Entscheidungsstichwort (Thema)

Gebührenanrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren nach Prozessvergleich

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen der Gebührenanrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren nach einem Prozessvergleich.

 

Normenkette

RVG § 15a Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Beschluss vom 20.07.2010; Aktenzeichen I-25 W 298/10)

LG Dortmund (Beschluss vom 23.03.2010; Aktenzeichen 4 O 88/08)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats des OLG Hamm vom 20.7.2010 wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 336,47 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger hat den Beklagten wegen ärztlicher Behandlungsfehler auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Er beanspruchte als Nebenforderung mit der Klage vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 3.971,74 EUR. Das LG schlug den Parteien eine vergleichsweise Einigung des Inhalts vor, dass der Beklagte zur Abgeltung der Ansprüche an den Kläger 30.000 EUR sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 1.999,20 EUR zahle. Die Parteien vereinbarten hiervon abweichend die Zahlung eines Betrags i.H.v. 32.000 EUR ohne weitere Vereinbarung hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren des Klägers. Von den Kosten des Rechtsstreits sollten der Kläger 3/4 und der Beklagte 1/4 tragen. Die Kosten des Vergleichs wurden gegeneinander aufgehoben.

Rz. 2

Durch Beschluss des LG vom 6.1.2010 ist der Vergleich festgestellt worden. Der Berechnung im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Rechtspflegerin die vom Kläger geltend gemachte ungekürzte 1,3-Verfahrensgebühr zugrunde gelegt und die vom Kläger dem Beklagten zu erstattenden Kosten auf 1.171,16 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Das OLG hat die sofortige Beschwerde des Beklagten, mit der er die Anrechnung einer 0,75-fachen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr begehrt hat, als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter.

II.

Rz. 3

1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass die auf der Klägerseite nach Nr. 3100 VV-RVG angefallene 1,3-Verfahrensgebühr in voller Höhe in Ansatz zu bringen sei. Die Geschäftsgebühr sei nicht teilweise anzurechnen. Die seit dem 5.8.2009 geltende Vorschrift des § 15a RVG finde auf den Streitfall Anwendung, weil es sich dabei um eine bloße Klarstellung des wahren Willens des Gesetzgebers und nicht um eine Gesetzesänderung handle. Nach der Regelung in § 15a Abs. 1 RVG wirke sich die Anrechnung nur im Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandanten und nicht im Verhältnis zu Dritten aus. Im Kostenfestsetzungsverfahren komme die Anrechnung nur in den Fällen des § 15a Abs. 2 RVG in Betracht. Keine der dort genannten Alternativen sei im Streitfall gegeben. Der Beklagte habe bislang die Geschäfts- oder Verfahrensgebühr nicht erstattet. Es bestehe gegen ihn auch kein Vollstreckungstitel hinsichtlich der fraglichen Gebühren in Form des Vergleichs. Der Formulierung in Ziff. 1 des Vergleichs sei nicht zu entnehmen, ob und ggf. in welcher Höhe die Geschäftsgebühr bei der Festsetzung des Vergleichsbetrags Berücksichtigung gefunden habe. Etwaige Leistungen des Beklagten könnten daher nicht als teilweise Erfüllung der Kostenforderung angesehen werden.

Rz. 4

Der Vergleich stelle keinen Vollstreckungstitel bezüglich der Geschäftsgebühr dar, der die Anrechnung gem. § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG rechtfertigen würde. Die vergleichsweise Regelung betreffe den auf die Hauptsache zu zahlenden Betrag und die Verteilung der Kosten. Sonstige mit der Klage geltend gemachte Forderungen würden durch den Vergleich nicht tituliert. Die Anrechnung der mit dem Vergleich abgegoltenen und deshalb nicht mehr erstattungsfähigen Geschäftsgebühr würde auch nicht dem Parteiwillen bei Abschluss des Vergleichs gerecht. Die Anrechnung vermindere nämlich regelmäßig die sich aus der Kostenregelung im Vergleich ergebende Kostenlast der beklagten Partei.

Rz. 5

Ob Hauptsacheverfahren und Kostenfestsetzungsverfahren als dasselbe Verfahren i.S.d. § 15a Abs. 2 Fall 3 RVG anzusehen seien, könne dahinstehen, da nach dem Vergleichsschluss nicht mehr feststehe, dass die Geschäftsgebühr noch geltend gemacht werde. Es könne auch ein vollständiger oder teilweiser Verzicht auf diese Nebenforderung gegeben sein.

Rz. 6

2. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 575 ZPO) hat keinen Erfolg.

Rz. 7

a) Dass § 15a RVG auf den Streitfall Anwendung findet, wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt. Nach der Auffassung des Senats (vgl. Beschlüsse v. 19.10.2010 - VI ZB 26/10, juris Rz. 8; v. 16.11.2010 - VI ZB 47/10; BGH, Beschl. v. 2.9.2009 - II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 Rz. 6 ff.; v. 9.12.2009 - XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375 Rz. 11 ff. m.w.N. zum Streitstand; v. 3.2.2010 - XII ZB 177/09, FamRZ 2010, 806 Rz. 10; v. 11.3.2010 - IX ZB 82/08, AGS 2010, 159; juris Rz. 6; v. 29.4.2010 - V ZB 38/10, FamRZ 2010, 1248 Rz. 9 f.; v. 10.8.2010 - VIII ZB 15/10, Rz. 9 juris) ist auch für die Zeit vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.7.2009, BGBl. I, 2449) davon auszugehen, dass die in Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG angeordnete Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr für die Höhe der gesetzlichen Gebühren im Verhältnis der Prozessparteien untereinander ohne Bedeutung ist und die entsprechend berechtigte Prozesspartei die Erstattung einer ungekürzten Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG beanspruchen kann.

Rz. 8

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht nach den Regelungen in § 15a Abs. 2 RVG in Betracht. Danach kann ein Dritter sich auf die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat oder wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Keine dieser Alternativen ist im Streitfall gegeben.

Rz. 9

aa) Im Kostenfestsetzungsverfahren haben materiell-rechtliche Einwendungen grundsätzlich unbeachtlich zu bleiben (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 29.9.2010 - 2 W 266/10, juris Rz. 30-33 m.w.N.). Sie sind ggf. im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend zu machen. Die nach § 15a Abs. 2 Fall 1 RVG zulässige Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr im Fall der Erfüllung lässt ausnahmsweise eine materiell-rechtliche Einwendung zu. Im Hinblick auf die begrenzte Prüfungsbefugnis des Rechtspflegers im Kostenfestsetzungsverfahren (vgl. in Prütting/Gehrlein/K. Schmidt ZPO, 2. Aufl., § 104 Rz. 15; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 104 Rz. 21 "materiell-rechtliche Einwendungen") ist hierfür aber Voraussetzung, dass die Erfüllung unstreitig oder ohne Weiteres feststellbar ist (vgl. BGH, Beschl. v. 11.10.2006 - XII ZR 285/02, NJW 2007, 1213, Rz. 10 in juris). Mit Recht hält das Beschwerdegericht im Hinblick auf die fehlende Bezifferung des auf die Geschäftsgebühr entfallenden Zahlungsbetrags im Vergleich die Voraussetzungen für eine Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren im Streitfall für nicht gegeben.

Rz. 10

Der Formulierung in Ziff. 1 des Vergleichs ist nicht zu entnehmen, ob und ggf. in welcher Höhe die Geschäftsgebühr bei der Festsetzung des Vergleichsbetrags Berücksichtigung gefunden hat. Der gerichtliche Vergleichsvorschlag einer Zahlung von 30.000 EUR zzgl. einer Geschäftsgebühr i.H.v. 1.999,20 EUR statt der eingeklagten Geschäftsgebühr i.H.v. 3.971,74 EUR wurde von den Parteien nicht akzeptiert. Dass in den Vergleichsbetrag von 32.000 EUR die Kostenforderung i.H.v. 1.999,20 EUR eingeflossen ist, ist möglich, jedoch nicht zwingend. Selbst im Fall vollständiger Leistung des Vergleichsbetrags kann nicht ohne Weiteres festgestellt werden, inwieweit dieser Zahlung Erfüllungswirkung i.S.d. § 15a Abs. 2 Fall 1 RVG hinsichtlich der Geschäftsgebühr zukommen könnte. Auch aus der Abgeltungsklausel des Vergleichs folgt nicht zwingend, dass mit der Leistung der Vergleichssumme die geltend gemachten Ansprüche als in voller Höhe erfüllt gelten sollten. Sie bedeutet lediglich, dass der Kläger auf die Forderungen, die die Vergleichssumme der Höhe nach übersteigen, bei Erfüllung des Vergleichs verzichtet.

Rz. 11

bb) Der Vergleich vom 6.1.2010 stellt auch keinen die Anrechnung gem. § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG rechtfertigenden Vollstreckungstitel bezüglich der Geschäftsgebühr dar. Die Abgeltung der klageweise geltend gemachten Forderungen durch eine vergleichsweise vereinbarte Teilleistung kann nicht mit der Titulierung der Gesamtforderung gleichgesetzt werden. Zwar wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung vereinzelt die Auffassung vertreten (OLG Saarbrücken, AGS 2010, 60, 61 ff.), dass die Anrechnung zu erfolgen habe, weil durch den Begriff der "Abgeltung" hinreichend zum Ausdruck gebracht werde, dass die Zahlung des vereinbarten Betrags auch der Erfüllung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr diene. Damit sei die Geschäftsgebühr von dem durch den Vergleich titulierten Zahlungsanspruch umfasst. Jedoch lehnt die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung eine Anrechnung in diesen Fällen ab (vgl. etwa OLG München, JurBüro 2010, 23, 24; OLG Naumburg, JurBüro 2010, 299, 300; OLG Celle, Beschl. v. 29.9.2010 - 2 W 266/10, juris Rz. 23-28; OLG Karlsruhe, AGS 2010, 209 Rz. 29-32 in juris).

Rz. 12

Es kann dahinstehen, ob von einer Titulierung durch den Vergleich dann ausgegangen werden könnte, wenn der Vergleich eine unmissverständliche Regelung enthielte, wonach die entsprechende Gebühr in einer bestimmten Höhe abgegolten werde. Jedenfalls für den Fall, dass der Vergleich eine solche ausdrückliche Regelung nicht enthält, stellt er keinen Vollstreckungstitel für die Geschäftsgebühr gegen den Dritten dar. Dies folgt schon daraus, dass nur dann, wenn der Vergleich die Geschäftsgebühr als eigenen bezifferten Gegenstand ausweist, konkret festgestellt werden kann, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr auf die entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Auch der Wortlaut des § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG macht das Erfordernis einer betragsmäßigen Bezifferung des Anspruchs deutlich. Danach kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen, "soweit wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht ...".

Rz. 13

Im vorliegenden Vergleich ist nur die Verteilung der Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs zwischen den Parteien tituliert. In welchem Umfang die vorgerichtlichen Kosten mit dem Vergleichsschluss erledigt werden sollten bzw. in der Vergleichssumme, die an den Kläger zu zahlen ist, eingeschlossen sind, lässt sich daraus nicht entnehmen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann zur Bestimmung des Inhalts des Vergleichs auch nicht auf die Prozessakten und die im Rechtsstreit vor Vergleichsschluss gestellten Anträge zurückgegriffen werden. Da es sich um einen Vollstreckungstitel handelt, ist allein der protokollierte Inhalt des Vergleichs maßgebend (vgl. Zöller/Stöber, a.a.O., § 794 Rz. 14a und § 704 Rz. 5).

Rz. 14

cc) Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr kann auch nicht nach § 15a Abs. 2 Fall 3 RVG erfolgen. Der Rechtsbeschwerde ist zuzugeben, dass der Vorschrift nicht eindeutig entnommen werden kann, was unter demselben Verfahren i.S.d. § 15a Abs. 2 Fall 3 RVG zu verstehen ist. Im Streitfall bedarf diese Frage deshalb keiner Klärung, weil die Voraussetzungen der Anrechnung jedenfalls mangels einer betragsmäßigen Bezifferung der Geschäftsgebühr im Vergleich nicht gegeben sind.

Rz. 15

Wäre "das selbe Verfahren" i.S.d. § 15a Abs. 2 Fall 3 RVG umfassend als Hauptsache- und Kostenfestsetzungsverfahren zu verstehen, ist nach Sinn und Zweck der Regelungen in § 15a Abs. 2 RVG die Anrechnung jedenfalls daran gebunden, dass die Geschäftsgebühr im Hauptsacheverfahren erfolgreich geltend gemacht worden ist. Nur dann kann die Geschäftsgebühr vom Rechtspfleger betragsmäßig im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren zur Anrechnung auf die Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht werden. Die Parteien haben aber auf eine betragsmäßige Festlegung der Geschäftsgebühr im Vergleich verzichtet. Auch im Übrigen lässt sich dem Vergleich nicht entnehmen, ob die Geschäftsgebühr davon umfasst ist. Kommt die Berufung auf die Anrechnung hingegen nur dann in Frage, wenn beide Gebühren im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht worden sind (BGH, Beschl. v. 29.9.2009 - X ZB 1/09, NJW 2010, 76, Rz. 25), fehlt im vorliegenden Fall die Geltendmachung der Geschäftsgebühr durch den Kläger im Kostenfestsetzungsverfahren. Kommt mithin eine Anrechnung nicht in Betracht, ist die Verfahrensgebühr - wie geschehen - ungeschmälert festzusetzen.

Rz. 16

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2590635

NJW 2011, 861

EBE/BGH 2011

JurBüro 2011, 188

AnwBl 2011, 226

MDR 2011, 135

VersR 2011, 899

AGS 2011, 6

HRA 2011, 9

NJW-Spezial 2011, 59

RVGreport 2011, 65

VRR 2011, 196

BRAK-Mitt. 2011, 92

RVG prof. 2011, 20

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