Leitsatz (amtlich)

Durch die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle kann der Gläubiger den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850 f Abs. 2 ZPO führen, wenn sich daraus ergibt, dass eine solche Forderung zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist (Anschluss an BGH, Beschl. v. 4.9.2019 - VII ZB 91/17 NJW 2019, 3237).

 

Normenkette

ZPO § 850 f Abs. 2; InsO § 174 Abs. 2, § 175 Abs. 2, §§ 201, 302 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Hildesheim (Beschluss vom 12.09.2019; Aktenzeichen 1 T 42/19)

AG Hildesheim (Beschluss vom 02.07.2019; Aktenzeichen 23a M 716/19)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der Zivilkammer 1 des LG Hildesheim vom 12.9.2019 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des AG - Vollstreckungsgericht - Hildesheim vom 2.7.2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Änderung des unpfändbaren Betrags gemäß § 850 f Abs. 2 ZPO, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das AG - Vollstreckungsgericht - Hildesheim zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Gläubiger hat bei dem AG - Vollstreckungsgericht - Hildesheim den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem angebliche Forderungen des Schuldners gegen dessen Arbeitgeber gepfändet werden sollen, unter Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze gemäß § 850 f Abs. 2 ZPO beantragt.

Rz. 2

Zum Nachweis dafür, dass bezüglich der Hauptforderung die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben werde, hat der Gläubiger einen vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle betreffend das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners vor dem AG - Insolvenzgericht - Hildesheim zu dem Aktenzeichen 53 IK 168/13 vorgelegt. Darin heißt es zum Grund der Forderung:

"Forderung aus Schadenersatz [sic] aus Verkehrsunfall gem. Rechnungs-Nr.: R/S/KU/208.925v. 28.06.2012 sowie It. Schreiben vom 04.10.2012 - Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung".

Rz. 3

Ferner ist unter "Berichtigungen/Bemerkungen" festgehalten:

"Angemeldet aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Der Tatsache, dass der Forderung eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zu Grunde liegt, wurde nicht widersprochen."

Rz. 4

Mit Beschluss vom 2.7.2019 hat das AG - Vollstreckungsgericht - Hildesheim den "Antrag des Gläubigers vom 08.04.2019 auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nach § 850 f Abs. 2 ZPO" insgesamt zurückgewiesen.

Rz. 5

Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde des Gläubigers ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich der Gläubiger mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 6

Die gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse und zur Zurückverweisung der Sache an das AG. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann der Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Änderung des unpfändbaren Betrags gem. § 850 f Abs. 2 ZPO nicht abgelehnt werden.

Rz. 7

1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in ZVI 2019, 458 veröffentlicht ist, hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der vorgelegte Auszug aus der Insolvenztabelle genüge für den Nachweis, dass der Gläubiger wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung die Zwangsvollstreckung betreibe, nicht. Der BGH habe bereits entschieden, dass ein solcher Nachweis durch die Vorlage eines Vollstreckungsbescheids nicht erbracht werden könne (BGH, Beschl. v. 5.4.2005 - VII ZB 17/05 NJW 2005, 1663, juris Rz. 10).

Rz. 8

Dementsprechend scheide auch der Nachweis durch einen vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle aus. Auch im Rahmen der Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle finde eine richterliche Schlüssigkeitsprüfung oder gar eine materiell-rechtliche Prüfung der angemeldeten Forderung und damit des Schuldgrunds der angemeldeten Forderung nicht statt.

Rz. 9

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Rz. 10

a) Wie der BGH bereits - kurz vor Erlass des angefochtenen Beschlusses des Beschwerdegerichts - mit Beschl. v. 4.9.2019 - VII ZB 91/17 Rz. 6 ff., NJW 2019, 3237, entschieden hat, kann der Gläubiger durch die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850 f Abs. 2 ZPO führen, wenn sich daraus ergibt, dass eine solche Forderung zur Insolvenztabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist. An dieser Rechtsprechung hält der BGH aus den in dem genannten Beschluss aufgeführten Gründen fest.

Rz. 11

b) Ein solcher Fall liegt hier nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen vor.

Rz. 12

3. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts nicht bestehen bleiben. Er ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Er macht entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch, zugleich auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das AG zurückzuverweisen, das über den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Änderung des unpfändbaren Betrags gem. § 850 f Abs. 2 ZPO neu zu befinden haben wird, §§ 577 Abs. 4 Satz 1, 572 Abs. 3 ZPO.

 

Fundstellen

NJW 2020, 9

BauR 2020, 1201

JurBüro 2020, 384

NZG 2020, 639

WM 2020, 750

ZAP 2020, 527

ZIP 2020, 826

MDR 2020, 630

NZI 2020, 152

NZI 2020, 177

NZI 2020, 181

NZI 2020, 438

NZI 2020, 7

ZInsO 2020, 892

InsbürO 2020, 267

InsbürO 2021, 108

InsbürO 2021, 14

RENOpraxis 2020, 140

RENOpraxis 2020, 213

ZVI 2020, 176

VIA 2020, 51

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