Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustellung im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch nach Beendigung der Instanz bzw. des Hauptsacheverfahrens müssen Zustellungen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren an den Prozessbevollmächtigten erfolgen, wenn dieser die Partei im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hat.

 

Normenkette

ZPO §§ 172, 120 Abs. 4, § 124

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Beschluss vom 13.01.2009; Aktenzeichen 20 WF 3/09)

AG Leipzig (Beschluss vom 12.11.2008; Aktenzeichen 330 F 2933/04)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 20. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Dresden vom 13.1.2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Wert: bis 1.500 EUR

 

Gründe

A.

Rz. 1

Der Antragsgegner wendet sich gegen die Aufhebung der ihm bewilligten Prozesskostenhilfe.

Rz. 2

Dem Antragsgegner war auf Antrag seines Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt F. mit Beschluss des AG vom 29.12.2004 ratenfreie Prozesskostenhilfe für ein Scheidungsverfahren bewilligt und Rechtsanwalt F. beigeordnet worden. Das Scheidungsverfahren wurde im Jahr 2005 rechtskräftig abgeschlossen.

Rz. 3

Im Jahr 2008 forderte das AG den Antragsgegner wiederholt erfolglos dazu auf, eine Erklärung darüber abzugeben, ob sich die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgeblichen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert hätten und kündigte zuletzt eine Aufhebung der Prozesskostenhilfe an.

Rz. 4

Mit Beschluss vom 12.11.2008 hat das AG die Prozesskostenhilfe aufgehoben. Der Beschluss ist dem Antragsgegner am 15.11.2008 zugestellt worden und Rechtsanwalt F. durch formlose Übermittlung am 18.12.2008 zugegangen.

Rz. 5

Die am 22.12.2008 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat das Beschwerdegericht als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

B.

Rz. 6

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Rz. 7

Für das Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senat, Urt. v. 16.12.2009 - XII ZR 50/08, FamRZ 2010, 357 Rz. 7 m.w.N.).

I.

Rz. 8

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil das Beschwerdegericht sie gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat und es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe geht (Senatsbeschlüsse v. 18.11.2009 - XII ZB 152/09, FamRZ 2010, 197 Rz. 5 m.w.N.; v. 4.8.2004 - XII ZA 6/04, FamRZ 2004, 1633 f.).

II.

Rz. 9

Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Rz. 10

1. Das OLG, dessen Beschluss in FamRZ 2009, 1425 veröffentlicht ist, hat die sofortige Beschwerde verworfen, weil sie wegen Versäumung der Beschwerdefrist unzulässig sei. Die Frist habe mit der wirksamen Zustellung der angefochtenen Entscheidung an den Antragsgegner begonnen. Auf den Zugang des Beschlusses bei dem - früheren - Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners komme es demgegenüber nicht an. Denn eine Zustellung an ihn sei nicht gem. § 172 ZPO geboten gewesen. § 172 ZPO verlange die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten nur dann, wenn dieser in dem anhängigen Verfahren bestellt sei. Die von dem Antragsgegner seinerzeit erteilte Prozessvollmacht für das - bereits im Laufe des Jahres 2005 rechtskräftig abgeschlossene - Hauptsacheverfahren umfasse nicht die Betätigung des Bevollmächtigten im Verfahren der Prozesskostenhilfeüberwachung. Vielmehr handele es sich dabei um ein neues Verfahren, für das der vormalige Prozessbevollmächtigte nicht automatisch mandatiert sei.

Rz. 11

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Rz. 12

Nach § 120 Abs. 4 ZPO kann das Gericht innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren ab rechtskräftiger Entscheidung oder sonstiger Beendigung des Verfahrens die Entscheidung über die im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Auf Verlangen des Gerichts hat sich die Partei darüber zu erklären, ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Nach § 124 Nr. 2 Alt. 2 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht abgegeben hat.

Rz. 13

In Rechtsprechung und Literatur ist streitig, ob die Aufforderung zur Erklärung über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse und der Beschluss, durch den nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens die für dieses Verfahren bewilligte Prozesskostenhilfe gem. §§ 120 Abs. 4, 124 ZPO aufgehoben wird, der Partei persönlich oder gem. § 172 Abs. 1 ZPO deren (früheren) Prozessbevollmächtigten zugestellt werden müssen.

Rz. 14

a) Überwiegend wird die Ansicht vertreten, die Zustellung könne wirksam nur an die Partei erfolgen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft ende das anhängige Verfahren i.S.d. § 172 Abs. 1 ZPO. Das Verfahren gem. §§ 120 Abs. 4, 124 ZPO gehöre nicht zum Rechtszug im Sinne dieser Norm. Ebenso wenig sei es einem der in § 172 Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Verfahren vergleichbar. Vielmehr stelle es ein selbständiges Verwaltungsverfahren und als solches ein neues Verfahren dar, welches einer Abänderungsklage nach § 323 ZPO gleiche. Die Vertretung im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren sei auch nicht vom gesetzlichen Umfang der Prozessvollmacht gem. § 81 ZPO umfasst (OLG Dresden NJ 2008, 315 f.; OLG Hamm FamRZ 2009, 1234 [1235]; OLG Naumburg OLGReport Naumburg 2008, 404 f.; OLG Koblenz FamRZ 2008, 1358; OLG Köln FamRZ 2007, 908; OLG München FamRZ 1993, 580; Musielak/Fischer ZPO, 7. Aufl., § 124 Rz. 3; Musielak/Wolst, a.a.O., § 172 Rz. 5; Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 172 Rz. 7; Wieczorek/Schütze/Rohe ZPO, 3. Aufl., § 172 Rz. 25; Zöller/Geimer ZPO, 28. Aufl., § 120 Rz. 28, § 124 Rz. 23).

Rz. 15

b) Nach der Gegenmeinung haben auch in einem nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Prozesskostenhilfe (§§ 120 Abs. 4, 124 ZPO) Zustellungen jedenfalls dann gem. § 172 Abs. 1 ZPO an den Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, wenn dieser die Partei bereits im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hatte.

Rz. 16

Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass zu einem anhängigen Prozesskostenhilfeverfahren auch das sich ggf. erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens anschließende Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren gehöre. Bei diesem Verfahren handele es sich um ein dem Wiederaufnahmeverfahren vergleichbares Verfahren, in dem gem. § 172 Abs. 1 Satz 2 ZPO Zustellungen an den bestellten Prozessbevollmächtigten erfolgen müssten. Demgemäß erstrecke sich die von der Partei für das Prozesskostenhilfeverfahren erteilte Prozessvollmacht auch auf das sich anschließende Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren (BAG Beschl. v. 19.7.2006 - 3 AZB 18/06 - juris; OLG Brandenburg FamRZ 2009, 1426 f.; 2008, 1356, 1357; 2008, 72 und Beschl. v. 1.2.2008 - 9 WF 362/07 - juris; OLG Hamm Beschl. v. 30.1.2007 - 2 WF 9/07 - juris; LAG Rheinland-Pfalz MDR 2007, 175; LAG Baden-Württemberg DB 2003, 948; Hartmann/Lauterbach/Albers ZPO, 69. Aufl., § 120 Rz. 32; Häublein in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 172 Rz. 19).

Rz. 17

3. Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an.

Rz. 18

Auch nach Beendigung der Instanz bzw. des Hauptsacheverfahrens müssen Zustellungen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren jedenfalls dann gem. § 172 ZPO an den Prozessbevollmächtigten erfolgen, wenn dieser die Partei im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hat.

Rz. 19

a) Das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren gehört zum Rechtszug i.S.d. § 172 Abs. 1 ZPO.

Rz. 20

aa) Zweck der Vorschrift ist, im Interesse der Prozessökonomie und der Privatautonomie sicher zu stellen, dass der von der Partei bestellte Prozessbevollmächtigte, in dessen Verantwortung die Prozessführung liegt, über den gesamten Prozessstoff informiert wird und sich somit in dessen Hand alle Fäden des Prozesses vereinigen (BGH, Urt. v. 19.9.2007 - VIII ZB 44/07, FamRZ 2008, 141 - Rz. 10; v. 17.1.2002 - IX ZR 100/99, NJW 2002, 1728 [1729]; Musielak/Wolst ZPO, 7. Aufl., § 172 Rz. 1; Roth in Stein/Jonas ZPO, 22. Aufl., § 172 Rz. 1; Hartmann/Lauterbach/Albers ZPO, 69. Aufl., § 172 Rz. 2). Für den Gesetzgeber lag der Grund für die obligatorische Zustellung an den Prozessbevollmächtigten in der Annahme, dass die Partei durch die Erteilung der Prozessvollmacht das Betreiben des Prozesses aus der Hand gegeben hat und deshalb der Prozessbevollmächtigte und nicht das Gericht die Partei über den jeweiligen Stand des Prozesses auf dem Laufenden zu halten habe. Dem Interesse der Partei sei im Falle der Zustellung an ihren Anwalt mehr gedient, als wenn an sie selbst zugestellt werde. Denn in den meisten Fällen werde sich die Partei ohnehin an ihren Anwalt wenden müssen, weil sie außer Stande sei, die Angemessenheit oder Notwendigkeit der weiteren Schritte beurteilen zu können (Hahn/Stegemann Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen Bd. 2 Materialien zur Zivilprozessordnung Abteilung 1 2. Aufl. 1983 S. 227 f.).

Rz. 21

bb) Ein Bedürfnis an einer umfassenden Information des Prozessbevollmächtigten besteht über den formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinaus. Dem tragen § 172 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO Rechnung, die den Umfang des Rechtszugs über das Hauptsacheverfahren hinaus auf weitere Verfahren erstrecken. Die in § 172 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO enthaltene Aufzählung ist dabei nicht abschließend (Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 178 Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Rohe § 172 Rz. 24; Roth in Stein/Jonas ZPO, 22. Aufl., § 172 Rz. 15; a.A. OLG Dresden NJ 2008, 315, 316). Der Gesetzgeber verfolgte mit der Vorgängernorm des § 172 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO nicht die Absicht, einen erschöpfenden Katalog der noch zum Rechtszug zählenden Verfahrensabschnitte zu erstellen. Vielmehr wollte er lediglich einzelne Zweifelsfälle einer ausdrücklichen Regelung zuführen (Hahn/Stegemann, a.a.O., S. 229). Dafür spricht auch deren Unvollständigkeit. So wird das Kostenfestsetzungsverfahren (§ 103 ff. ZPO) nicht genannt, das nach einhelliger Meinung Teil des (ersten) Rechtszuges i.S.d. § 172 Abs. 1 ZPO ist (BVerfG NJW 1990, 1104 f.; Roth in Stein/Jonas ZPO, 22. Aufl., § 172 Rz. 14; Zöller/Stöber ZPO, 28. Aufl., § 172 Rz. 14), obwohl es bei Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache (vgl. BGH Beschl. v. 1.2.1995 - VIII ZB 53/94, NJW 1995, 1095 [1096]) häufig noch nicht abgeschlossen ist. Auch erfordert der Zweck des § 172 ZPO, den Prozessbevollmächtigten umfassend zu informieren, eine weite Auslegung der Norm (vgl. Hartmann/Baumbach/Lauterbach ZPO, 69. Aufl., § 172 Rz. 2).

Rz. 22

cc) Das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren gehört nach dem Zweck des § 172 ZPO in dessen Anwendungsbereich.

Rz. 23

Die Prozesskostenhilfe hängt eng mit dem Hauptsacheverfahren zusammen. Ihre Bewilligung setzt gem. § 114 ZPO die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung voraus. Außerdem schafft die Prozesskostenhilfe für die bedürftige Partei erst die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür, einen Prozess in der Hauptsache zu führen bzw. sich darin zu verteidigen. Auch wirkt sich eine Aufhebung der Prozesskostenhilfe gem. § 124 ZPO auf die Kostentragungspflicht und damit auf die wirtschaftliche Grundlage der Prozessführung aus. Mit der Aufhebung der Prozesskostenhilfe entfallen für die Partei rückwirkend die Vergünstigungen des § 122 ZPO. Die Staatskasse kann insb. die Gerichtskosten und die auf sie übergegangenen Ansprüche des beigeordneten Anwalts gegen die Partei geltend machen, auch kann der Rechtsanwalt nunmehr die volle Wahlanwaltsgebühr von der Partei fordern (Motzer in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 122 Rz. 15, § 124 Rz. 25; Musielak/Fischer ZPO, 7. Aufl., § 124 Rz. 10; Zöller/Geimer ZPO, 28. Aufl., § 124 Rz. 24).

Rz. 24

Entsprechend besteht ein Interesse der Partei daran, dass das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren in den Händen ihres Prozessbevollmächtigten zusammengeführt und dieser dadurch in die Lage versetzt wird, die Partei über den jeweiligen Stand dieses Verfahrens auf dem Laufenden zu halten und die notwendigen Schritte zu unternehmen.

Rz. 25

Diese Interessenlage ändert sich durch den formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht. Hat die Partei ihren Prozessbevollmächtigten für das Prozesskostenhilfeverfahren beauftragt, rechnet sie nicht damit, in diesem Verfahren selbst tätig werden zu müssen. Vielmehr geht sie davon aus, dass ihr Prozessbevollmächtigter sie informieren und beraten wird, wenn Handlungsbedarf besteht. Dabei wird sie nicht danach differenzieren, ob das Hauptsacheverfahren bereits beendet ist oder nicht. Dem Interesse der Partei kann der Prozessbevollmächtigte aber nur dann Rechnung tragen, wenn das Gericht ihm auch über den formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinaus Kenntnis von der Fortführung des Prozesskostenhilfeverfahrens im Überprüfungsverfahren verschafft.

Rz. 26

dd) Dafür, dass das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren auch über den formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinaus als zur Instanz gehörendes Verfahren angesehen wird, spricht auch, dass die Aktenführung weiterhin unter dem Aktenzeichen des Hauptsacheverfahrens erfolgt und daher auch von den Beteiligten - mehr noch als das Wiederaufnahmeverfahren - als mit dem Hauptsacheverfahren zusammenhängend wahrgenommen wird. Im Übrigen wird eine Partei nur schwer verstehen, dass sie bis zur Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung auf Anfragen und Entscheidungen des Gerichts nicht selbst reagieren muss, sondern sich auf die Information und Beratung durch ihren Rechtsanwalt verlassen kann, dass sie aber nach Ablauf der Rechtsmittelfrist selbst tätig werden muss.

Rz. 27

ee) Gegen eine Anwendung des § 172 ZPO auf das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren spricht auch nicht die von der Gegenansicht gezogene Parallele zum - vom Anwendungsbereich des § 172 ZPO nicht umfassten - Abänderungsverfahren gem. § 323 ZPO bzw. §§ 238 ff. FamFG (Zöller/Geimer ZPO, 28. Aufl., § 120 Rz. 28). Das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren ist enger mit dem Hauptsacheverfahren verknüpft als das - selbständige - Abänderungsverfahren. Die Aufhebung der Prozesskostenhilfe wirkt sich unmittelbar auf die Kostentragungspflicht für das Hauptsacheverfahren aus. Sie hat zur Folge, dass für die Partei die Vergünstigungen des § 122 ZPO rückwirkend entfallen. Im Übrigen ist allenfalls das Verfahren gem. § 120 Abs. 4 ZPO, welches eine Anpassung der Ratenzahlungspflicht an veränderte Verhältnisse ermöglicht, mit dem Abänderungsverfahren gem. § 323 ZPO bzw. §§ 238 ff. FamFG vergleichbar. Demgegenüber haben die Aufhebungsgründe des § 124 ZPO, zu denen gem. § 124 Nr. 2 Alt. 2 ZPO auch die unterlassene Abgabe einer Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO gehört, keine Änderung der Verhältnisse zur Voraussetzung. Es erscheint indes nicht sachgerecht, innerhalb des Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahrens zu differenzieren und dieses nur teilweise vom Anwendungsbereich des § 172 ZPO auszunehmen.

Rz. 28

ff) Auch das Argument der Gegenansicht, es handele sich bei dem Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren um eine Verwaltungsangelegenheit (OLG Hamm FamRZ 2009, 1234 [1235]; OLG Dresden NJ 2008, 315, 316; OLG München FamRZ 1993, 580), auf die § 172 ZPO nicht anwendbar sei, greift nicht. Zuständig für die Änderung bzw. Aufhebung bleibt auch nach rechtskräftiger Beendigung des Hauptsacheverfahrens das Gericht. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 120 Abs. 4 ZPO, wonach das Gericht noch vier Jahre nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens den Bewilligungsbeschluss abändern kann (Schoreit/Groß Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe 10. Aufl., § 120 ZPO Rz. 36 m.w.N.). Das Überprüfungs- bzw. Abänderungsverfahren ist Teil des Prozesskostenhilfeverfahrens. Für dieses gilt § 172 ZPO (BAG Beschl. v. 19.7.2006 - 3 AZB 18/06 - juris).

Rz. 29

b) Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 172 ZPO ist die (fortdauernde) Bestellung des Prozessbevollmächtigten der Partei für das in Rede stehende Verfahren. Davon ist hier auszugehen. Der Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners hatte für diesen bereits Prozesskostenhilfe beantragt und sich damit im Prozesskostenhilfeverfahren für ihn bestellt. Das Prozesskostenhilfeverfahren umfasst nicht nur das Verfahren bis zur Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung, sondern auch das sich anschließende Verfahren zur Überprüfung der Prozesskostenhilfebewilligung gem. §§ 120 Abs. 4, 124 ZPO. Dabei ist ohne Bedeutung, ob das Hauptverfahren zu diesem Zeitpunkt bereits formell abgeschlossen ist. Denn das Gesetz trennt nicht zwischen dem Verfahren bis zur Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe einerseits und dem Verfahren betreffend die Abwicklung der bewilligten Prozesskostenhilfe andererseits. Dies folgt zum einen aus der gesetzlichen Systematik der §§ 114 ff. ZPO, die das Verfahren gem. §§ 120 Abs. 4, 124 ZPO nicht als eigenständiges Verfahren erfasst, und zum anderen aus der Beschwerderegelung in § 127 ZPO, die lediglich das Verfahren über die Prozesskostenhilfe kennt und damit keine Differenzierung zwischen verschiedenen selbständigen Verfahren zulässt (LAG Baden-Württemberg DB 2003, 948; im Ergebnis ebenso BAG Beschl. v. 19.7.2006 - 3 AZB 18/06 - juris Rz. 10; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1356 [1357]; a.A. Zöller/Geimer ZPO, 28. Aufl., § 120 Rz. 28).

III.

Rz. 30

Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Der Beschluss des AG vom 20.5.2008, durch den die Prozesskostenhilfe aufgehoben wurde, hätte gem. § 172 ZPO dem Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners zugestellt werden müssen. Die Zustellung an den Antragsgegner persönlich war nicht wirksam und hat die Beschwerdefrist nicht in Lauf gesetzt (vgl. BGH Beschl. v. 28.11.2006 - VIII ZB 52/06, NJW-RR 2007, 356 - Rz. 6 m.w.N.). Da der Antragsgegner die - auch ansonsten zulässige - sofortige Beschwerde somit fristgerecht eingelegt hat, hat das OLG diese zu Unrecht als unzulässig verworfen. Auf den hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag des Antragsgegners kommt es demgemäß nicht an. Die Sache ist an das OLG zur Entscheidung über die Begründetheit der sofortigen Beschwerde zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

FF 2011, 219

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