Leitsatz (amtlich)

Eine analoge Anwendung des § 148 ZPO scheidet im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG (in der bis einschließlich 31.10.2012 geltenden Fassung) bzw. des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG (in der ab 1.11.2012 geltenden Fassung) mangels Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke aus. Das gilt auch für die Fälle, in denen eine Aussetzung nach dem KapMuG unzulässig ist.

 

Normenkette

ZPO § 148; KapMuG § 7 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2005-08-16, § 8 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2012-11-01

 

Verfahrensgang

OLG München (Beschluss vom 21.11.2011; Aktenzeichen 19 W 1831/11)

LG München I (Beschluss vom 14.09.2011; Aktenzeichen 28 O 10621/01)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 19. Zivilsenats des OLG München vom 21.11.2011 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss der 28. Zivilkammer des LG München I vom 14.9.2011 teilweise aufgehoben und die Fortsetzung des Verfahrens hinsichtlich des Streitverhältnisses des Klägers zur Beklagten zu 1) angeordnet.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 9.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

1. Der Kläger begehrt Schadensersatz im Zusammenhang mit der von ihm über die Beklagte zu 1) am 29.10.2004 gezeichneten Beteiligung an der V. 4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 4). Die Beteiligung wurde, wie im Beteiligungsangebot vorgesehen, teilweise obligatorisch durch ein Darlehen der Beklagten zu 2) finanziert.

Rz. 2

Mit der Klage will der Kläger von beiden Beklagten als Gesamtschuldner u.a. seinen Eigenkapitalanteil zurückgezahlt erhalten und von den Verpflichtungen aus dem Darlehen und von den steuerlichen und wirtschaftlichen Nachteilen seiner Beteiligung freigestellt werden. Er macht gegen die Beklagte zu 1) Ansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung und gegen die Beklagte zu 2) Ansprüche aus Prospekthaftung und daneben wegen Verletzung ihrer Nebenpflichten aus dem Darlehensverhältnis geltend.

Rz. 3

Beim OLG München ist ein Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (nachfolgend: KapMuG) durchgeführt worden, in dem die Beklagte zu 2) Musterbeklagte zu 2) ist. Das OLG München hat am 30.12.2011 (KAP 1/07, BeckRS 2012, 01153) einen Musterentscheid erlassen, gegen den Rechtsbeschwerde beim BGH unter dem Aktenzeichen II ZB 1/12 eingelegt worden ist. Über die Rechtsbeschwerde ist noch nicht entschieden.

Rz. 4

2. Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das LG mit Beschluss vom 17.2.2009 das Verfahren "nach § 148 ZPO analog ausgesetzt, bis das KapMuG-Verfahren des OLG rechtskräftig abgeschlossen ist". Gegen den Aussetzungsbeschluss hat die Beklagte zu 1) am 3.3.2009 sofortige Beschwerde eingelegt, diese jedoch am 5.3.2009 wieder zurückgenommen. Mit Schreiben vom 16.8.2011 hat der Kläger beantragt, das Verfahren wieder aufzunehmen und zu betreiben. Den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hat das LG mit Beschluss vom 14.9.2011 abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er sich lediglich gegen die fortbestehende Aussetzung des Verfahrens gegenüber der Beklagten zu 1) wendet. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 21.11.2011 zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II.

Rz. 5

Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts und teilweiser Aufhebung des Beschlusses des LG zur Anordnung der Fortsetzung des Klageverfahrens des Klägers gegen die Beklagte zu 1).

Rz. 6

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (WM 2012, 1433, mit ablehnender Anmerkung Wigand, EWiR 2012, 643, 644) im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 7

Die Aussetzung gem. § 148 ZPO liege im Ermessen des Gerichts. Die entsprechende Ermessensentscheidung des LG sei in der Rechtsmittelinstanz nur insoweit überprüfbar, ob das Gericht das Ermessen überhaupt ausgeübt habe, ob die Voraussetzungen dafür vorlägen und ob die Grenzen des Ermessens eingehalten worden seien. Die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Erstgericht sei nicht zu überprüfen.

Rz. 8

Die Aussetzung sei offensichtlich sachgerecht und jedenfalls nicht zu beanstanden. Dabei sei zunächst zu berücksichtigen, dass im Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur Reform des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes vom 21.7.2011 eine ausdrückliche Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 1 KapMuG auch auf Fälle der Anlageberatung und -vermittlung vorgesehen sei. Die Ansicht des BGH, dass Sinn und Zweck des KapMuG die Einbeziehung solcher Rechtsstreitigkeiten nicht gebiete, werde also offensichtlich nicht geteilt. Unabhängig davon hafte der Vermittler nicht, wenn der Prospekt richtig sei. Genau diese Frage sei jedoch Gegenstand des Musterverfahrens.

Rz. 9

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht die Ablehnung der Verfahrensfortsetzung durch das LG als rechtsfehlerfrei angesehen.

Rz. 10

a) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeerwiderung steht der Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses nicht entgegen, dass dieser - mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs durch den Kläger - rechtskräftig geworden ist. Die dadurch eingetretene Unanfechtbarkeit gilt nur für den Aussetzungsbeschluss selbst, nicht aber für eine Entscheidung des LG, mit der der Aussetzungsbeschluss aufgehoben wird (vgl. BGH v. 11.9.2012 - XI ZB 32/11, WM 2012, 2146 Rz. 12 m.w.N.) oder der Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt wird (vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 150 Rz. 11 zur Anwendbarkeit des § 252 ZPO). Dies folgt aus §§ 150, 250 ZPO, die die Aufnahme eines ausgesetzten Verfahrens grundsätzlich zulassen und die Entscheidung darüber in das Ermessen des Gerichts stellen, soweit nicht einerseits ein Aussetzungszwang oder andererseits eine Fortsetzungspflicht besteht (vgl. Senatsbeschluss, a.a.O.). Aufgrund dessen stellt eine Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses auch keine Umgehung der Frist des § 569 Abs. 1 ZPO dar (Senatsbeschluss, a.a.O., Rz. 13).

Rz. 11

b) Rechtsfehlerhaft ist das Beschwerdegericht von einer eingeschränkten Prüfungsbefugnis in Bezug auf das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes ausgegangen.

Rz. 12

aa) Soweit die Aussetzung - wie hier bei § 148 ZPO - in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, kann zwar die Entscheidung im Beschwerderechtszug nur auf Ermessensfehler kontrolliert werden. Das Beschwerdegericht hat jedoch uneingeschränkt zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund gegeben ist (BGH, Beschl. v. 12.12.2005 - II ZB 30/04, NJW-RR 2006, 1289, 1290 m.w.N.). Ist kein Aussetzungsgrund gegeben, bleibt für ein Ermessen nach § 150 ZPO kein Raum, sondern es besteht eine Fortsetzungspflicht. So liegt der Fall hier.

Rz. 13

bb) Eine Aussetzung nach § 148 ZPO kommt nicht in Betracht, weil dessen Voraussetzungen - wie der Senat für vergleichbare Fälle bereits entschieden hat - nicht vorliegen (BGH v. 16.6.2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rz. 18; v. 11.9.2012 - XI ZB 32/11, WM 2012, 2146 Rz. 16; vgl. auch BGH, Beschl. v. 28.2.2012 - VIII ZB 54/11, NJW-RR 2012, 575 Rz. 6 m.w.N.).

Rz. 14

cc) Auch eine analoge Anwendung des § 148 ZPO scheidet aus.

Rz. 15

(1) Nach der Rechtsprechung des BGH rechtfertigt die Tatsache, dass in einem anderen Verfahren über einen gleich oder ähnlich gelagerten Fall nach Art eines Musterprozesses entschieden werden soll, noch keine Aussetzung analog § 148 ZPO (BGH, Beschl. v. 28.2.2012 - VIII ZB 54/11, NJW-RR 2012, 575 Rz. 7 m.w.N.). Denn die Vorschrift stellt nicht auf sachliche oder tatsächliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verfahren, sondern auf die Abhängigkeit vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab. Allein die tatsächliche Möglichkeit eines Einflusses genügt dieser gesetzlichen Voraussetzung nicht, so dass die bloße Übereinstimmung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage die Aussetzung noch nicht erlaubt (BGH, Beschl. v. 28.2.2012 - VIII ZB 54/11, NJW-RR 2012, 575 Rz. 7 m.w.N.). Dem entsprechend hat auch der Gesetzgeber mit § 7 KapMuG (in der bis einschließlich 31.10.2012 geltenden Fassung, nachfolgend: a.F.; jetzt § 8 KapMuG in der ab dem 1.11.2012 geltenden Fassung, nachfolgend: nF) und § 93a VwGO eigens spezialgesetzliche Grundlagen für eine von § 148 ZPO bzw. der parallelen Vorschrift des § 94 VwGO an sich nicht mehr gedeckte Aussetzung von Musterverfahren geschaffen (BGH, Beschl. v. 28.2.2012 - VIII ZB 54/11, NJW-RR 2012, 575 Rz. 7 m.w.N.).

Rz. 16

(2) Nach diesen Maßstäben scheidet eine analoge Anwendung des § 148 ZPO im Anwendungsbereich des § 7 KapMuG a.F. (bzw. § 8 KapMuG nF) mangels Regelungslücke von vornherein aus. Gleiches gilt für die Fälle der vorliegenden Art, in denen die Aussetzung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. unzulässig ist. Auch in diesen Fällen besteht keine unbeabsichtigte Regelungslücke. Es würde eine vom Gesetzeszweck des KapMuG nicht gedeckte Umgehung der speziellen Regelungen über die Zulässigkeit von Aussetzungen in Anbetracht eines laufenden Musterverfahrens darstellen, wenn über eine analoge Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 148 ZPO eine Aussetzung in den Fällen möglich wäre, die nach § 7 KapMuG a.F. (bzw. § 8 KapMuG n.F.) ausdrücklich nicht ausgesetzt werden dürfen.

Rz. 17

c) Die Aussetzung kann entgegen der Intention des Beschwerdegerichts und der Beschwerdeerwiderung auch nicht auf § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. gestützt werden. Die Aussetzung des Rechtsstreits durch das LG nach § 7 KapMuG a.F. wäre unzulässig.

Rz. 18

aa) Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 1 KapMuG a.F. können Rechtsstreitigkeiten, in denen Schadensersatzansprüche gegen einen Anlageberater oder Anlagevermittler auf die Schlechterfüllung eines Beratungs- oder Auskunftsvertrages oder auf §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 und 3 BGB bzw. die Grundsätze der sog. Prospekthaftung im weiteren Sinne gestützt werden, von vornherein nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein. Das gilt auch dann, wenn sich die Haftung aus der Verwendung eines fehlerhaften Prospektes im Zusammenhang mit einer Beratung oder einer Vermittlung ergibt (vgl. BGH v. 10.6.2008 - XI ZB 26/07, BGHZ 177, 88 Rz. 15; v. 16.6.2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rz. 9 und XI ZB 31/08, juris Rz. 9; v. 30.11.2010 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rz. 11; v. 21.12.2010 - XI ZB 25/10, ZIP 2011, 493 Rz. 10; XI ZB 28/10 und 29/10, jeweils juris Rz. 10; s. dazu Anmerkung Simon, GWR 2011, 89; v. 25.1.2011 - XI ZB 32/10, juris Rz. 9; v. 12.4.2011 - XI ZB 36/10, juris Rz. 9; v. 17.5.2011 - XI ZB 2/11, juris Rz. 9 sowie BGH, Beschl. v. 30.10.2008 - III ZB 92/07, WM 2009, 110 Rz. 12, 15; v. 4.12.2008 - III ZB 97/07, juris, Rz. 15 ff.; v. 13.12.2011 - II ZB 6/09, WM 2012, 115 Rz. 14).

Rz. 19

In Fällen, in denen - wie hier - nach § 1 KapMuG a.F. ein Musterverfahren nicht durchgeführt werden kann, ist nach der Rechtsprechung des BGH eine Aussetzung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. unzulässig (vgl. BGH v. 16.6.2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rz. 7 und XI ZB 31/08, juris Rz. 7; v. 8.9.2009 - XI ZB 34 bis 38/08 sowie XI ZB 9/09 und XI ZB 11/09, jeweils juris Rz. 6 und XI ZB 4/09, XI ZB 7/09 und 8/09, jeweils juris Rz. 6, zu letzteren s. Anmerkung Corzelius, GWR 2009, 398; v. 6.10.2009 - XI ZB 17 bis 18/09 und 20 bis 21/09, jeweils juris Rz. 6; v. 10.11.2009 - XI ZB 29 bis 30/09, jeweils juris Rz. 6; v. 8.12.2009 - XI ZB 25/09 und XI ZB 27/09, jeweils juris Rz. 6; v. 25.1.2011 - XI ZB 32/10, juris Rz. 8; v. 12.4.2011 - XI ZB 36/10, juris Rz. 8; v. 17.5.2011 - XI ZB 2/11, juris Rz. 8; v. 30.11.2011 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rz. 10). Einem fehlerhaft nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. ausgesetzten Verfahren ist jedenfalls auf Verlangen Fortgang zu geben. Es ist einem Kläger nicht zuzumuten, dass ein wegen Verletzung von Beratungspflichten geführter Prozess ausgesetzt bleibt und er unabsehbare Zeit auf das Ergebnis des Musterverfahrens warten muss, obwohl nicht feststeht, dass es auf den Ausgang des Musterverfahrens in seinem Prozess tatsächlich ankommt. Hinzu kommt, dass der Anleger durch die Aussetzung Rechtsnachteile erleiden kann (vgl. BGH v. 11.9.2012 - XI ZB 32/11, WM 2012, 2146 Rz. 13 m.w.N.).

Rz. 20

bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts und der Beschwerdeerwiderung hat sich an dieser Rechtslage durch das am 1.11.2012 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 19.10.2012 (BGBl. I, 2182, vgl. dazu Wolf/Lange, NJW 2012, 3751 ff.; Bernuth/Kremer, NZG 2012, 890 ff. und Söhner, ZIP 2013, 7 ff.) für den vorliegenden Fall nichts geändert.

Rz. 21

(1) Nach der Übergangsvorschrift des § 27 KapMuG n.F. ist auf Musterverfahren, in denen vor dem 1.11.2012 bereits mündlich verhandelt worden ist, das KapMuG in seiner bis zum 1.11.2012 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. In dem Verfahren KAP 1/07 ist vor dem OLG München bereits vor dem 1.11.2012 mündlich verhandelt und ein Musterentscheid erlassen worden (OLG München, Beschl. v. 30.12.2011 - KAP 1/07, BeckRS 2012, 01153, juris Rz. 141). Für die Frage der Zulässigkeit der Aussetzung ist daher vorliegend § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. und die dazu ergangene Rechtsprechung des BGH weiterhin maßgeblich.

Rz. 22

(2) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts besteht aufgrund der Neufassung des KapMuG auch keine Veranlassung, die bisherige Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Aussetzung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. in Fällen, in denen kein Musterverfahrensantrag nach § 1 KapMuG a.F. gestellt werden konnte, zu ändern.

Rz. 23

(a) An der Grundaussage der Senatsrechtsprechung, dass ein originär nicht musterverfahrensfähiger Rechtsstreit nicht über die Aussetzung zur Teilnahme am Musterverfahren bestimmt werden darf, hat § 8 KapMuG n.F. nichts geändert. Zwar ist durch § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG n.F. der Anwendungsbereich des KapMuG auf Schadensersatzansprüche wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen unterlassener Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, erweitert worden. Jedoch setzt eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG n.F. ebenso wie nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. voraus, dass die geltend gemachten Klageansprüche überhaupt Gegenstand des Musterverfahrens sein können. Trotz der Erweiterung des Anwendungsbereichs des KapMuG können nicht unter Verwendung einer öffentlichen Kapitalmarktinformation begangene Aufklärungsfehler - wie beispielsweise das Verschweigen von Rückvergütungen - nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein, weil der Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation fehlt (vgl. BT-Drucks. 17/8799, 17). Ein insofern gestellter Musterverfahrensantrag muss nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG n.F. als unzulässig verworfen werden. Ein Rechtsstreit, in dem der Musterverfahrensantrag als unzulässig verworfen werden müsste, kann nicht durch Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG n.F. musterverfahrensfähig werden, denn sowohl § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG n.F. als auch § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG n.F. verlangen wortgleich, dass die Entscheidung des betroffenen Rechtsstreits von den Feststellungszielen abhängt.

Rz. 24

(b) Soweit die Gesetzesbegründung zu § 8 KapMuG n.F. abweichend von der Senatsrechtsprechung (vgl. BGH v. 11.9.2012 - XI ZB 32/11, WM 2012, 2146 Rz. 13) die Abhängigkeit grundsätzlich abstrakt beurteilen und dem Prozessgericht im Hinblick auf die Aussetzung einen Beurteilungsspielraum einräumen will (vgl. BT-Drucks. 17/8799, 20), so bestehen dagegen im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes Bedenken (vgl. Wolf/Lange, NJW 2012, 3751, 3753). Diesen Bedenken und der Frage einer möglichen revisionsrechtlichen Überprüfung des angesprochenen Beurteilungsspielraums muss hier nicht näher nachgegangen werden, da die Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG n.F. jedenfalls nicht als Begründung für eine Änderung der Rechtsprechung zu § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG a.F. herangezogen werden kann.

Rz. 25

(c) Darüber hinaus nimmt die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ausdrücklich Bezug auf den Senatsbeschluss vom 16.6.2009 (XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 = NJW 2009, 2539) und begründet die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde nach § 252 ZPO gegen eine Aussetzungsentscheidung mit den tragenden Erwägungen der Senatsrechtsprechung (vgl. BT-Drucks. 17/8799, 21), so dass auch aus diesem Grund eine Änderung der im genannten Senatsbeschluss aufgestellten Rechtsprechungsgrundsätze jedenfalls für die Aussetzung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. nicht veranlasst ist.

Rz. 26

3. Eine Kostenentscheidung ergeht nicht. Die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (vgl. BGH v. 30.11.2010 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rz. 18 m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 6787137

DB 2014, 6

EBE/BGH 2014

NJW-RR 2014, 758

EWiR 2014, 467

NZG 2014, 744

WM 2014, 992

WuB 2014, 519

ZIP 2014, 1045

AG 2014, 502

JZ 2014, 492

MDR 2014, 740

BKR 2014, 331

ZBB 2014, 186

ZWH 2014, 285

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