Leitsatz (amtlich)

Der Staatsanwaltschaft steht im Verfahren über die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft kein Beschwerderecht nach § 59 Abs. 1 FamFG zu. Ein solches Recht ergibt sich auch nicht aus einer möglichen Beeinträchtigung des von der Staatsanwaltschaft wahrgenommenen öffentlichen Strafverfolgungsinteresses.

 

Normenkette

BGB § 1629 Abs. 2 S. 3, §§ 1796, 1909 Abs. 1 S. 1; FamFG § 59

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 02.07.2013; Aktenzeichen 6 WF 104/13)

AG Michelstadt (Entscheidung vom 15.05.2013; Aktenzeichen 47 F 1/13 PF)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Senats für Familiensachen in Darmstadt des OLG Frankfurt vom 2.7.2013 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 3.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Beteiligte zu 5) (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) führt gegen die Beteiligte zu 3), die Mutter der drei betroffenen Kinder, und deren Lebensgefährten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Das Sorgerecht für die Betroffenen steht der Beteiligten zu 3) und dem Beteiligten zu 4) (Vater), der nicht mit der Mutter zusammenlebt, gemeinsam zu. Die Staatsanwaltschaft hat beim AG für die betroffenen Kinder die Bestellung eines Ergänzungspflegers mit dem Aufgabenkreis Entbindung der behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht beantragt.

Rz. 2

Das AG hat der Mutter für die drei Kinder hinsichtlich der Entscheidung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht das Sorgerecht entzogen und es auf eine Ergänzungspflegerin übertragen. Einen teilweisen Entzug der elterlichen Sorge des Vaters und die Bestellung eines Ergänzungspflegers insoweit hat das AG abgelehnt.

Rz. 3

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das OLG wegen fehlender Beschwerdeberechtigung der Staatsanwaltschaft verworfen. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Rz. 5

1. Die nach § 70 Abs. 1 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde ist auch sonst zulässig. Die Beschwerdeberechtigung der Staatsanwaltschaft ergibt sich im Rechtsbeschwerdeverfahren bereits daraus, dass deren (Erst-) Beschwerde verworfen worden ist (BGH v. 18.4.2012 - XII ZB 624/11, FamRZ 2012, 1131 Rz. 3 m.w.N.).

Rz. 6

2. Das Beschwerdegericht hat eine Beschwerdebefugnis der Staatsanwaltschaft verneint und zur Begründung seiner in FamRZ 2014, 678 veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

Rz. 7

Zwar sei der Staatsanwaltschaft nach dem bis zum 1.9.2009 geltenden Recht in Fällen wie dem vorliegenden nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG bzw. § 20 FGG ein Beschwerderecht zugebilligt worden. Nach § 59 Abs. 1 FamFG stehe die Beschwerde dagegen nur noch demjenigen zu, der durch den angefochtenen Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt sei. Eine bloße Beeinträchtigung von Interessen genüge hierfür nicht. Dadurch unterscheide sich die Neuregelung der Beschwerdeberechtigung von dem früheren Recht. Insbesondere habe § 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG in die Neuregelung der Beschwerdeberechtigung keinen Eingang gefunden. Über den Fall einer Rechtsbeeinträchtigung hinaus räume § 59 Abs. 3 FamFG Behörden nur bei einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung eine Beschwerdeberechtigung ein.

Rz. 8

Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses als in Betracht kommendes rechtlich geschütztes Interesse seien vorliegend nicht erkennbar. Dass aus dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse nicht zwingend ein rechtlich geschütztes Interesse an einer Entscheidung des Sorgeberechtigten zugunsten der Beweiserhebung folge, bedürfe keiner weiteren Begründung. Rechtlich geschützt sei nur das Interesse an der Bestimmung eines Entscheidungsträgers für das Kind, der allein im Interesse des Kindes handele.

Rz. 9

Nach der erforderlichen tatrichterlichen Gesamtabwägung vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit sei eine Beeinträchtigung der Strafverfolgungsinteressen der Staatsanwaltschaft derzeit nicht erkennbar. Es sei schon zweifelhaft, ob hier ein Interessenwiderstreit mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne, denn der sorgeberechtigte Vater sei nicht Beschuldigter des Strafverfahrens und lebe mit der Mutter nicht mehr zusammen. Auch entstehe hier kein Interessenwiderstreit dadurch, dass der Vater selbst Interesse an dem erfolgreichen Ausgang des Strafverfahrens habe. Es bestehe keine hinreichend konkrete Gefahr, dass sich der Vater bei der Entscheidung über die Entbindung der die Kinder behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht nicht von den Interessen der Kinder leiten lasse.

Rz. 10

3. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand. Das Beschwerdegericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Staatsanwaltschaft die Beschwerdeberechtigung im Verfahren der Erstbeschwerde fehlt.

Rz. 11

a) Auf eine Sonderregelung für Behörden nach § 59 Abs. 3 FamFG lässt sich die Beschwerdeberechtigung der Staatsanwaltschaft nicht stützen. Über den Fall einer eigenen Rechtsbeeinträchtigung hinaus räumt die Vorschrift Behörden nur bei entsprechender besonderer gesetzlicher Anordnung eine Beschwerdeberechtigung ein (BGH v. 18.4.2012 - XII ZB 624/11, FamRZ 2012, 1131 Rz. 8). Eine solche Regelung der Beschwerdeberechtigung der Staatsanwaltschaft in Verfahren zur Bestellung eines Ergänzungspflegers findet sich weder im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit noch in anderen Vorschriften.

Rz. 12

b) Die Staatsanwaltschaft kann eine Beschwerdeberechtigung gegen die Ablehnung der Ergänzungspflegschaft auch nicht aus § 59 Abs. 1 FamFG herleiten.

Rz. 13

aa) Nach dieser Vorschrift, aus der sich für Behörden auch beim Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung i.S.v. § 59 Abs. 3 FamFG eine Beschwerdeberechtigung ergeben kann (vgl. Keidel/Meyer-Holz FamFG 18. Aufl., § 59 Rz. 64), steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist.

Rz. 14

Eine Rechtsbeeinträchtigung liegt vor, wenn der Entscheidungssatz des angefochtenen Beschlusses unmittelbar in ein dem Beschwerdeführer zustehendes Recht eingreift (BGH v. 19.1.2011 - XII ZB 326/10, FamRZ 2011, 465 Rz. 9 m.w.N.). Die angefochtene Entscheidung muss daher ein bestehendes Recht des Beschwerdeführers aufheben, beschränken, mindern, ungünstig beeinflussen oder gefährden, die Ausübung dieses Rechts stören oder dem Beschwerdeführer die mögliche Verbesserung seiner Rechtsstellung vorenthalten oder erschweren (BGH Beschl. v. 24.4.2013 - IV ZB 42/12, FamRZ 2013, 1035 Rz. 15 m.w.N.). Eine Beeinträchtigung lediglich wirtschaftlicher, rechtlicher oder sonstiger berechtigter Interessen genügt dagegen nicht (Keidel/Meyer-Holz FamFG 18. Aufl., § 59 Rz. 6). § 59 Abs. 1 FamFG entspricht somit inhaltlich dem früheren § 20 Abs. 1 FGG. Mit der Reform des familiengerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit war im Hinblick auf die Beschwerdeberechtigung gegenüber § 20 Abs. 1 FGG keine inhaltliche Änderung verbunden (BGH v. 9.1.2013 - XII ZB 550/11, FamRZ 2013, 612 Rz. 10; vgl. auch BT-Drucks. 16/6308, 204).

Rz. 15

Daher kann sich für eine Behörde aus § 59 Abs. 1 FamFG eine Beschwerdeberechtigung nur dann ergeben, wenn sie durch eine gerichtliche Entscheidung in gesetzlich eingeräumten eigenen Rechten unmittelbar betroffen ist (Keidel/Meyer-Holz FamFG 18. Aufl., § 59 Rz. 64). Eine bloße Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Erfüllung der einer Behörde übertragenen öffentlichen Aufgabe genügt dagegen nicht. Dies ergibt sich auch aus der Regelung des § 59 Abs. 3 FamFG. Aus dieser Vorschrift lässt sich schließen, dass eine Behörde nur dann zur Wahrung des von ihr vertretenen öffentlichen Interesses eine Beschwerdeberechtigung zustehen soll, wenn ihr eine solche spezialgesetzlich eingeräumt ist (vgl. Fischer NZFam 2014, 46).

Rz. 16

bb) Gemessen hieran hat das Beschwerdegericht eine Beschwerdeberechtigung der Staatsanwaltschaft zu Recht verneint.

Rz. 17

Bereits für die Fälle, in denen der gesetzliche Vertreter nach § 52 Abs. 2 Satz 3 StPO von der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts eines Minderjährigen ausgeschlossen ist, ist ein ausdrückliches Recht der Staatsanwaltschaft, beim FamG auf die Bestellung eines Ergänzungspflegers anzutragen, gesetzlich nicht vorgesehen. Daher kann die Einleitung des familiengerichtlichen Verfahrens auch vom Gericht ausgehen (vgl. KK-Senge 7. Aufl., § 52 StPO Rz. 29). Bei der Entscheidung über die Entbindung der Ärzte, die ein minderjähriges Kind behandeln, von der ärztlichen Schweigepflicht sieht das Gesetz ebenfalls kein Antragsrecht der Staatsanwaltschaft auf Bestellung eines Ergänzungspflegers vor.

Rz. 18

Ein solches Recht ergibt sich auch nicht aus einer möglichen Beeinträchtigung des von der Staatsanwaltschaft wahrgenommenen öffentlichen Strafverfolgungsinteresses. Dieses Interesse wird durch die Entscheidung des AG, dem Vater das Sorgerecht in diesem Bereich nicht zu entziehen und insoweit keine Ergänzungspflegschaft anzuordnen, lediglich mittelbar beeinträchtigt, weil die Entscheidung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht einer neutralen Person übertragen wird. Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt, ist dem Strafverfolgungsinteresse bereits dadurch Genüge getan, dass mit dem Vater ein gesetzlicher Vertreter der betroffenen Kinder vorhanden ist, der über die Schweigepflichtentbindung der behandelnden Ärzte entscheiden kann. Daran ändert auch die Befürchtung der Staatsanwaltschaft nichts, dass der Vater möglicherweise seine Entscheidung nicht unvoreingenommen und im Interesse der Kinder treffen wird. Deshalb könnte der Staatsanwaltschaft durch die unterbliebene Bestellung eines neutralen Ergänzungspflegers zwar die Ermittlungstätigkeit erschwert werden. Eine unmittelbare Beeinträchtigung in einem über das allgemeine öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung hinausgehenden subjektiven Recht erfährt die Staatsanwaltschaft hierdurch jedoch nicht.

Rz. 19

Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt, unterscheidet sich das seit 1.9.2009 geltende Recht insoweit von der früheren gesetzlichen Regelung. Diese enthielt in § 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG eine weitergehende Beschwerdeberechtigung, indem gegen die Ablehnung der Anordnung einer Pflegschaft auch derjenige beschwerdeberechtigt war, der nur ein rechtliches Interesse an der Änderung der Verfügung hatte (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler/Engelhardt FGG, 15. Aufl., § 57 Rz. 18 m.w.N.). Diese Regelung, aus der in der Vergangenheit das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft gegen Entscheidungen über die Bestellung eines Ergänzungspflegers hergeleitet worden ist (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 243, 244; OLG Düsseldorf FamRZ 1973, 547; Keidel/Kuntze/Winkler/Engelhardt FGG, 15. Aufl., § 57 Rz. 18), wurde - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - in das neue Recht nicht übernommen (BGH v. 18.4.2012 - XII ZB 624/11, FamRZ 2012, 1131 Rz. 8).

Rz. 20

c) Die nur für Antragsverfahren geltende Regelung in § 59 Abs. 2 FamFG begründet schließlich keine eigenständige Beschwerdeberechtigung, sondern enthält lediglich die Begrenzung einer grundsätzlich bestehenden Beschwerdeberechtigung auf die Person des Antragstellers (BGH v. 26.6.2013 - XII ZB 31/13, FamRZ 2013, 1380 Rz. 11; v. 18.4.2012 - XII ZB 624/11, FamRZ 2012, 1131 Rz. 8).

 

Fundstellen

NJW 2015, 58

EBE/BGH 2014

FamRZ 2015, 42

FuR 2015, 108

FGPrax 2015, 44

JZ 2014, 722

JZ 2014, 725

MDR 2014, 1407

FF 2014, 510

FamRB 2015, 13

NZFam 2014, 1110

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