Leitsatz (amtlich)

Nach Begründung des Rechtsmittels hat der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern. Das gilt auch, wenn das Berufungsgericht darauf hingewiesen hat, dass es beabsichtigt, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, und der Berufungskläger hiergegen Einwände erhoben hat. Ein in dieser Prozesslage gestellter begründeter Antrag auf Zurückweisung der Berufung löst daher grundsätzlich die 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV aus (im Anschluss an BAG, Beschl. v. 18.4.2012 - 3 AZB 22/11; Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 25.2.2016 - III ZB 66/15, BGHZ 209, 120).

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 1 S. 1, § 522 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG München (Beschluss vom 20.10.2016; Aktenzeichen 11 W 1556/16)

LG Augsburg (Urteil vom 29.07.2016; Aktenzeichen 65 O 3590/14)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats des OLG München vom 20.10.2016 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger hat gegen ein landgerichtliches Urteil Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 18.2.2016 hat das Berufungsgericht angekündigt, dass beabsichtigt sei, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, und dem Kläger hierzu zuletzt eine Frist zur Stellungnahme bis zum 15.4.2016 eingeräumt. Der Kläger hat innerhalb der Frist mit Schriftsatz vom 15.4.2016 zum Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts Stellung genommen. Nachdem das Berufungsgericht diesen Schriftsatz am 18.4.2016 an den Beklagten hinausgegeben hatte, hat es mit Beschluss vom 19.4.2016 die Berufung des Klägers gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist dem Beklagten zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 25.4.2016 zugestellt worden. Zuvor hatte der Beklagte auf den ihm am 19.4.2016 zugegangenen Schriftsatz des Klägers mit Schriftsatz vom 21.4.2016, eingegangen beim Berufungsgericht am 22.4.2016, beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, und dies näher begründet.

Rz. 2

Auf Antrag des Beklagten hat das LG die vom Kläger zu erstattenden Kosten für die Berufungsinstanz i.H.v. 586,40 EUR (netto) festgesetzt, die sich aus einer 1,6 Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 RVG-VV i.H.v. 566,40 EUR und einer Pauschale i.H.v. 20 EUR gem. Nr. 7002 RVG-VV zusammensetzen. Die vom Kläger gegen diesen Beschluss erhobene sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen.

Rz. 3

Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger weiterhin gegen die zugunsten des Beklagten festgesetzte Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 RVG-VV.

II.

Rz. 4

Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist in der Sache nicht begründet.

Rz. 5

1. Das Beschwerdegericht führt aus, der Schriftsatz des Beklagten, mit dem die Zurückweisung der Berufung beantragt worden sei, lasse eine 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV in der Rechtsmittelinstanz entstehen. Habe das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einen einstimmigen Beschluss zurückzuweisen und habe der Vertreter des Berufungsbeklagten danach einen mit Gründen versehenen Zurückweisungsantrag gestellt, so falle eine 1,6 Verfahrensgebühr an, die auch zu erstatten sei. Denn der Mandant habe ein Interesse daran, die Beschlussfassung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern.

Rz. 6

Der Sachantrag und der Sachvortrag des Beklagten seien zwar nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses erfolgt. Allerdings habe der Beklagte bei Einreichung seines Schriftsatzes noch keine Kenntnis von dem am 19.4.2016 ergangenen Beschluss haben können, da ihm dieser erst am 25.4.2016 zugestellt worden sei. Unter Beachtung der Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 18.4.2012 - 3 AZB 22/11) sei die Erstattungsfähigkeit der 1,6 Verfahrensgebühr zu bejahen.

Rz. 7

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Rz. 8

Das Beschwerdegericht hat zu Recht entschieden, dass der Beklagte für das Berufungsverfahren eine 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO von dem Kläger erstattet verlangen kann. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV entsteht auch dann in voller Höhe des 1,6-fachen der Gebühr nach § 13 RVG, wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten die Berufungserwiderung erst zu einem Zeitpunkt gefertigt und beim Berufungsgericht eingereicht hat, als dieses bereits den Beschluss gefasst hatte, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, dieser Beschluss jedoch dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsbeklagten erst zuging, als sein Schriftsatz bereits beim Berufungsgericht eingegangen war (vgl. BAG, Beschl. v. 18.4.2012 - 3 AZB 22/11, juris Rz. 9).

Rz. 9

a) Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insb. die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Maßstab dafür ist nach der Rechtsprechung des BGH, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Vornahme als sachdienlich ansehen durfte (vgl. BGH, Beschl. v. 26.1.2006 - III ZB 63/05, BGHZ 166, 117 Rz. 20; Beschl. v. 4.4.2006 - VI ZB 66/04, VersR 2006, 1089 Rz. 6; Beschl. v. 20.10.2005 - VII ZB 53/05, NJW 2006, 446 Rz. 12; Beschl. v. 23.3.2004 - VIII ZB 145/03, FamRZ 2004, 866, juris Rz. 27 m.w.N.).

Rz. 10

Der Schriftsatz des Beklagten vom 21.4.2016, mit dem er die Zurückweisung der Berufung beantragt und diesen Antrag näher begründet hat, ist zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen. Nach Begründung des Rechtsmittels hat der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern. Das gilt auch, wenn das Berufungsgericht darauf hingewiesen hat, dass es beabsichtigt, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, und der Berufungskläger hiergegen Einwände erhoben hat. Ein in dieser Prozesslage gestellter begründeter Antrag auf Zurückweisung der Berufung löst daher grundsätzlich die 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV aus (vgl. BGH, Beschl. v. 9.10.2003 - VII ZB 17/03, NJW 2004, 73, juris Rz. 9; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Aufl., VV 3201 Rz. 62 m.w.N.).

Rz. 11

b) Der Umstand, dass der begründete Antrag des Beklagten vom 21.4.2016 auf Zurückweisung der Berufung erst zu einem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist, als der Zurückweisungsbeschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO bereits erlassen war, führt nicht dazu, die dem Beklagten insoweit entstandenen Kosten als nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Der Beklagte durfte zu dem Zeitpunkt, als er den Schriftsatz vom 21.4.2016 an das Berufungsgericht absandte, davon ausgehen, dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts zwecks Stellung eines Antrags auf Zurückweisung der Berufung und zur Fertigung einer Berufungserwiderung zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war.

Rz. 12

Die Rechtsprechung des BGH, wonach die durch die Einreichung einer Berufungserwiderung nach Berufungsrücknahme entstandenen Kosten eines Rechtsanwalts auch dann nicht nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig sind, wenn der Berufungsbeklagte die Rechtsmittelrücknahme nicht kannte oder kennen musste (BGH, Beschl. v. 25.2.2016 - III ZB 66/15, BGHZ 209, 120 Rz. 10; kritisch hierzu: Müller-Rabe, JurBüro 2017, 3; Hansens, RVGreport 2016, 186), steht dem nicht entgegen. Anders als bei einer Rechtsmittelrücknahme, die mit Eingang bei Gericht unmittelbar zur Prozessbeendigung führt (§ 516 Abs. 2 ZPO), wird der Zurückweisungsbeschluss gem. § 329 Abs. 2 ZPO erst wirksam, wenn er den Parteien bekannt gemacht worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 19.10.2005 - VIII ZR 217/04, BGHZ 164, 347, 351 f., juris Rz. 10 f.).

III.

Rz. 13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 11378125

NJW 2018, 10

NJW 2018, 557

BauR 2018, 553

FamRZ 2018, 202

FA 2018, 24

JurBüro 2018, 39

ZAP 2018, 284

AnwBl 2018, 108

MDR 2018, 58

Rpfleger 2018, 233

ZfBR 2018, 147

ZfS 2018, 106

AGS 2018, 42

RVGreport 2018, 63

RENO 2018, 23

RVG prof. 2018, 22

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