Leitsatz (amtlich)

Zu den "eigenen Einkünften" des Unterhaltsberechtigten, die dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens einschränken oder ausschließen können, gehört auch der von anderen Unterhaltsverpflichteten gezahlte Barunterhalt.

 

Normenkette

InsO § 36 Abs. 4; ZPO § 850c Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Beschluss vom 11.08.2008; Aktenzeichen 8 T 88/08)

AG Leipzig (Entscheidung vom 10.08.2008; Aktenzeichen 406 IK 2790/03)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des LG Leipzig vom 11.8.2008, berichtigt durch Beschluss vom 28.10.2008, wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 300 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

[1] Über das Vermögen der Schuldnerin ist das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden. Nach Aufhebung des Verfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung ist die weitere Beteiligte (fortan: Treuhänderin) zur Treuhänderin bestellt worden. Die Schuldnerin bezieht ein Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit i.H.v. monatlich 2.020 EUR brutto/1.356,65 EUR netto. Sie gewährt ihrer am 20.7.1994 geborenen, in ihrem Haushalt lebenden Tochter J. Naturalunterhalt. Der Kindesvater zahlt an die Tochter monatlichen Unterhalt i.H.v. 276,10 EUR.

[2] Auf Antrag der Treuhänderin hat das Insolvenzgericht - Rechtspflegerin - am 14.11.2007 beschlossen, dass die Tochter bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens nur teilweise zu berücksichtigen sei. Der nach der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO unpfändbare Betrag sei um 29,70 EUR zu erhöhen. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das LG den Betrag, um den der unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens zu erhöhen ist, für einen Zeitraum von 12 Monaten auf 51,30 EUR, für den Folgezeitraum auf 31,38 EUR festgesetzt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin die vollständige Abweisung des Antrags der Treuhänderin erreichen.

II.

[3] Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft, soweit sie sich gegen den Berichtigungsbeschluss vom 28.10.2008 wendet. Gemäß § 319 Abs. 3 Halbs. 2 ZPO findet gegen einen Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, die sofortige Beschwerde statt. Die sofortige Beschwerde ist gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der AG und LG eröffnet (§ 567 Abs. 1 ZPO), nicht jedoch gegen Entscheidungen der LG als Beschwerdegerichte. Eine Rechtsbeschwerde ist nur dann statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Beides ist hier nicht der Fall. Der Berichtigungsbeschluss enthält keine diesen Beschluss betreffende Zulassungsentscheidung. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist damit der Beschluss vom 11.8.2008 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 28.10.2008.

III.

[4] Die gegen den berichtigten Beschluss gerichtete Rechtsbeschwerde der Schuldnerin ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

[5] 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Unterhaltszahlungen stellten eigenes Einkommen der Tochter der Schuldnerin dar. Zwischen ihnen und sonstigen Einkünften bestehe kein wesentlicher Unterschied; entscheidend sei, dass es sich um Geld handele, dass tatsächlich für den Lebensunterhalt der unterhaltsberechtigten Person zur Verfügung stehe. Der Pfändungsfreibetrag könne jedenfalls dann auf der Grundlage der sozialrechtlichen Regelungen zur Existenzsicherung berechnet werden, wenn der Unterhaltsberechtigte im selben Haushalt wie der Schuldner lebe. Weil die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und dem Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sicherten, sondern auch eine Teilhabe am Arbeitseinkommen gewährleisteten, sei der sozialrechtliche Regelsatz um einen Zuschlag von 30 bis 50 %, hier um 40 %, zu erhöhen. Damit sei auch der geltend gemachte Sonderbedarf (Sehhilfe, Kanusportverein) der Tochter gedeckt. Die Kosten der Klassenfahrt seien mit einem weiteren Freibetrag von 19,92 EUR pro Monat - bezogen auf die folgenden 12 Monate - zu berücksichtigen. Die Erhöhung des Regelsatzes für einen Haushaltsangehörigen ab Vollendung des 14. Lebensjahres müsse im Wege eines Abänderungsantrages nach § 850d ZPO geltend gemacht werden, über den zunächst das AG zu befinden habe.

[6] 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Wesentlichen stand.

[7] a) Die Unterhaltszahlungen des Vaters stellen eigene Einkünfte der Tochter der Schuldnerin i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO dar.

[8] aa) Schon ihrem Wortlaut nach erfasst die Vorschrift des § 850c Abs. 4 ZPO alle Arten von Einkünften. Die Materialien enthalten ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass bestimmte Einkünfte von vornherein außer Betracht gelassen werden sollen. Nach der amtlichen Begründung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 28.2.1978 (BGBl. I 333) will § 850c Abs. 4 ZPO die Berücksichtigung des Unterhaltsberechtigten, der eigene Einkünfte bezieht, flexibel gestalten. Die Vorschrift soll dem Gericht bei seiner Ermessensentscheidung genügend Raum lassen, um den Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen (BT-Drucks. 8/693, 49). Ob der Unterhaltsberechtigte nicht nur vom Schuldner, sondern auch von einer weiteren Person Unterhalt bezieht, ist ein im Einzelfall zu berücksichtigender (und zu bewertender) Umstand. Das zeigt zugleich, dass auch Sinn und Zweck der Pfändungsschutzvorschriften der grundsätzlichen Einbeziehung von Unterhaltsleistungen Dritter in die Einkommensberechnung nicht entgegenstehen.

[9] bb) Für ihre gegenteilige Ansicht beruft sich die Rechtsbeschwerde insb. auf einen Beschluss des BGH vom 21.12.2004 (IXa ZB 142/04, ZVI 2005, 194, 196), in dem es heißt, es sei fraglich, aber nicht entscheidungserheblich, ob ein Unterhaltsanspruch als Einkommen i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO abzusehen sei. Auf welchen Überlegungen diese Zweifel beruhten, ergibt sich aus der zitierten Entscheidung nicht. Sie befasst sich wesentlich mit der (schließlich verneinten) Frage, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten eine bestimmte Höhe erreichen müssen, bevor sie bei der Bestimmung berücksichtigt werden können. In einer späteren Entscheidung hat der BGH an der grundsätzlichen Ablehnung fester Berechnungsgrößen festgehalten, jedoch Leitlinien für verschiedene Fallgestaltungen aufgestellt und die Voraussetzungen für eine Anrechnung der eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten präzisiert (Beschl. v. 5.4.2005 - VII ZB 28/05, ZVI 2005, 254, 255 f.). Eine Unterscheidung nach Einkommensarten ist hier nicht vorgesehen. Es kommt vielmehr auf die wirtschaftliche Lage der Beteiligten (Gläubiger, Schuldner, Unterhaltsberechtigter) an.

[10] cc) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde (ähnlich LG Bayreuth MDR 1994, 621) führt die Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen nicht dazu, dass diese mittelbar der Tilgung der Verbindlichkeiten des Schuldners dienen und so ihren eigentlichen Zweck - den Unterhalt des Berechtigten - verfehlen. Zu prüfen ist vielmehr, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dazu führen, dass dem Schuldner insoweit kein eigenes Einkommen verbleiben muss, weil der Bedarf des Unterhaltsberechtigten anderweitig gedeckt ist (BGH, Beschl. v. 5.4.2005, a.a.O.). Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht von sonstigen Einkünften der unterhaltsberechtigten Person, etwa einer Ausbildungsvergütung oder Arbeitslohn aus einer geringfügigen Beschäftigung. Die von der Rechtsbeschwerde hervorgehobene Besserstellung von Kindern aus intakten Familien, deren Eltern ggf. den vollen Freibetrag in Anspruch nehmen könnten, weil der vom anderen Elternteil gewährte Naturalunterhalt kein anzurechnendes Einkommen i.S.v. § 850c Abs. 4 ZPO sei, verlangt keine andere Sicht der Dinge. Geld, welches der Unterhaltsberechtigte von dritter Seite bezieht, verringert seinen Bedarf und entlastet so den Schuldner. Dass auch Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils oder sonstiger Dritter Einkünfte der dem Schuldner gegenüber unterhaltsberechtigten Person darstellen können, entspricht folgerichtig der nahezu einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur (LG Detmold Rpfleger 2001,142 f.; LG Ellwangen Rpfleger 2006, 88; LG Kassel JurBüro 2007, 664, 665; LG Tübingen Rpfleger 2008, 514; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 4. Aufl., § 850c Rz. 11; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850c Rz. 28; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850c Rz. 30; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 850c Rz. 10; Smid in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 850c Rz. 20; Musielak/Becker, ZPO, 6. Aufl., § 850c Rz. 11; Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 850c Rz. 12; Hk-ZPO/Kemper, 2. Aufl., § 850c Rz. 14; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 29. Aufl., § 850c Rz. 8a).

[11] b) Ob und in welchem Umfang das eigene Einkommen des Unterhaltsberechtigten bei der Bestimmung des unpfändbaren Betrages unberücksichtigt bleibt, hat der Tatrichter nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 850c Abs. 4 ZPO). Das Beschwerdegericht ist von den Grundsätzen der bereits zitierten Entscheidung des BGH vom 5.4.2005 ausgegangen (VII ZB 28/05, a.a.O.). Danach kommt eine Orientierung an den sozialrechtlichen Mindestsätzen zur Existenzsicherung insb. dann in Betracht, wenn der Unterhaltsberechtigte - wie hier - im Haushalt des Schuldners lebt. Der zugebilligte Zuschlag von 40 % gewährleistet die Teilhabe am Arbeitseinkommen der Schuldnerin und bewegt sich auch der Höhe nach innerhalb des vom BGH für angemessen gehaltenen Rahmens. Den geltend gemachten "Sonderbedarf" der unterhaltsberechtigten Tochter der Schuldnerin hat das Beschwerdegericht teilweise berücksichtigt (Schulausflug); im Übrigen hat es begründet, warum eine weitere Erhöhung des pfändungsfreien Betrages des Arbeitseinkommens nicht in Betracht kommt (Sehhilfe, Kanuclub). Eine Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Lage der Gläubiger, welche die Rechtsbeschwerde vermisst, kommt im hier gegebenen Fall eines Gesamtvollstreckungsverfahrens nicht in Betracht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2171584

BGHR 2009, 954

EBE/BGH 2009, 186

FamRZ 2009, 1137

NJW-RR 2009, 1279

WM 2009, 1153

ZAP 2009, 845

DGVZ 2009, 185

DZWir 2009, 387

KKZ 2010, 241

MDR 2009, 1004

NZI 2009, 443

Rpfleger 2009, 526

ZInsO 2009, 1071

FamRB 2009, 343

InsbürO 2009, 282

InsbürO 2009, 321

NJW-Spezial 2009, 455

RENOpraxis 2009, 218

ZVI 2009, 331

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