Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsanwaltsfachangestellte. Fertigung oder Versendung fristgebundener Schriftsätze. Fehler. Organisatorische Maßnahmen. Organisationsverschulden. Stets zuverlässige Kraft. Fristverlängerung. Stichprobenkontrolle. Unverschuldete Fristversäumung. Einfache Bürotätigkeit. Versendung der Rechtsmittelbegründung per Telefax. Allgemeine Sorgfalt

 

Leitsatz (amtlich)

Sind einer Rechtsanwaltsfachangestellten in der Vergangenheit bei der Fertigung oder Versendung fristgebundener Schriftsätze Fehler unterlaufen, so muss der Rechtsanwalt durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass sich solche nicht wiederholen.

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Beschluss vom 24.11.2014; Aktenzeichen II-7 UF 197/14)

AG Ratingen (Beschluss vom 01.07.2014; Aktenzeichen 5 F 39/13)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Senats für Familiensachen des OLG Düsseldorf vom 24.11.2014 wird auf Kosten der Antragstellerin verworfen.

Wert: 3.516 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde sowie die Zurückweisung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs in einer Unterhaltssache.

Rz. 2

Der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Zahlung nachehelichen Unterhalts ist durch den ihr am 2.7.2014 zugestellten Beschluss des AG zurückgewiesen worden. Dagegen hat sie rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Der die Beschwerdebegründung enthaltende und am 2.9.2014 um 17.38 Uhr per Telefax beim OLG eingegangene Schriftsatz war nicht unterzeichnet.

Rz. 3

Nach entsprechendem Hinweis auf die Unzulässigkeit der Beschwerde hat das OLG das Wiedereinsetzungsgesuch der Antragstellerin zurückgewiesen und das Rechtsmittel verworfen. Dagegen richtet sich die von der Antragstellerin eingelegte Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig und deshalb gem. § 74 Abs. 1 Satz 2 FamFG zu verwerfen.

Rz. 5

1. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BGH v. 11.3.2015 - XII ZB 317/14, FamRZ 2015, 838 Rz. 5 m.w.N.).

Rz. 6

2. Das OLG hat die Beschwerde nach § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG als unzulässig verworfen, weil die Frist zur Beschwerdebegründung nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG nicht eingehalten worden ist, sowie das entsprechende Wiedereinsetzungsgesuch der Antragstellerin (§ 117 Abs. 5 FamFG, § 233 ZPO) zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde vermag nicht aufzuzeigen, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre (§ 574 Abs. 2 ZPO).

Rz. 7

a) Das OLG hat ausgeführt, den Verfahrensbevollmächtigten treffe ein Organisationsverschulden, das die Antragstellerin sich zurechnen lassen müsse. Die Mitarbeiterin Sch., welche statt des unterschriebenen Schriftsatzes die für die Antragstellerin vorgesehene Abschrift gefaxt habe, sei vom Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin nicht hinreichend überwacht und kontrolliert worden. Entgegen der Darstellung der Antragstellerin sei diese keine stets zuverlässige Kraft und habe daher besonders intensiver Überwachung und Kontrolle bedurft. Der Mitarbeiterin sei bereits im Jahr 2013 in einem früheren Verfahren zum Versorgungsausgleich ein Fehler unterlaufen, worauf die Antragstellerin seinerzeit ein Wiedereinsetzungsgesuch gestützt habe. Die Mitarbeiterin habe damals einen Antrag auf Fristverlängerung an das falsche Gericht adressiert und den Fehler selbst auf eine entsprechende Anweisung nicht korrigiert. Diese Unachtsamkeit habe dem Rechtsanwalt Veranlassung geben müssen, die Mitarbeiterin besonders zu überwachen und immer wieder stichprobenweise zu kontrollieren, ob Weisungen befolgt werden. Gerade dies könne dem Vorbringen der Antragstellerin aber nicht entnommen werden. Damit sei eine unverschuldete Fristversäumung nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.

Rz. 8

b) Das hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des BGH.

Rz. 9

Zwar stellt die Versendung der Rechtsmittelbegründung per Telefax eine einfache Bürotätigkeit dar, mit der jedenfalls eine voll ausgebildete und erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte beauftragt werden darf. Dies gilt indessen mit der Einschränkung, dass es sich um eine zuverlässige Kraft handeln muss und keine Umstände vorliegen dürfen, die eine besondere Kontrolle durch den Rechtsanwalt erfordern (vgl. BGH Beschl. v. 11.3.2014 - VI ZB 45/13, NJW-RR 2014, 634 Rz. 9 m.w.N.; BGH v. 22.7.2015 - XII ZB 583/14, FamRZ 2015, 1878 Rz. 18; v. 5.6.2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rz. 10).

Rz. 10

Von diesen Maßstäben ist auch das OLG ausgegangen. Dass es aufgrund eines früheren Vorfalls die Zuverlässigkeit der Angestellten Sch. verneint und insofern im Rahmen der dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin obliegenden Kanzleiorganisation zusätzliche Kontrollen für erforderlich gehalten hat, entspricht den genannten Maßstäben. Die Darlegungen der Antragstellerin zur Glaubhaftmachung einer unverschuldeten Fristversäumung hat das OLG im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung als nicht ausreichend angesehen.

Rz. 11

Die von der Rechtsbeschwerde dagegen erhobenen Rügen vermögen das Ergebnis nicht in Frage zu stellen. Dass bei dem früheren Vorfall in Wirklichkeit keine Frist versäumt worden und nur der Verfahrensbevollmächtigte davon irrtümlich ausgegangen war, ändert nichts daran, dass die Angestellte sich bei der Adressierung und Versendung des damaligen - als fristgebunden angesehenen - Schriftsatzes als unzuverlässig erwiesen hat. Dass regelmäßig die allgemeine Anweisung des Rechtsanwalts ausreicht, sämtliche ausgehenden Schriftsätze auf das Vorhandensein der Unterschrift und bei Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, gibt lediglich den für zuverlässige Büroangestellte geltenden Grundsatz wieder. Demgegenüber ist das OLG im vorliegenden Fall in nicht zu beanstandender Weise von dem Sonderfall ausgegangen, dass sich eine Büroangestellte als unzuverlässig erwiesen hatte und demzufolge trotz ihrer Berufserfahrung zunächst besondere Kontrollen veranlasst waren. Da solche Kontrollen, die in Reaktion auf den damaligen Fehler erfolgt wären, nicht dargelegt sind, kann es auch dahinstehen, in welcher Form und für welche Dauer diese veranlasst waren. In zeitlicher Hinsicht ist ein hinreichender Bezug zum hier in Rede stehenden Fehler gegeben, zumal sich der vorangegangene Vorfall noch im Vorjahr ereignet hatte.

Rz. 12

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde handelt es sich bei dem der Angestellten früher unterlaufenen Fehler auch nicht um einen einmaligen Fehler in einem anders gelagerten Fall. Vielmehr betreffen beide Fehler die allgemeine Sorgfalt im Zusammenhang mit der Anfertigung und Absendung - tatsächlich oder auch nur vermeintlich - fristwahrender Schriftsätze. Dass sich der erste Fehler nicht auswirkte, ist unerheblich, da für den Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen der ihm obliegenden Kanzleiorganisation auch ohne eingetretenen Nachteil ein besonderer Bedarf für Kontrollen erkennbar geworden war. Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, dass das OLG die Ursächlichkeit des Organisationsverschuldens als nicht ausgeräumt angesehen hat (vgl. BGH Beschl. v. 5.9.2012 - VII ZB 25/12, NJW 2012, 3516 Rz. 12 m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 9045079

NJW 2016, 6

FamRZ 2016, 623

FuR 2016, 287

NJW-RR 2016, 312

FA 2016, 91

IBR 2016, 250

JZ 2016, 210

MDR 2016, 344

FF 2016, 174

FamRB 2016, 192

Mitt. 2017, 45

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