Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverschuldet verspätete Forderungsanmeldung des Gläubigers wegen Versäumnis des Gesamtvollstreckungsverwalters. Fehlende Übersendung des Eröffnungsbeschlusses an den bekannten Gläubiger

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anmeldung einer Forderung nach Ablauf der im Eröffnungsbeschluss festgesetzten Anmeldefrist ist unverschuldet, wenn der Gesamtvollstreckungsverwalter entgegen § 6 Abs. 3 GesO dem bekannten Gläubiger den Eröffnungsbeschluss nicht übersandt hat.

 

Normenkette

DDR-GesO § 6 Abs. 3; DDR-GesO § 14 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Beschluss vom 20.10.2003; Aktenzeichen 3 T 759/03)

AG Magdeburg (Beschluss vom 18.07.2003)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Magdeburg v. 20.10.2003 und der Beschluss des AG Magdeburg v. 18.7.2003 aufgehoben.

Die von der Gläubigerin angemeldete Forderung wird zur Aufnahme in die Tabelle zur späteren Prüfung zugelassen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Gesamtvollstreckungsverwalter zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 16.025,18 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Das AG - Gesamtvollstreckungsgericht - eröffnete mit Beschluss v. 4.10.1995 über das Vermögen der Schuldnerin das Gesamtvollstreckungsverfahren und bestellte den weiteren Beteiligten zu 1) zum Gesamtvollstreckungsverwalter. In dem Eröffnungsbeschluss wurden die Gläubiger aufgefordert, ihre gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen bis zum 23.11.1995 bei dem Verwalter anzumelden. Der Eröffnungsbeschluss wurde im Oktober 1995 im Bundesanzeiger, im Staatsanzeiger Sachsen-Anhalt und in der Tageszeitung "Volksstimme" veröffentlicht.

Nachdem ein Pfändungsversuch der in Niedersachsen ansässigen Gläubigerin gescheitert war, forderte sie den Verwalter mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten v. 8.11.1995 zur Freigabe eines hinterlegten Betrages auf. Im Antwortschreiben v. 14.11.1995 wies der Verwalter darauf hin, dass nach der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens Maßnahmen der Zwangsvollstreckung unzulässig seien. Auf den Ablauf der Anmeldefrist wies der Verwalter weder im Antwortschreiben v. 14.11.1995 noch in anderer Weise hin.

Im April 1996 meldete der Verfahrensbevollmächtigte der Gläubigerin ggü. dem Verwalter eine Forderung gegen die Schuldnerin i.H.v. 90.791,85 DM zur Tabelle an. Der Verwalter beabsichtigt, die Forderung i.H.v. 78.356,31 DM zur Tabelle anzuerkennen.

Mit Beschluss v. 18.7.2003 hat das AG die Aufnahme der Forderung zur Tabelle wegen verschuldet verspäteter Anmeldung abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin die Aufnahme ihrer Forderung in die Tabelle weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil Entscheidungen des Gesamtvollstreckungsgerichts nach § 14 Abs. 1 S. 1, § 20 GesO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind (BGH, Urt. v. 25.11.1993 - IX ZR 84/93, MDR 1994, 368 = ZIP 1994, 157) und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (BGH, Beschl. v. 15.1.2004 - IX ZB 62/03, MDR 2004, 644 = BGHReport 2004, 547 = WM 2004, 490 [491]). Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Sie erweist sich als begründet.

Die Forderungsanmeldung der Gläubigerin ging zwar erst im April 1996 und damit nach Ablauf der am 23.11.1995 endenden Anmeldefrist beim Gesamtvollstreckungsverwalter ein. Sie muss jedoch gem. § 14 Abs. 1 S. 1 GesO vom Verwalter in die Tabelle zur späteren Prüfung aufgenommen werden, weil die verspätete Anmeldung unverschuldet war.

1. Das Beschwerdegericht meint, bei der Beurteilung des Verschuldens seien ausgehend von §§ 276, 278 BGB die zu § 233 ZPO entwickelten Grundsätze zu Grunde zu legen. Ob der Fortgang des Verfahrens durch die Prüfung der Forderung verzögert werde, sei im Hinblick auf den Wortlaut der Vorschrift unerheblich. Die Gläubigerin sei verpflichtet gewesen, sich zumindest im Bundesanzeiger darüber zu informieren, ob über das Vermögen des Geschäftspartners das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden sei. Dass sie erst mit dem ihr am 17.11.1995 zugegangenen Schreiben des Verwalters von der Eröffnung erfahren habe, schließe das Verschulden nicht aus. Die Gläubigerin habe sich in den verbleibenden Tagen im Bundesanzeiger oder beim Verwalter über den Lauf der Anmeldefrist informieren können. Die entgegen § 6 Abs. 3 GesO unterbliebene Mitteilung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubigerin entlaste diese nicht, weil sie gleichwohl ein Verschulden treffe. Dass der Verwalter die Forderung in das Vermögensverzeichnis aufnehmen wolle, sei unerheblich, weil das Gericht bei seiner Entscheidung über die Zustimmung hieran nicht gebunden sei.

2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Verspätet angemeldete Forderungen sind nach § 14 GesO zu berücksichtigen, wenn die Verspätung unverschuldet war.

§ 14 Abs. 1 S. 1 GesO verfolgt vor allem den Zweck, das Gesamtvollstreckungsverfahren zu straffen und zu beschleunigen. Dieser Zweck ist hinreichend gewichtig, um Eigentumsbeschränkungen zu rechtfertigen. Das Interesse der Gläubiger, die am Verfahren teilnehmen und nur noch eine teilweise Erfüllung ihrer Forderungen erhoffen dürfen, geht dahin, nicht durch zeitliche Verzögerung Nachteile zu erleiden. Ohne die Regelung des § 14 Abs. 1 S. 1 GesO bestünde die Gefahr, dass zahlreiche Forderungen erst nachträglich angemeldet würden. Die Regelung ist verfassungsrechtlich unbedenklich und verstößt insb. nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG oder den allgemeinen Gleichheitssatz gem. Art. 3 GG (BVerfG v. 26.4.1995 - 1 BvL 19/94, 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262 [271 ff.] = MDR 1995, 1020 = ZIP 1995, 923 [924]).

b) Bei der Bestimmung des Verschuldens ist von § 276 BGB, § 85 Abs. 2 ZPO auszugehen. Nach § 276 Abs. 2 BGB (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB a.F.) handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Maßgebend ist danach ein objektiv abstrakter Sorgfaltsmaßstab, der an den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs ausgerichtet ist (BGH v. 17.3.1981 - VI ZR 191/79, BGHZ 80, 186 [193] = MDR 1981, 743; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 233 Rz. 12; Feiber in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 233 Rz. 21 f.).

Ob dem LG darin zu folgen ist, dass hier ein individualisierter Maßstab anzulegen ist (dagegen etwa Hess/Binz/Wienberg, GesO, 4. Aufl., § 14 Rz. 67), kann dahinstehen. Wenn der Gläubiger, wie im vorliegenden Fall, anwaltlich vertreten ist, muss er sich das Verschulden des Anwalts gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Für den Anwalt gelten jedenfalls, wie bei § 233 ZPO, objektive Sorgfaltsmaßstäbe (BGH, Urt. v. 22.11.1984 - VII ZR 160/84, MDR 1985, 570 = NJW 1985, 1710 [1711]; Musielak/Grandel, ZPO, 4. Aufl., § 233 Rz. 4).

c) Zwar ergibt sich aus § 6 Abs. 1 S. 1 GesO, dass den Gläubiger regelmäßig ein Verschulden trifft, wenn er die Veröffentlichung der Anmeldefrist in den Veröffentlichungsblättern nicht rechtzeitig zur Kenntnis genommen hat (LG Dresden v. 12.10.1994 - 2 T 0560/94, ZIP 1994, 1613 [1614]). Indes war dem Verwalter mit Schreiben des Gläubigervertreters v. 8.11.1995 bekannt geworden, dass der Gläubigerin Forderungen gegen die Schuldnerin zustehen. Er war deshalb gem. § 6 Abs. 3 GesO verpflichtet, der Gläubigerin den Eröffnungsbeschluss zu übersenden, in dem gem. § 5 S. 2 Nr. 3 GesO die Anmeldefrist angegeben war. Gegen diese Verpflichtung hat der Verwalter verstoßen.

Damit wirkte sich ein etwaiges Verschulden der Gläubigerin nicht mehr aus (BVerfG v. 20.6.1995 - 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99 [115 f.] = NJW 1995, 3173 [3175]; BVerfG v. 3.1.2001 - 1 BvR 2147/00, NJW 2001, 1343); der Kausalzusammenhang war unterbrochen. Ab dem Zeitpunkt, in dem der Verwalter von ihrer Forderung gegen die Schuldnerin Kenntnis hatte, durfte sich die Gläubigerin darauf verlassen, dass der Verwalter seiner Verpflichtung nach § 6 Abs. 3 GesO nachkommen und den Ablauf der Anmeldefrist mitteilen würde (OLG Dresden v. 29.11.1993 - 2 U 1011/93, ZIP 1993, 1826 [1827]; OLG Brandenburg v. 22.4.1994 - 8 U 47/93, ZIP 1994, 1288 [1289]; LG Dresden v. 12.10.1994 - 2 T 0560/94, ZIP 1994, 1613 [1615]; LG Erfurt v. 23.8.1996 - 17 N 64/93, ZIP 1996, 1708 [1711]; Hess/Binz/Wienberg, GesO, 4. Aufl., § 14 Rz. 76).

In der Rechtsprechung der LG wird allerdings die Auffassung vertreten, die Mitteilung nach § 6 Abs. 3 GesO sei im Hinblick auf den Vorrang der Verfahrensbeschleunigung als rein verfahrensrechtliche Ordnungsvorschrift zu betrachten, ihre Nichtbeachtung lasse daher das Verschulden des Gläubigers nicht entfallen (LG Neuruppin v. 21.4.1997 - 5 T 278/96, ZIP 1997, 1166; LG Halle/S. v. 28.10.1996 - 2 T 371/96, ZIP 1996, 2176; Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 4. Aufl., § 14 Rz. 21).

Dem kann nicht gefolgt werden. Unzutreffend ist bereits, dass es sich bei § 6 Abs. 3 GesO um eine Ordnungsvorschrift handelt. Das Gesetz sieht diese Übersendung in gleicher Weise zwingend vor wie die öffentliche Bekanntmachung nach Abs. 1. Damit gleicht es die Strenge der Ausschlussfrist des § 14 GesO aus. Der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung vermag an der Verbindlichkeit dieser Vorschrift schon deshalb nichts zu ändern, weil er in keiner Weise beeinträchtigt wird. Die Mitteilungen nach Abs. 3 sind nur an die Gläubiger zu übersenden, die bis zum Ablauf der Anmeldefrist bekannt werden. Dieser Zeitpunkt muss ohnehin für das weitere Verfahren abgewartet werden.

Sinn des § 6 Abs. 3 GesO ist es, wenigstens die bereits bekannten Gläubiger in die Lage zu versetzen, ihre Rechte im Gesamtvollstreckungsverfahren wahrzunehmen (LG Dresden v. 12.10.1994 - 2 T 0560/94, ZIP 1994, 1613 [1614]). Angesichts dieses Schutzzwecks wird ein etwaiges Verschulden des Gläubigers überlagert durch das Verschulden des Verwalters.

Die Regelung des § 14 Abs. 1 GesO enthält - anders als § 142 Abs. 1 KO, § 177 Abs. 1 InsO - eine Ausschlussfrist; § 6 Abs. 3 GesO hat zum Ziel, dass die Gläubiger mit möglichst großer Sicherheit von ihr Kenntnis erhalten. Dies verbietet es, den Verstoß gegen § 6 Abs. 3 GesO sanktionslos zu lassen (LG Dresden v. 12.10.1994 - 2 T 0560/94, ZIP 1994, 1613 [1614]).

 

Fundstellen

DStZ 2005, 764

BGHR 2005, 1084

NJW-RR 2005, 1139

WM 2005, 1610

WuB 2005, 889

ZIP 2005, 995

MDR 2005, 1077

NJ 2005, 411

NZI 2005, 392

ZInsO 2005, 600

ZVI 2005, 310

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