Leitsatz (amtlich)

Ob die in § 72 Abs. 2 GVG für die Berufung in Wohnungseigentumssachen vorgesehene Zuständigkeitskonzentration eintritt, richtet sich allein danach, ob es sich um eine Streitigkeit i.S.v. § 43 Nr. 1 bis 4 oder Nr. 6 WEG handelt; dagegen ist es unerheblich, wenn in erster Instanz nicht der nach dem Geschäftsverteilungsplan für diese Streitigkeiten zuständige Amtsrichter entschieden hat.

 

Normenkette

GVG § 72 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Potsdam (Beschluss vom 20.02.2015; Aktenzeichen 1 S 33/14)

LG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 26.01.2015; Aktenzeichen 16 S 227/14)

AG Potsdam (Urteil vom 15.07.2014; Aktenzeichen 22 C 87/13)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerden gegen die Beschlüsse der 1. Zivilkammer des LG Potsdam vom 20.2.2015 und der 6. Zivilkammer des LG Frankfurt/O. vom 26.1.2015 werden auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt einheitlich 5.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Parteien sind Mitglieder derselben Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger macht gegen die Beklagten einen Unterlassungsanspruch geltend, der sich auf die Art und Weise der Parkplatznutzung bezieht. Das AG Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 15.7.2014 abgewiesen. Die darin enthaltene Rechtsmittelbelehrung bezeichnet das LG Frankfurt/O. als zuständiges Berufungsgericht. Das Urteil ist dem Kläger am 21.7.2014 zugestellt worden.

Rz. 2

Mit einem am 8.8.2014 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger bei dem LG Potsdam Berufung eingelegt und mitgeteilt, dass er von dessen Zuständigkeit ausgehe; es handele sich um eine allgemeine Zivilsache, weil in erster Instanz nicht die Abteilung für Wohnungseigentumssachen, sondern das Prozessgericht tätig geworden sei. Zugleich bat er darum, vorab über die Zuständigkeit zu entscheiden, den Rechtsstreit ggf. an das für Wohnungseigentumssachen zuständige LG Frankfurt/O. zu verweisen oder einen rechtzeitigen richterlichen Hinweis zu erteilen.

Rz. 3

Mit Beschluss vom 13.10.2014 hat das LG Potsdam auf seine Unzuständigkeit hingewiesen und die Verwerfung der Berufung als unzulässig angekündigt. Daraufhin hat der Kläger am 29.10.2014 bei dem LG Frankfurt/O. Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Beschluss vom 26.1.2015 hat das LG Frankfurt/O. die Berufung als unzulässig verworfen. Das LG Potsdam hat die Berufung seinerseits mit Beschluss vom 20.2.2015 mangels Zuständigkeit als unzulässig verworfen. Mit den gegen beide Beschlüsse gerichteten Rechtsbeschwerden möchte der Kläger eine Sachentscheidung über seine Berufung erreichen.

II.

Rz. 4

Das LG Potsdam stützt die Verwerfung der Berufung darauf, dass es nicht zuständig sei. Das Rechtsmittel beziehe sich auf eine Wohnungseigentumssache i.S.v. § 43 Nr. 1 WEG. Zuständiges Berufungsgericht sei daher das LG Frankfurt/O.. Es sei unerheblich, dass in erster Instanz nicht der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Wohnungseigentumssachen zuständige Amtsrichter entschieden habe.

Rz. 5

Das LG Frankfurt/O. hält sich aus denselben Gründen für zuständig. Die Berufungsfrist sei jedoch nicht gewahrt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei dem Kläger nicht zu gewähren, weil sein Prozessbevollmächtigter die Versäumung der Frist verschuldet habe. Die Zuständigkeitsregelung des § 72 Abs. 2 GVG sei eindeutig und die Rechtsbehelfsbelehrung richtig gewesen. Durch die Bitte um einen richterlichen Hinweis könne sich der Anwalt nicht seiner eigenen Verantwortung entledigen. Das LG Potsdam sei zu einer Weiterleitung innerhalb der Berufungsfrist nicht verpflichtet gewesen. Es habe seine Unzuständigkeit nicht ohne eingehende Rechtsprüfung erkennen können.

III.

Rz. 6

Die verbundenen, gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaften Rechtsmittel des Klägers sind unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Weder ist eine grundsätzliche Bedeutung anzunehmen noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 20.1.2011 - V ZB 193/10, NZM 2011, 488 Rz. 7 m.w.N.). Zwar durfte das LG Potsdam die Berufung nicht - wie geschehen - vor einer rechtskräftigen Entscheidung über das bei dem LG Frankfurt/O. eingelegte Rechtsmittel verwerfen, sondern musste den Ausgang des Rechtsbeschwerdeverfahrens abwarten; auch wenn die unterliegende Partei mehrmals und bei verschiedenen Gerichten Berufung einlegt, handelt es sich um ein einheitliches Rechtsmittel, das nur verworfen werden darf, wenn keine der Einlegungen erfolgreich war (vgl. zum Ganzen BGH, Beschl. v. 11.6.2015 - V ZB 34/13, NJW 2015, 3171 Rz. 9 ff. m.w.N.). Dieser Verfahrensfehler hat sich jedoch nicht ausgewirkt, weil die Berufung insgesamt unzulässig war.

Rz. 7

1. Rechtsfehlerfrei verneint das rechtzeitig angerufene LG Potsdam seine Zuständigkeit.

Rz. 8

a) Zuständig für die Entscheidung über die Berufung ist gem. § 72 Abs. 2 GVG i.V.m. § 3 der brandenburgischen Gerichtszuständigkeitsverordnung (GVBl. II Nr. 62) das erst nach Ablauf der Berufungsfrist angerufene LG Frankfurt/O., weil der Streit der Parteien eine Wohnungseigentumssache i.S.v. § 43 Nr. 1 WEG ist.

Rz. 9

aa) Zu den Wohnungseigentumssachen gehören gem. § 43 Nr. 1 WEG Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander. Hier streiten die Parteien ausschließlich um die Nutzung des Gemeinschaftseigentums; der Kläger macht geltend, dass die Beklagten teilweise im Bereich des Gemeinschaftseigentums parkten. Ohne Erfolg verweist die Rechtsbeschwerde darauf, dass die Parteien auch über den Umfang des Sondereigentums und damit über die sachenrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft stritten. Hierfür wären zwar die allgemeinen Zivilgerichte zuständig (vgl. BGH, Beschluss vom 11.6.2015 - V ZB 34/13, NJW 2015, 3171 Rz. 8 m.w.N.). Ein solcher Verfahrensgegenstand ergibt sich aus dem Urteil des AG aber schon deshalb nicht, weil darin mit Tatbestandswirkung (§ 314 ZPO) festgestellt wird, dass die Beklagten unstreitig das Gemeinschaftseigentum zum Parken in Anspruch nehmen und insoweit Unterlassung verlangt wird. Nichts anderes folgt daraus, dass die Beklagten, die ihr Teileigentum von dem Kläger erworben haben, aus dem Kaufvertrag Ansprüche auf Einräumung von Sondereigentum an der Parkfläche in größerem Umfang ableiten. Solche schuldrechtlichen Ansprüche sind nämlich weder Streitgegenstand noch betreffen sie die sachenrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft.

Rz. 10

bb) Ob die in § 72 Abs. 2 GVG für die Berufung in Wohnungseigentumssachen vorgesehene Zuständigkeitskonzentration eintritt, richtet sich allein danach, ob es sich um eine Streitigkeit i.S.v. § 43 Nr. 1 bis 4 oder Nr. 6 WEG handelt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10.12.2009 - V ZB 67/09, NJW 2010, 1818 Rz. 7); dagegen ist es unerheblich, wenn - wie hier - in erster Instanz nicht der nach dem Geschäftsverteilungsplan für diese Streitigkeiten zuständige Amtsrichter entschieden hat. Rechtstechnisch bezieht sich die Zuständigkeitsregelung nicht auf das erstinstanzlich entscheidende Gericht, anders als die in § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG enthaltene Zuständigkeitsregelung für die gegen die Entscheidungen der FamG gerichteten Rechtsmittel (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 7.12.1994 - XII ZB 202/94, NJW-RR 1995, 380, 381). Ohnehin sieht das Gerichtsverfassungsgesetz die Bildung von gesonderten Abteilungen wie für Familien- und Betreuungssachen (§§ 23b, 23c GVG) für Wohnungseigentumssachen nicht vor (vgl. zum Ganzen auch LG Duisburg, NZM 2014, 834, 835).

Rz. 11

2. Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass das LG Potsdam dem Antrag des Klägers auf Verweisung des Rechtsstreits an das LG Frankfurt/O. in analoger Anwendung von § 281 ZPO nicht entsprochen hat.

Rz. 12

a) Die Voraussetzungen für eine solche Verweisung sind nur dann gegeben, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne der genannten Regelungen vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann. Nur in diesen Fällen hat es der Senat für geboten erachtet, dass das zuerst angerufene Gericht das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an das eigentlich zuständige Berufungsgericht verweist (vgl. BGH, Beschl. v. 10.12.2009 - V ZB 67/09, NJW 2010, 1818 Rz. 11).

Rz. 13

b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Wie ausgeführt, ist es für die Zuständigkeit des Berufungsgerichts gem. § 72 Abs. 2 GVG unerheblich, ob in erster Instanz der nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Amtsrichter entschieden hat. Der Kläger kann seine gegenteilige Rechtsauffassung weder auf Rechtsprechung noch auf Literatur stützen.

Rz. 14

3. Schließlich hält auch die Entscheidung des LG Frankfurt (Oder) rechtlicher Nachprüfung stand, mit der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden ist. Da die Rechtslage eindeutig und die erteilte Rechtsmittelbelehrung richtig war, beruht die Versäumung der Berufungsfrist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers (§ 85 Abs. 2 ZPO). Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme, die Ursächlichkeit der schuldhaften Fristversäumnis sei nicht im Hinblick auf das Verhalten des Vorsitzenden der Zivilkammer des zunächst angerufenen LG Potsdam entfallen.

Rz. 15

a) Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BGH, dass keine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Rechtsmittelgerichts besteht, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, kann sich nicht nur an dem Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten muss die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts "ohne Weiteres" bzw. "leicht und einwandfrei" zu erkennen war und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht. In diesen Fällen stellt es für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts keine nennenswerte Belastung dar, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiter zu leiten (vgl. zum Ganzen BGH, Beschl. v. 24.6.2010 - V ZB 170/09, WuM 2010, 592 Rz. 7 f.; Beschl. v. 14.7.2011 - V ZB 67/11, NJW 2011, 3306 Rz. 11, jeweils m.w.N.).

Rz. 16

b) Ein solcher Fall liegt nicht vor. Da die Art der Streitigkeit maßgeblich ist, war die Unzuständigkeit des LG Potsdam bei Eingang der Berufungsschrift - anders als bei der Einreichung einer Berufung bei einem örtlich offensichtlich unzuständigen Gericht (dazu BGH, Beschl. v. 20.4.2011 - VII ZB 78/09, NJW 2011, 2053 Rz. 11 ff.) - nicht leicht und einwandfrei erkennbar. Nach Eingang der Akten wäre dies nur bei einer genaueren Prüfung durch den Berichterstatter erkennbar gewesen; dieser hatte jedoch keine Veranlassung, sich vor Eingang der Rechtsmittelbegründung in die Sache einzulesen. Andernfalls würde eine richterliche Einarbeitung in einem Verfahrensstadium verlangt, in dem noch nicht sicher ist, ob das Rechtsmittel durchgeführt werden wird und worin die Rechtsmittelangriffe bestehen sollen (näher BGH, Beschl. v. 14.7.2011 - V ZB 67/11, NJW 2011, 3306 Rz. 12).

Rz. 17

c) Aus denselben Gründen war der Vorsitzende - anders als die Rechtsbeschwerde meint - nicht gehalten, darauf hinzuweisen, dass die Zuständigkeitsprüfung nicht innerhalb der laufenden Berufungsfrist erfolgen werde. Insoweit verlangt der Kläger schon keinen Hinweis i.S.v. § 139 ZPO, sondern eine tatsächliche und zudem fristgebundene Information.

IV.

Rz. 18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 8975968

BauR 2016, 723

NJW-RR 2016, 255

NZM 2016, 168

ZAP 2016, 160

ZMR 2016, 11

ZMR 2016, 247

ZfIR 2016, 117

JZ 2016, 108

MDR 2016, 205

WuM 2016, 122

MietRB 2016, 42

NJW-Spezial 2016, 193

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