Leitsatz (amtlich)

Unter der nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nachzuholenden Prozeßhandlung im Wiedereinsetzungsverfahren wegen Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist ist ausschließlich die Rechtsmittelbegründung zu verstehen; die Einreichung eines Antrages auf Fristverlängerung erfüllt nicht die Zulässigkeitsanforderungen des Wiedereinsetzungsverfahrens.

 

Normenkette

ZPO § 236 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 19 U 61/88)

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2/26 O 452/96)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird der Beschluß des 9. Zivilsenats der Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Juli 1998 aufgehoben und ihnen wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

 

Gründe

I.

Die Klage, mit der Ansprüche aus einer früheren Gesellschafterstellung des Beklagten verfolgt werden, ist durch Urteil des Landgerichts vom 3. Februar 1998 abgewiesen worden. Gegen das Urteil haben die Kläger ordnungsgemäß und fristgerecht am 3. April 1998 Berufung eingelegt; die Frist für die Begründung der Berufung lief am Montag, dem 4. Mai 1998 ab. Der Vorsitzende des Berufungszivilsenats hat dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger zu dessen schriftlicher Bitte vom 7. Mai 1998, auf die mit Schriftsatz vom 28. April 1998 beantragte Verlängerung für die Einreichung der Berufungsbegründung eine Bestätigung zuzuleiten, mitgeteilt, ein derartiger Verlängerungsantrag – ebenso wie die Berufungsbegründung selbst – sei bei dem Berufungsgericht nicht eingegangen. Auf diese am 14. Mai 1998 zugegangene Nachricht hat die amtlich bestellte Vertreterin des Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom selben Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und diesen Antrag damit begründet, der Prozeßbevollmächtigte der Kläger persönlich habe anläßlich der Wahrnehmung eines Gerichtstermins vor dem Oberlandesgericht den Fristverlängerungsantrag in das dafür bestimmte Fach der Briefannahmestelle des Oberlandesgerichts eingeworfen, nachdem am Vortag die Übermittlung dieses Antrages an das Gericht per Telefax an der Betriebsstörung des Empfangsgeräts gescheitert sei. Der Versuch einer telefonischen Rückfrage am Nachmittag des 4. Mai 1998 sei erfolglos gewesen, weil sich auf der Geschäftsstelle des Senats niemand gemeldet habe. Mit dem Wiedereinsetzungsantrag ist zugleich der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erneuert und außerdem die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Rechtsanwalts H. nach dem 24. Mai 1998, dem Zeitpunkt seiner Rückkehr aus dem Urlaub, in Aussicht gestellt worden. Diese eidesstattliche Versicherung ist am 27. Mai gefertigt worden und am folgenden Tag bei dem Berufungsgericht eingegangen. Auf das Wiedereinsetzungsgesuch vom 14. Mai 1998 hatte der Vorsitzende des Senats am 18. Mai 1998 verfügt:

„… wird die Berufungsbegründungsfrist vorbehaltlich einer Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch bis 4.6.1998 verlängert; über das Wiedereinsetzungsgesuch soll nicht entschieden werden, bevor die eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts H. vorliegt.”

Die Berufungsbegründungsschrift ist am 3. Juni 1998 bei dem Oberlandesgericht eingegangen.

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Kläger.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Sie führt im Ergebnis zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

1. Zutreffend ist allerdings die Auffassung des Oberlandesgerichts, daß das von den Klägern eingereichte Wiedereinsetzungsgesuch vom 14. Mai 1998 nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger war nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO gehalten, die versäumte Prozeßhandlung innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist nachzuholen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, Beschl. v. 16. Oktober 1986 - III ZB 30/86, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 „Prozeßhandlung, nachgeholte”; Beschl. v. 12. Oktober 1989 - I ZB 3/89, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 „Nachholung der Berufungsbegründung 1”; Beschl. v. 21. Juni 1990 - IX ZR 227/89, VersR 1991, 122; Beschl. v. 4. Oktober 1994 - VI ZB 17/93, VersR 1995, 480), die in Übereinstimmung mit der Judikatur anderer Oberster Gerichtshöfe des Bundes (BFH, Beschl. v. 1. Dezember 1986 - GrS 1/85, BFHE 148, 414 ff.; BAG, Beschl. v. 16. Januar 1989 - 5 AZR 579/88, NJW 1989, 1181; BAG, Urt. v. 17. Oktober 1995 - 3 AZR 863/94, NJW 1996, 1365, 1366) steht und auch vom Schrifttum (Stein/Jonas/H.Roth, ZPO 21. Aufl. § 236 Rdn. 12; Zöller/Greger, ZPO 21. Aufl. § 236 Rdn. 8; Thomas/Putzo, ZPO 21. Aufl. § 236 Rdn. 8; Musielak/Grandel, ZPO § 236 Rdn. 6) fast einhellig geteilt wird, ist unter der nachzuholenden Prozeßhandlung bei Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist nicht ein Fristverlängerungsantrag, sondern ausschließlich die Rechtsmittelbegründung selbst zu verstehen. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger bzw. seine amtlich bestellte Vertreterin wären deswegen gehalten gewesen, bis zum 28. Mai 1998 die Rechtsmittelbegründung bei Gericht einzureichen. Zwar führt dies zu einer kürzeren Begründungsfrist, als sie der Partei zur Verfügung stünde, wenn die Begründungsfrist verlängert worden wäre. Dies hat die betroffene Partei jedoch hinzunehmen, weil der Gesetzgeber im Wiedereinsetzungsverfahren dem Beschleunigungsgedanken besonderes Gewicht beigemessen und für die versäumte Prozeßhandlung lediglich eine zweiwöchige Frist vorgesehen hat.

2. Auch wenn danach die Kläger, die ihre Berufungsbegründung erst am 3. Juni 1998, also nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingereicht haben, die Wiedereinsetzungsfrist nicht gewahrt haben, ist ihr Wiedereinsetzungsgesuch nicht unzulässig. Ihre Prozeßbevollmächtigten, deren Verschulden sie sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen, haben nämlich diese Frist ohne eigenes Verschulden versäumt, so daß ihnen auf ihren im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu gewähren ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war nämlich die Fristverlängerungsverfügung des Vorsitzenden des Senats vom 18. Mai 1998 nicht bedeutungslos. Sie stand vor allem nicht – wie in dem angefochtenen Beschluß ausgeführt worden ist – unter dem Vorbehalt, daß vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist überhaupt ein Fristverlängerungsantrag eingereicht worden war. Denn nicht hiervon hatte der Senatsvorsitzende die Fristverlängerung abhängig gemacht, sondern allein von einer positiven Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch selbst; eine solche Entscheidung konnte jedoch allein bei einer Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, mithin einer nicht rechtzeitigen Einreichung eines Fristverlängerungsantrags in Betracht kommen.

Die Verfügung des Vorsitzenden war irreführend und hat die Versäumung der Frist durch den Prozeßbevollmächtigten der Kläger veranlaßt (vgl. Zöller/Greger aaO, § 233 Rdn. 23 „Rechtsirrtum”). Für eine Fristverlängerung war auf der Grundlage der oben dargestellten ganz herrschenden Ansicht, die das Berufungsgericht in dem angefochtenen Beschluß selbst vertreten hat, daß nachgeholte Prozeßhandlung im Sinne des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO bei der Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist allein die Einreichung der Begründungsschrift sein kann, kein Raum. Wenn jedoch die Berufungsbegründungsfrist „vorbehaltlich einer Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch” über die Wiedereinsetzungsfrist hinaus bis zum 4. Juni 1998 verlängert wurde, durfte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger bzw. seine amtlich bestellte Vertreterin ohne eigenes Verschulden annehmen, daß der Vorsitzende des Berufungszivilsenats abweichend von der ganz herrschenden Meinung schon durch die Anbringung eines Fristverlängerungsantrags zusammen mit dem Wiedereinsetzungsgesuch die Voraussetzungen des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO als erfüllt ansah und daß die Einreichung der Begründungsschrift bis zum Ablauf der verlängerten Frist rechtzeitig war.

3. Das Wiedereinsetzungsgesuch vom 14. Mai 1998 war auch in der Sache begründet. Die gegenteilige Entscheidung des Berufungsgerichts, das nicht nur die rechtzeitige Einlieferung des Fristverlängerungsantrags bei Gericht für nicht glaubhaft gemacht angesehen, sondern dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger als Verschulden angelastet hat, daß er sich nicht rechtzeitig darüber vergewissert hat, ob dem Antrag stattgegeben worden ist und vorsorglich den Verlängerungsantrag erneut gestellt hat, ist rechtsfehlerhaft.

a) Soweit das Berufungsgericht es für nicht erwiesen und nicht einmal für glaubhaft gemacht hält, daß der Fristverlängerungsschriftsatz am 29. April 1998 – also vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist – bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist, ist es nicht nur von unzutreffenden Beweisanforderungen ausgegangen, weil nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen nicht bewiesen, sondern lediglich glaubhaft gemacht zu werden brauchen. Es hat auch die Anforderungen an die Glaubhaftmachung überspannt. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hat nicht nur anwaltlich, sondern auch eidesstattlich versichert, daß er persönlich das Schreiben in das dafür bei dem Oberlandesgericht bestimmte Fach gelegt hat. Er hat dies substantiiert und nachvollziehbar damit begründet, daß seine Sekretärin entgegen seiner klaren Weisung in diesem Fall versäumt gehabt habe, das Quittungsschreiben vorzubereiten, das bei dem Oberlandesgericht Frankfurt vorgelegt werden muß, falls ein Schriftsatz nicht – wie zulässig – in das Gerichtsfach eingeworfen werden, sondern sogleich mit einer Eingangsbestätigung des zur Entgegennahme derartiger Schriftsätze bereitstehenden Justizbediensteten versehen werden soll.

Wenn das Oberlandesgericht diese eidesstattliche Versicherung nicht gelten lassen will, weil es an dem – durch Quittung zu führenden – Eingangsnachweis fehle, läuft dies im Ergebnis darauf hinaus, daß es entweder eine eidesstattliche Versicherung als Mittel der Glaubhaftmachung in diesen Fällen generell nicht oder jedenfalls Anwälte zur eidesstattlichen Versicherung nicht zulassen will. Dies ist dem deutschen Zivilprozeßrecht fremd. Es sieht in § 294 ZPO, auf den § 236 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. ZPO verweist, ausdrücklich auch die eidesstattliche Versicherung vor, ohne daß etwa hinsichtlich des Prozeßbevollmächtigten einer Partei irgendwelche Einschränkungen gemacht worden wären.

b) Aus der Tatsache, daß der Schriftsatz in der Folgezeit nicht zu der Akte gelangt ist, kann ebenfalls nicht entnommen werden, daß der Anwalt die Unwahrheit eidesstattlich versichert oder – was das Oberlandesgericht vorsorglich vermutet – die Fächer verwechselt hat. Daß letzteres nicht der Fall ist, hat Rechtsanwalt H. ausdrücklich eidesstattlich versichert. Bei einem so großen Gericht, wie dem Oberlandesgericht Frankfurt, das – wie der vorliegende Fall belegt – nicht einmal über ein sicher funktionierendes Telefax-Gerät verfügt, kann keinesfalls ausgeschlossen werden, daß Schreiben auf dem Weg von der Postannahmestelle zur Geschäftsstelle abhanden kommen.

c) Auch im übrigen ist die Begründung des Berufungsgerichts von Rechtsirrtum beeinflußt. Es entspricht ständiger Rechtsprechung (vgl. ausführliche Nw. bei Gerda Müller NJW 1998, 497 ff., 506 Fn. 171; zweifelnd Zöller/Greger aaO, § 233 Rdn. 23 „Fristverlängerung”), daß ein Anwalt damit rechnen kann, einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist werde stattgegeben werden, sofern die Gründe des § 519 Abs. 2 ZPO dargelegt werden. Ein solcher Grund – Urlaub des Prozeßbevollmächtigten – ist hier angegeben worden. Zu einer Erkundigung, ob seinem Antrag entsprochen worden sei, war der Prozeßbevollmächtigte deswegen grundsätzlich nicht verpflichtet. Dies gilt auch unter den hier gegebenen Umständen eines quittungslosen Einwurfs in das Kastenfach des Oberlandesgerichts, weil es für die Verlustgefahr keinen Unterschied macht, ob der Eingang des Schriftsatzes auf der Briefannahmestelle quittiert oder ob das Schriftstück ohne einen solchen Nachweis eingeworfen worden und in den Geschäftsgang gelangt ist. Wenn der Prozeßbevollmächtigte der Kläger dennoch durch seine Sekretärin bei dem Berufungsgericht hat nachfragen lassen, hat er überobligationsmäßig gehandelt. Der Umstand, daß das Büro des Anwalts die Geschäftsstelle telefonisch nicht erreicht hat, verpflichtete den Prozeßbevollmächtigten der Kläger nicht dazu, vorsorglich den Verlängerungsantrag per Telefax oder durch Boten erneut bei dem Berufungsgericht einzureichen (vgl. Zöller/Greger aaO, § 233 Rdn. 23 „Fristverlängerung”).

4. Die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens haben die Kläger zu tragen, was das Berufungsgericht bei seiner demnächst zu treffenden Kostenentscheidung zu berücksichtigen hat (Zöller/Greger aaO, § 238 Rdn. 11 m. Nw.).

 

Unterschriften

Röhricht, Henze, Goette, Kurzwelly, Kraemer

 

Fundstellen

Haufe-Index 538623

DStR 1999, 1119

HFR 2000, 386

NJW 1999, 3051

EBE/BGH 1999, 234

EWiR 1999, 1085

Nachschlagewerk BGH

MDR 1999, 1094

SGb 1999, 626

VersR 2000, 647

MittRKKöln 1999, 237

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