Entscheidungsstichwort (Thema)

Mord

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 19.09.2006; Aktenzeichen 2 BvR 2115/01, 2 BvR 2132/01, 2 BvR 348/03)

 

Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 5. Juli 2000 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts merkt der Senat an:

Die Rüge einer etwaigen Verletzung von Art. 36 Abs. 1 lit. b) des Wiener Übereinkommens vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 1963 (BGBl. II 1969 S. 1585) bleibt ohne Erfolg.

Die Beschwerdeführer machen geltend, daß der vorläufig festgenommene Angeklagte S vor seiner polizeilichen Vernehmung, in der er sich teilgeständig zeigte, nicht über seine Rechte nach dem WÜK belehrt worden sei.

Zwar enthält die genannte Bestimmung nicht nur zwischenstaatliche Bestimmungen, sondern sie kann unter den dort genannten Voraussetzungen auch subjektive Rechte eines einzelnen Staatsangehörigen begründen (vgl. Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 27. Juni 2001 im „LaGrand Case” Germany v. United States of America; nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287, 290, Nr. 77). Dafür spricht insbesondere der Wortlaut der genannten Regelung, nach dem die konsularische Vertretung des Entsendestaates (nur) „auf Verlangen des Betroffenen” über dessen Festnahme etc. zu unterrichten ist (im englischen Vertragstext: „if he so requests”) und „diese Behörden haben den Betroffenen … über seine Rechte … zu unterrichten” („The said authorities shall inform the person concerned … of his rights”). Zudem dürfen Konsularbeamte nach Art. 36 Abs. 1 lit. c) WÜK für einen festgehaltenen Staatsangehörigen dann nicht tätig werden, wenn der Betroffene ausdrücklich Einspruch dagegen erhebt („if he expressly opposes such action”).

Gleichwohl hat die Verfahrensrüge keinen Erfolg. So ist schon zweifelhaft, ob neben dem Angeklagten S die weiteren Angeklagten ihre Revision auf einen etwaigen Verstoß gegen das WÜK stützen können, da die genannten Bestimmungen nur dem Festgenommenen selbst bestimmte Rechte gewähren (vgl. dazu BGHSt 11, 213; BGHR StPO § 136 – Belehrung 5; siehe aber auch BGHSt 33, 148). Indes kommt es hierauf nicht an.

Der unmittelbar Betroffene soll durch die genannte Vorschrift nicht vor eigenen unbedachten Äußerungen geschützt werden, die er vor der Kontaktaufnahme mit dem für ihn zuständigen Konsularbeamten bzw. der entsprechenden Belehrung über seine diesbezüglichen Rechte gemacht hat. Insoweit gewährt das WÜK keinen über § 136 StPO hinausgehenden Schutz; mögliche sprachliche Defizite eines ausländischen Beschuldigten werden durch die unentgeltliche Unterstützung eines Dolmetschers nach Art. 6 Abs. 3 lit. e) EMRK ausgeglichen (vgl. dazu BGHSt 46, 178). Durch die Benachrichtigung der konsularischen Vertretung soll vielmehr verhindert werden, daß Angehörige eines Entsendestaates, die außerhalb ihrer Heimat vielfach nur über geringe oder gar keine Sozialkontakte verfügen, dort aufgrund staatlichen Zugriffs spurlos aus der Öffentlichkeit verschwinden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 114b Rdn. 1). Allein insoweit ergänzt das WÜK deutsches Strafverfahrensrecht, insbesondere – bei ansonsten identischer Zielrichtung – Art. 104 Abs. 4 GG und § 114b StPO (vgl. zu den beiden letztgenannten Bestimmungen: Gusy in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG 4. Aufl. Art. 104 Rdn. 71; Boujong in KK 4. Aufl. § 114b Rdn. 1). Für eine zusätzliche Privilegierung von Angehörigen der dem WÜK beigetretener Staaten gegenüber anderen – deutschen wie nichtdeutschen – Beschuldigten gibt das Übereinkommen nichts her.

Schließlich hat die Verfahrensrüge auch deshalb keinen Erfolg, weil „zuständige Behörde” für die Belehrung des Festgenommenen und die Benachrichtigung dessen konsularischer Vertretung nach Art. 36 Abs. 1 lit. b) WÜK nicht die unmittelbar festnehmende Polizei, sondern der in §§ 115, 115a, 128 StPO genannte Richter ist. Dafür spricht schon der Wortlaut der Bestimmung, nach der – was anderenfalls zumindest nahegelegen hätte – nicht etwa die festnehmenden Polizeibeamten, sondern die (nach nationalem Recht) zuständigen Behörden des Empfangsstaates zur Belehrung und Benachrichtigung verpflichtet werden (im englischen Vertragstext: „the competent authorities” bzw. später darauf Bezug nehmend: „the said authorities”). Nach deutschem Recht ist aber ausschließlich der Richter für die Benachrichtigung Dritter zuständig – er also im Sinne des WÜK auch zuständige Behörde –, wenn ein Beschuldigter nach den §§ 112 ff. StPO festgenommen wurde (vgl. § 114b Abs. 1 Satz 2 StPO). Da nach Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. § 115 Abs. 1, § 115a Abs. 1 und § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO der Festgenommene „unverzüglich” dem zuständigen Richter vorgeführt werden muß, ist auch gewährleistet, daß der Betroffene ohne Verzögerung über seine Rechte aus dem WÜK von diesem Richter belehrt wird und er seine konsularische Vertretung von seiner Festnahme unterrichten lassen kann.

 

Unterschriften

Harms, Häger, Raum, Brause, Schaal

 

Fundstellen

Haufe-Index 651859

NStZ 2002, 168

wistra 2002, 68

StV 2003, 57

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