 27.01.2010; Aktenzeichen I-15 U 195/09)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Erfurt vom 23.7.2003 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

[1]I.

Auf Antrag der Gläubigerin wurde der Schuldner mit Versäumnisurteil des LG Erfurt vom 24.2.1998 verurteilt, an den Gläubiger 16.693,60 DM nebst zuerkannter Zinsen zu zahlen. Die zu erstattenden Kosten wurden auf 2.179,80 DM nebst zuerkannter Zinsen zzgl. 958,50 DM Gerichtskosten festgesetzt.

[2]Der Schuldner hat am 14.12.2000 Eigenantrag gestellt und Restschuldbefreiung begehrt. Nachdem der Schuldenbereinigungsplan gescheitert war, hat das Insolvenzgericht das Verfahren von Amts wegen aufgenommen und am 30.7.2001 das vereinfachte Insolvenzverfahren eröffnet. Am 17.12.2001 hat es festgestellt, Restschuldbefreiung trete ein, wenn der Schuldner für den Zeitraum von 7 Jahren ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens die im Beschluss näher bezeichneten Obliegenheiten erfülle. Am 11.2.2002 hat das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren nach Schlussverteilung aufgehoben.

[3]Die Gläubigerin hat 2003 die zuständige Gerichtsvollzieherin mit der Zwangsvollstreckung aus den vorgenannten Titeln beauftragt. Unter Berufung auf § 294 Abs. 1 InsO hat die Gerichtsvollzieherin sich geweigert, diesen Auftrag auszuführen. Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Gläubigerin hat das Vollstreckungsgericht zurückgewiesen. Das LG hat die sofortige Beschwerde der Gläubigerin für sachlich unbegründet erachtet. Dagegen wendet sich die Gläubigerin mit der - zugelassenen - Rechtsbeschwerde.

[4]II.

Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

[5]1. Das Beschwerdegericht, dessen Beschluss in ZVI 2004, 549 veröffentlicht ist, hat angenommen, die Weigerung der Gerichtsvollzieherin, den Vollstreckungsauftrag nicht auszuführen, sei berechtigt gewesen. Gemäß § 294 InsO dürfe während der Laufzeit der Abtretungserklärung in das Vermögen des Schuldners zugunsten einzelner Insolvenzgläubiger, zu der die Beschwerdeführerin zu rechnen sei, nicht vollstreckt werden.

[6]2. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde Stand.

[7]a) Nach fast einhelliger Auffassung im Schrifttum fallen Vollstreckungsmaßnahmen von Insolvenzgläubigern, zu denen die Rechtsbeschwerdeführerin nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts zu rechnen ist, auch dann unter das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO, wenn sie sich auf Forderungen beziehen, die nicht zur Tabelle angemeldet wurden und nicht bei der Verteilung der eingegangenen Beträge durch den Treuhänder berücksichtigt werden (Andres/Leithaus, InsO § 294 Rz. 1; Braun/Buck, InsO 2. Aufl., § 294 Rz. 4; FK-InsO/Ahrens 4. Aufl., § 294 Rz. 6; HmbKomm-InsO/Streck, § 294 Rz. 3; HK-InsO/Landfermann 4. Aufl., § 294 Rz. 3; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 294 Rz. 2a; MünchKomm/InsO/Ehricke, § 294 Rz. 5; Nerlich/Römermann, InsO § 294 Rz. 7; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl., § 294 Rz. 5). Demgegenüber wird vereinzelt in Erwägung gezogen, Vollstreckungsmaßnahmen von Insolvenzgläubigern der hier vorliegenden Art unter analoger Anwendung von § 308 Abs. 3 Satz 1 InsO vom Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO auszunehmen (Bruckmann, Verbraucherinsolvenz in der Praxis, § 4 Rz. 90; Schmidt DGVZ 2004, 49, 50).

[8]b) Die herrschende Auffassung ist zutreffend.

[9]aa) Das gem. § 294 Abs. 1 InsO in der Wohlverhaltensperiode zum Tragen kommende Zwangsvollstreckungsverbot dient ähnlichen Zwecken wie der Ausschluss der Zwangsvollstreckung in insolvenzfreies Vermögen gem. § 89 Abs. 1 InsO. Die Norm will erreichen, dass sich in der Wohlverhaltensphase die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger untereinander nicht verschieben. Ferner soll der Neuerwerb des Schuldners, der nicht gem. § 287 Abs. 2 InsO an den Treuhänder abgetreten oder an diesen gem. § 295 InsO herauszugeben ist, dem Zugriff der Insolvenzgläubiger entzogen sein (BGHZ 163, 391, 396). Hieraus folgt, dass das Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO umfassend zu gelten hat (vgl. BGHZ 163, 391, 395).

[10]bb) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist auch für den Fall, dass der Schuldner entgegen § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO die titulierte Insolvenzforderung nicht angemeldet hat, kein Raum für eine teleologische Reduktion des Vollstreckungsverbots des § 294 Abs. 1 InsO. Die gesetzliche Regelung liefert für eine solche Auslegung keinen Ansatzpunkt. § 308 Abs. 3 InsO behandelt das rechtliche Schicksal der im Verzeichnis nicht enthaltenen Forderungen ausschließlich für den Fall, dass ein Schuldenbereinigungsplan zustande gekommen ist, also kein Insolvenzverfahren stattfindet (§ 308 Abs. 2 InsO). Aus dem Rechtsgedanken dieser Vorschrift lässt sich daher keine Vollstreckungsbefugnis der übergangenen Gläubiger während der Laufzeit des Abtretungsverbots herleiten. Eine solche Befugnis würde sie zudem ggü. den übrigen Insolvenzgläubigern in einer Weise privilegieren, die mit dem Gebot der Gläubigergleichbehandlung schlechthin unvereinbar wäre. Dieses Ergebnis bedeutet für die am Insolvenzverfahren nicht teilnehmenden Insolvenzgläubiger keine unzumutbare Schlechterstellung.

[11]Eine Schutzbedürftigkeit des am Insolvenzverfahren nicht teilnehmenden Insolvenzgläubigers ist unter den vorgenannten Umständen nicht anzuerkennen. Angesichts des Umstands, dass seit 1999 für natürliche Personen die Möglichkeit der Restschuldbefreiung gem. §§ 286 ff. InsO besteht, müssen Gläubiger seither verstärkt damit rechnen, dass auch ihr Schuldner einen Insolvenzantrag stellt. Jedenfalls für die Inhaber einer titulierten Forderung erscheint es nicht unzumutbar, die im Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 312 Abs. 1 InsO vorgesehenen Bekanntmachungen zu verfolgen.

 

Fundstellen

BGHR 2006, 1388

FamRZ 2006, 1524

WM 2006, 1780

WuB 2006, 889

ZAP 2007, 113

AnwBl 2007, 30

DZWir 2007, 28

InVo 2006, 442

MDR 2007, 362

NJ 2006, 507

NZI 2006, 602

NZI 2007, 36

NZI 2007, 39

Rpfleger 2006, 618

VuR 2006, 373

VuR 2006, 406

ZInsO 2006, 872

ZInsO 2006, 994

InsbürO 2006, 436

RENOpraxis 2007, 8

ZVI 2006, 403

ZFVo 2007, 22

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