Leitsatz (amtlich)

Ein Vollstreckungstitel ist regelmäßig als hinreichend bestimmt anzusehen, wenn er eine Wertsicherungsklausel enthält, die einen vom Statistischen Bundesamt erstellten Preisindex für die Lebenshaltungskosten in Bezug nimmt.

 

Normenkette

ZPO §§ 291, 794

 

Verfahrensgang

LG Mönchengladbach (Beschluss vom 12.03.2004; Aktenzeichen 5 T 17/04)

AG Mönchengladbach

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Mönchengladbach v. 12.3.2004 wird auf Kosten des Drittschuldners zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 30.452,69 EUR.

 

Gründe

I.

Die Gläubigerin betreibt aus einem notariellen Vertrag v. 29.8.1974 die Zwangsvollstreckung wegen der Zahlung einer lebenslangen monatlichen Rente von 665,09 EUR einschließlich des seit Januar 2003 aufgelaufenen Rückstandes. Mit diesem Vertrag veräußerte die Gläubigerin dem Schuldner ein Kraftfahrzeug und die dazugehörige Kraftdroschkengenehmigung. Der Schuldner verpflichtete sich neben der Entrichtung eines Barbetrages zur Zahlung einer lebenslänglichen monatlichen Rente i.H.v. 600 DM. Zur jeweiligen Höhe dieser Rentenzahlung wurde in der Titelurkunde bestimmt:

"Die zu zahlende Unterhaltsrente soll in ihrer Höhe abhängig sein von der Entwicklung des vom statistischen Bundesamts festgestellten Preisindex für die Lebenshaltungskosten aller privaten Haushalte, der ausgehend von der Basis 1970 = 100 im Juni 1974 127 betrug.

Sollte sich der für den Monat August 1974 ermittelte Index erhöhen oder verringern, so soll sich auch die zu zahlende Rente im gleichen Verhältnis erhöhen oder vermindern. Eine Veränderung der Rente kommt jedoch erst dann in Betracht, wenn eine Veränderung des Indexes zu einer Veränderung der zuletzt geschuldeten Rente um 10 oder mehr % führen würde.

Die veränderte Rente ist sodann von dem auf das Eintreten der Voraussetzung folgenden Monatsersten an zu zahlen."

Der Schuldner verpflichtete sich außerdem, bei der Weitergabe der Kraftdroschkengenehmigung an einen Dritten, diesem die durch den notariellen Vertrag übernommene Verpflichtung aufzuerlegen und dafür Sorge zu tragen, dass auch alle späteren Erwerber der Genehmigung diese Verpflichtung übernehmen. Nach Maßgabe dieser Vereinbarungen gab der Schuldner die Genehmigung an einen weiteren Taxiunternehmer und dieser im Jahre 1989 an den Drittschuldner weiter. Die Erwerber zahlten jeweils die Rente an den Schuldner, der die Zahlungen an die Gläubigerin weiterleitete. Der Drittschuldner zahlte seit 1989 zunächst den seinerzeit entsprechend dem Lebenshaltungsindex angepassten Rentenbetrag von monatlich 448,81 EUR an den Schuldner, reduzierte jedoch seine Zahlungen ab Januar 2003 auf monatlich 200 EUR.

Gegen den vom AG erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, mit dem die Gläubigerin die Ansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner und dessen Ansprüche auf Rückübertragung der Kraftdroschkengenehmigung pfändete, machte der Drittschuldner in seiner Erinnerung geltend, für die Erhöhung der monatlichen Unterhaltsleistung anhand des Preisindexes liege kein vollstreckungsfähiger Titel vor. Das LG wies die sofortige Beschwerde des Drittschuldners zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zur Frage der Zulässigkeit wertgesicherter Klauseln in vollstreckbaren Urkunden zu. Der Drittschuldner verfolgt die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses weiter.

II.

Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die notarielle Urkunde v. 29.8.1974 habe einen ausreichend bestimmten und damit vollstreckungsfähigen Inhalt. Dies gelte auch insoweit, als sich die monatlich zu zahlende Unterhaltsrente entsprechend dem Lebenshaltungsindex aller privaten Haushalte erhöhe. Nach der von der der Gläubigerin vorgetragenen Berechnung, der der Drittschuldner nicht entgegengetreten sei, betrage die monatlich zu zahlende Rente seit Januar 2002 655,09 EUR.

2. Die Rechtsbeschwerde vertritt die Auffassung, die Vollstreckungsklausel erfülle nicht die Anforderungen an die Bestimmtheit von Vollstreckungstiteln, nach denen sich die Höhe des beizutreibenden Betrages "ohne weiteres" aus dem Titel ergeben müsse. Bereits der mathematisch korrekte Lösungsweg zur Berechnung des geschuldeten Betrages sei nicht ohne weiteres ersichtlich. Dies ergebe sich schon daraus, dass es erforderlich sei, umfangreiche Rückrechnungen seit dem vereinbarten Anfangstermin August 1974 vorzunehmen und Monat für Monat auf Schwankungen von zehn % und mehr zu untersuchen. Das LG sei von einem unmittelbar proportionalen Verhältnis der geschuldeten Rente zum Index ausgegangen und habe demnach seiner Entscheidung eine falsche Berechnung zu Grunde gelegt.

3. Dem hält die Rechtsbeschwerdeerwiderung entgegen, die Höhe des beizutreibenden Betrages sei richtig berechnet. Mit ihren hierzu erhobenen Rügen begebe sich die Rechtsbeschwerde auf dem Tatrichter vorbehaltenes und ihr deshalb verschlossenes Gebiet. Die Gläubigerin habe die Berechnung der geschuldeten Unterhaltsrente vorgetragen. Die übrigen Verfahrensbeteiligen seien dieser Berechnung nicht entgegengetreten. Deshalb habe das Beschwerdegericht die dieser Berechnung zu Grunde liegenden Daten seiner Entscheidung zu Grunde legen dürfen.

4. Das Beschwerdegericht hat richtig entschieden. Die notarielle Urkunde v. 29.8.1974 wird den Anforderungen an die Bestimmtheit von Vollstreckungstiteln gerecht, nach denen sich die Höhe des beizutreibenden Betrages "ohne weiteres" aus dem Titel ergeben muss.

a) Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine auf Zahlung gerichtete notarielle Urkunde vollstreckbar, wenn darin der geschuldete Geldbetrag bestimmt angegeben ist oder sich jedenfalls aus für die Vollstreckungsorgane allgemein zugänglichen Quellen bestimmen lässt (BGH, Urt. v. 15.12.2003 - II ZR 358/01, MDR 2004, 658 = BGHReport 2004, 553 = WM 2004, 329 [330]; Urt. v. 10.12.2003 - XII ZR 155/01, BGHReport 2004, 589 = MDR 2004, 688 = FamRZ 2004, 531; Urt. v. 15.12.1994 - IX ZR 255/93, MDR 1995, 520 = NJW 1995, 1162). Es genügt, wenn die Berechnung mithilfe offenkundiger, insb. aus dem Bundesgesetzblatt oder dem Grundbuch ersichtlicher Umstände möglich ist (BGHZ 22, 54 [58]; BGH, Urt. v. 23.10.1980 - III ZR 62/79, WM 1981, 189 [191]). Dies gilt auch für eine Vollstreckungsklausel, bei der sich der geschuldete Betrag aus der Anwendung einer Wertsicherungsklausel ergibt, die auf den vom Statistischen Bundesamt ermittelten Preisindex für die Lebenshaltungskosten abstellt (BGH, Urt. v. 10.12.2003 - XII ZR 155/01, BGHReport 2004, 589 = MDR 2004, 688 = FamRZ 2004, 531; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 794 Rz. 26b; Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 704 Rz. 7; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., vor § 704 Rz. 153; Krüger in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 704 Rz. 9, m.w.N.). Denn diese Indizes werden veröffentlicht im Bundesanzeiger, im Statistischen Jb., in den Monats- und Jahresberichten des Statistischen Bundesamtes Fachserie 17, Reihe 7 und können erfragt werden über die Homepage des Statistischen Bundesamtes unter www.destatis.de. Sie sind damit offenkundig i.S.v. § 291 ZPO (BGH, Urt. v. 24.4.1992 - V ZR 52/91, MDR 1992, 872 = NJW 1992, 2088). Mit ihrer Hilfe lässt sich der jeweils geschuldete Betrag zuverlässig errechnen.

b) Das Beschwerdegericht hat auch die Höhe des beizutreibenden Betrages zum Zeitpunkt der Antragstellung von nunmehr monatlich 655,09 EUR "ohne weiteres" nachvollzogen. Es hat entsprechend dem Vortrag der Gläubigerin die Umrechnung des nach dem notariellen Vertrag v. 29.8.1974 geschuldeten Betrags von 600 DM auf den von der Gläubigerin für die Umrechnung als maßgeblich angesehenen Monat Januar 2002 vorgenommen. Daher hat es die für diesen Zeitraum veröffentlichten und jedermann zugänglichen Indizes zu Grunde gelegt und anhand des - inzwischen weggefallenen - Preisindex aller privaten Haushalte der Basis 1995 = 100 % sowohl für den August 1974 (Index: 51,7) als auch für den Januar 2002 (Index: 110,4) auf den Betrag von 1.281,24 DM = 655,09 EUR umgerechnet. Das Beschwerdegericht durfte diesen errechneten Betrag auch als ab Antragstellung geschuldete monatliche Rente ansehen, weil die Berechnung ergeben hat, dass sich der Index entsprechend der Bedingung im notariellen Vertrag v. 29.8.1974 in dem Zeitraum von 1995 bis Januar 2002 um mehr als zehn % verändert hat. Demgegenüber zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf, inwieweit diese Berechnung fehlerhaft ist oder eine andere Berechnungsform ein dem Drittschuldner günstigeres Ergebnis erbracht hätte.

 

Fundstellen

BGHR 2005, 541

EBE/BGH 2005, 2

FamRZ 2005, 437

NJW-RR 2005, 366

DNotI-Report 2005, 54

MittBayNot 2005, 329

WM 2005, 246

ZAP 2005, 386

DNotZ 2005, 285

InVo 2005, 192

MDR 2005, 534

RENOpraxis 2005, 75

VE 2005, 100

ZVI 2005, 73

ProzRB 2005, 122

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