Leitsatz (amtlich)

›a) Verwendet ein Rechtsanwalt einen von einer Fachfirma erstellten EDV-gestützten Fristenkalender, ist es nicht erforderlich, daß er als Vorsorge für etwaige Störungen des EDV-gestützten Fristenkalenders zusätzlich einen schriftlichen Fristenkalender führt.

b) Ein Rechtsanwalt genügt den Anforderungen an eine hinreichende Büroorganisation für Störfalle des EDV-gestützten Fristenkalenders nur, wenn gewährleistet ist, daß die Servicefirma die Reparatur im Störfall unverzüglich durchführt oder den Versuch unternimmt, vor einer Reparatur dafür zu sorgen, daß die gespeicherten Fristen ausgegeben werden.‹

 

Verfahrensgang

OLG München

LG Landshut

 

Gründe

I. 1. Die Kläger verlangen von dem Beklagten Restwerklohn für Putzarbeiten in Höhe von 23.428,75 DM nebst Zinsen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten am 18. Mai 1995 zugestellt worden.

2. Mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 3. Juli 1995, bei Gericht eingegangen am 5. Juli 1995, hat der Beklagte gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt und zugleich wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Wiedereinsetzungsgesuch hat er wie folgt begründet:

Die Berufungsfrist sei aufgrund einer Störung des EDV-gestützten Fristenkalenders seines Prozeßbevollmächtigten versäumt worden. Die Fristen würden in dem Büro seines Prozeßbevollmächtigten jeweils auf Anweisung eines geschulten Gehilfen in einen EDV-gestützten Fristenkalender eingegeben. Nach der Eingabe werde ein Protokoll ausgedruckt, aus dem ersichtlich sei, ob die Eingabe von dem Programm des Fristenkalenders ausgeführt worden sei. Die Frist für die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts in dieser Sache sei am Tage der Zustellung des Urteils am 18. Mai 1995 eingegeben worden, das Protokoll habe keinen Ausführungsfehler angezeigt.

Am 13. Juni 1995 habe die Kanzleikraft K. festgestellt, daß ordnungsgemäß eingegebene Fristen, die zuvor am Bildschirm angezeigt worden seien, nicht mehr angezeigt werden. Sie habe daraufhin bei der Firma A., die das Fristenprogramm erstellt und geliefert habe, angerufen und die Störung mitgeteilt. Auf telefonische Anweisung eines Mitarbeiters der Firma habe sie Änderungen am Server eingegeben, allerdings ohne Erfolg. Auf die telefonische Mitteilung, daß die Änderungen erfolglos geblieben seien, sei sie von der Firma aufgefordert worden, das Logbuch, eine Kassette und Angaben zum Server zu übersenden. Auf ihre Nachfrage am Freitag, den 16. Juni 1995, habe eine Mitarbeiterin der Firma ihr mitgeteilt, daß die übersandten Daten an die Programmierabteilung abgegeben worden seien und daß eine Reparatur erst nach Rückgabe der Daten aus der Programmierabteilung möglich sei.

Am 26. Juni 1995 sei anläßlich einer Buchung, die die Akte des Rechtsstreits betroffen habe, festgestellt worden, daß die am 19. Juni 1995 abgelaufene Berufungsfrist versäumt worden sei.

3. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten durch Beschluß vom 22. September 1995 als unzulässig verworfen und dem Beklagten die Wiedereinsetzung mit folgender Begründung versagt:

Es genüge nicht, bei einer Störung des EDV-gestützten Fristenkalenders die Servicefirma anzurufen und auf die Zusage der Firma zu vertrauen, die Störung werde beseitigt. Die telefonischen Nachfragen bei der Servicefirma über einen Zeitraum von einer Woche sei nicht ausreichend, es wäre vielmehr erforderlich gewesen, die Handakten auf ablaufende Notfristen durchzusehen, nachdem feststand, daß die in den Fristenlisten des Computers eingetragenen Fristen nicht angezeigt wurden. Der Prozeßbevollmächtigte hätte dafür sorgen müssen, daß anhand von Stichproben überprüft werde, ob durch die Defekte keine Fristen verloren gegangen waren. Angesichts dieser Umstande könne es dahinstehen, ob es nicht erforderlich sei, neben einem EDV-Fristenkalender zur Kontrolle einen schriftlichen Fristenkalender zusätzlich zu führen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner sofortigen Beschwerde.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig, es hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der Beklagte hat mit dem zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuch geschilderten Sachverhalt, den er in der Beschwerdeinstanz ergänzt hat, nicht dargetan, daß sein Prozeßbevollmächtigter ohne Verschulden daran gehindert gewesen ist, die Berufungsfrist einzuhalten. Nach § 236 Abs. 2 ZPO muß die Partei, die Wiedereinsetzung beantragt, alle Tatsachen darlegen und glaubhaft machen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen. Läßt sich aufgrund des dargelegten Sachverhalts nicht ausschließen, daß die Fristversäumung auf einem Verschulden des Prozeßbevollmächtigten beruht, das der von ihm vertretenen Prozeßpartei zuzurechnen ist, ist der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet (BGH, Beschluß vom 26. September 1994 - II ZB 9/94 = NJW 1994, 3171, 3172). Der Umstand, daß der Prozeßbevollmächtigte neben dem EDV-gestützten Kalender keinen schriftlichen Kalender geführt hat, begründet kein vorwerfbares Organisationsverschulden (1). Das Wiedereinsetzungsgesuch hat deshalb keinen Erfolg, weil nach dem Sachvortrag des Beklagten nicht auszuschließen ist, daß durch besondere Maßnahmen die Störung der EDV-Anlage oder ihre Folgen rechtzeitig hätten behoben werden können.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt ein Rechtsanwalt, der zur Fristenkontrolle einen EDV-gestützten Fristenkalender verwendet, den Anforderungen an die erforderliche Kontrolle möglicher fehlerhafter Verarbeitung von angegebenen Daten, wenn seine Büroorganisation den Grundsätzen entspricht, die der Senat in seiner Entscheidung vom 23. März 1995 (VII ZB 3/95 = NJW 1995, 1756) entwickelt hat. Verwendet ein Rechtsanwalt ein nach seiner Kenntnis erprobtes und von einer Fachfirma erstelltes Programm für seine Fristenkontrolle, ist es nicht erforderlich, daß er zur Sicherheit parallel zu dem EDV-gestützten Fristenkalender einen schriftlichen Fristenkalender führt. Die Büroorganisation des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten genügte diesen Anforderungen.

2. Nach dem zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags dargelegten Sachverhaltes genügt die organisatorische Vorsorge des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten für den eingetretenen Störfall nicht den Anforderungen an eine hinreichende Büroorganisation, weil eine unverzügliche und wirksame Beseitigung der Störung oder ihrer Folgen nicht gewährleistet ist.

a) Ein Rechtsanwalt, der unter Verzicht auf einen schriftlichen Fristenkalender einen EDV-gestützten Fristenkalender führt, muß durch die Organisation seines Büros gewährleisten, daß er selbst oder eine geschulte Kanzleikraft im Störfall unverzüglich Kontakt mit der Servicefirma des EDV-Programms aufnimmt und die Umstände, die möglichen erkennbaren Ursachen und die Folgen der Störung schildert. Er muß gegebenenfalls durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen mit der Servicefirma für den Fall der Störung des Fristenkalenders die Voraussetzung dafür schaffen, daß die Servicefirma unverzüglich die erforderliche Reparatur des Programms entweder extern oder an der Anlage im Büro des Anwalts durchführt oder den Versuch unternimmt, vor der Reparatur des Programms dafür zu sorgen, daß die gespeicherten Fristen ausgegeben werden.

b) Diesen Anforderungen genügt die organisatorische Vorsorge des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten nicht. Der Beklagte hat nicht dargelegt, daß sein Prozeßbevollmächtigter für den eingetretenen Störfall überhaupt besondere Anordnungen getroffen hat. Sollte das Verhalten der Kanzleikraft etwaigen Anordnungen des Prozeßbevollmächtigten entsprechen, wäre die Organisation des Prozeßbevollmächtigten unzureichend. Die Kanzleikraft des Prozeßbevollmächtigten hat lediglich veranlaßt, daß nach einem telefonischen Reparaturauftrag das Programm mit den gespeicherten Daten an die Servicefirma übersandt worden ist. Der Prozeßbevollmächtigte hat durch seine Büroorganisation nicht sichergestellt, daß die Reparatur mit der gebotenen Dringlichkeit in Auftrag gegeben und unverzüglich ausgeführt wird und daß der Versuch unternommen wird, eine Ausgabe der gespeicherten Fristen vor einer Reparatur des Programms zu erreichen. Angesichts dieser Lage läßt sich nicht ausschließen, daß die Fristversäumung auf einem Organisationsverschulden des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten beruht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993437

BB 1997, 16

DB 1997, 372

NJW 1997, 327

BRAK-Mitt 1997, 136

FuR 1997, 122

CR 1997, 209

WM 1997, 320

AP Nr. 50 zu § 233 ZPO 1977

AnwBl 1997, 122

MDR 1997, 297

VersR 1997, 257

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