Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Ist er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall, z.B. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen treffen (Anschluss an BGH v. 6.3.1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026).

 

Normenkette

ZPO §§ 233, 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 05.09.2016; Aktenzeichen 13 U 49/16)

LG Aurich (Urteil vom 23.05.2016; Aktenzeichen 2 O 838/15)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats des OLG Oldenburg vom 5.9.2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 10.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger, der sich als Rechtsanwalt in den Vorinstanzen selbst vertreten hat, verlangt mit seiner Klage die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung i.H.v. mindestens 10.000 EUR wegen einer vermeintlichen Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen von dem Beklagten zu 2) verfassten Artikel in der von den Beklagten herausgegebenen Zeitung.

Rz. 2

Das LG hat die Klage mit Urteil vom 23.5.2016, dem Kläger zugestellt am 2.6.2016, abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt. Nachdem das OLG mit Schreiben vom 5.8.2016 den Kläger darauf hingewiesen hat, dass innerhalb der am 2.8.2016 abgelaufenen Frist eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17.8.2016, eingegangen am selben Tag, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung begründet. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags hat er - mit anwaltlicher Versicherung und unter Vorlage einer entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 30.7. bis 19.8.2016 - vorgetragen, er sei wegen eines plötzlich in dieser Zeit aufgetretenen Burnout-Zustandes nicht mehr in der Lage gewesen, die Berufungsbegründung rechtzeitig zu fertigen oder eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu beantragen. Die Symptome des Burnouts habe er nicht deuten können, weil er eine solche Erkrankung noch nie zuvor in seinem Leben gehabt habe. Wegen des plötzlichen und unerwarteten Auftretens des für ihn unbekannten Burnout-Zustandes habe er als Einzelanwalt ohne Personal für diesen konkreten Ausfall keine präzisen Vorkehrungen treffen können, zumal frühere Bemühungen für Urlaubsvertretungen ergeben hätten, dass keiner der übrigen vier Anwaltskollegen auf der Nordseeinsel, auf der er wohne, zu einer Vertretung bereit gewesen sei.

Rz. 3

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das OLG den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt, den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Es fehle insb. an einer Darlegung, welche Vorkehrungen der Kläger zur Wahrung von Fristen für den Fall seines unvorhergesehenen Ausfalls getroffen habe. Sowohl die unerwartet aufgetretene Burnout-Erkrankung als auch die Tätigkeit des Klägers als Einzelanwalt ohne Personal auf einer Insel mit nur weiteren wenigen, nicht vertretungsbereiten Rechtsanwälten seien unerheblich und entbänden den Kläger nicht von der Pflicht, rechtzeitig für den Fall seines unerwarteten Ausfalls für eine Vertretung zu sorgen.

II.

Rz. 4

Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts insb. auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die Begründung der Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags im angefochtenen Beschluss den Kläger in seinem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt.

Rz. 5

1. Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (st.Rspr., vgl. BVerfG BVerfGK 11, 461, 463; zuletzt BGH, Beschl. v. 19.9.2017 - VI ZB 40/16, VersR 2018, 119 Rz. 6; v. 12.12.2017 - VI ZB 24/17, NJW-RR 2018, 311 Rz. 4, jeweils m.w.N.).

Rz. 6

2. Davon ausgehend ist die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags nicht zu beanstanden.

Rz. 7

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Er muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen solchen Fall geben. Ist er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall treffen, z.B. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen (BGH, Beschl. v. 6.3.1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rz. 7; v. 18.5.1994 - XII ZB 62/94, FamRZ 1994, 1520). Ein Rechtsanwalt muss allerdings, wenn er - wie hier - unvorhergesehen erkrankt, nur das, aber auch alles zur Fristwahrung unternehmen, was ihm dann möglich und zumutbar ist (BGH, Beschl. v. 6.3.1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rz. 10; v. 11.3.1987 - VIII ZB 2/87, VersR 1987, 785, 786; v. 8.2.2000 - XI ZB 20/99, juris Rz. 12; v. 18.9.2003 - V ZB 23/03, FamRZ 2004, 182; v. 18.9.2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rz. 9).

Rz. 8

b) Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er die danach erforderliche zumutbare Vorsorge für einen Verhinderungsfall getroffen hat. Aus dem von ihm vorgelegten Attest des behandelnden Arztes ergibt sich vielmehr, dass nach den eigenen Angaben des Klägers die als Burnout-Zustand gedeuteten Symptome in den "letzten Tagen" vor dem 5.8.2016 "immer wieder zeitweise" - also nicht ständig - aufgetreten seien, wobei er "beispielsweise Termine und Rechtsfristen übersehen" habe. Daraus ergibt sich aber schon nicht, dass der Kläger in den Zeiten, in denen die Symptome nicht auftraten, außerstande gewesen wäre, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen. Ferner bestand für ihn in diesen Zeiten dringende Veranlassung, Vorkehrungen für den Verhinderungsfall zu treffen, zumal er als Einzelanwalt und ohne eigenes Personal tätig war. Hätte der Kläger rechtzeitig im Zustand der Gesundheit die für einen überraschenden Krankheitsfall gebotenen Absprachen getroffen, wäre es ihm nach dem Attest noch möglich gewesen, seinen Vertreter zu instruieren. Dem Vorbringen des Klägers ist nicht zu entnehmen, dass er entsprechende Vorsorge getroffen hat. Dabei vermag ihn auch nicht der Umstand zu entlasten, dass er auf der Insel angeblich keinen vertretungsbereiten Kollegen gefunden hätte. Dass der Kläger seine Anwaltstätigkeit auf einer Insel ausübt, auf der nur wenige Rechtsanwälte tätig sind, entbindet ihn nicht - wie im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt - von der Pflicht, für den Fall eines Ausfalls für eine Vertretungsregelung zu sorgen, was auch durch einen vertretungsbereiten Kollegen auf dem Festland erfolgen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 11829314

NJW 2018, 8

FamRZ 2018, 1528

NJW-RR 2018, 1210

FA 2018, 296

JurBüro 2018, 671

ZAP 2018, 1040

AnwBl 2018, 682

JZ 2018, 589

MDR 2018, 1077

MDR 2018, 1359

VersR 2018, 1085

NJW-Spezial 2018, 511

BRAK-Mitt. 2018, 242

Mitt. 2018, 475

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