Leitsatz (amtlich)

a) Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer bereits kraft Gesetzes zulässigen, vom Beschwerdegericht aber irrtümlich unter Darlegung der Rechtsgrundsätzlichkeit zugelassenen Rechtsbeschwerde.

b) Die Frage, ob ein ausländischer Titel für vollstreckbar erklärt werden kann, wenn er nach dem vom Beschwerdegericht festgestellten Recht des Urteilsstaates dort nicht vollstreckbar wäre, hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.

 

Normenkette

ZPO § 574 Abs. 2, § 575 Abs. 3 Nr. 2; AVAG (2002) §§ 7, 15 Abs. 1; SchKG (Schweiz) Art. 80 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe

LG Karlsruhe

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des OLG Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - v. 8.1.2002 wird auf Kosten des Gläubigers als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 40.645 EUR

 

Gründe

I.

Der am 24.4.1974 geborene Gläubiger ist der Sohn der Frau A. R. und ihres verstorbenen, von der Schuldnerin allein beerbten früheren Ehemannes K. R. .

Durch rechtskräftiges Urteil des Tribunal de Première Instance des Kantons Genf v. 23.6.1983 wurde die Ehe der Eltern des Gläubigers geschieden, das Sorge- und Umgangsrecht geregelt und der Vater des Gläubigers verurteilt, an dessen Mutter Unterhalt für den Gläubiger zu zahlen, und zwar monatlich im Voraus 650 sFr bis zum 10. Lebensjahr, 750 sFr v. 10. bis 15. Lebensjahr und 850 sFr. v. 15. Lebensjahr bis zur Volljährigkeit und (darüber hinaus) "bis zum 25. Lebensjahr, falls das Kind fortgesetzt einer geregelten Ausbildung nachgeht" (so die begl. Übersetzung; im Original: "jusqu'à 25 ans si l'enfant poursuit des études sérieuses et suivies"; diese Unterhaltszahlungen sind jeweils zum 1.1.eines jeden Jahres an den Genfer Lebenshaltungskostenindex (Basis 1.7.1983) ohne Rückwirkung anzupassen.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Gläubiger die Anordnung, das vorgenannte Urteil wegen des rückständigen Unterhalts bis zum Tode seines Vaters im November 1995 mit der deutschen Vollstreckungsklausel zu versehen.

Das LG hat diesem Antrag dergestalt stattgegeben, dass die deutsche Teilvollstreckungsklausel wegen der Verurteilung zur Zahlung rückständigen Unterhalts für die Zeit v. 1.1.1989 bis 30.11.1995 (indexiert und in DM umgerechnet) i. H. v. 79.495,75 DM zu erteilen ist.

Auf Beschwerde der Schuldnerin hat das OLG, dessen Entscheidung in FamRZ 2002, 1420 (m. Anm. Atteslander-Dürrenmatt, IPRax 2002, 508 ff.) abgedr. ist, den angefochtenen Beschluss abgeändert und den Antrag des Gläubigers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde des Gläubigers, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses erstrebt.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist von Gesetzes wegen statthaft. Dies ergibt sich aus § 15 Abs. 1 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes (AVAG) v. 19.2.2001 (BGBl. I, 288, 436) in der seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung des Art. 29 Nr. 1 des Zivilprozessreformgesetzes (ZPO-RG) v. 27.7.2001 (BGBl. I, 1887), vgl. Art. 53 Nr. 3 ZPO-RG, die hier gem. § 26 Nr. 10 EGZPO anzuwenden ist, weil die angefochtene Entscheidung nach dem 31.12.2001 erlassen wurde.

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unzulässig, soweit der Gläubiger mit ihr seinen Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel auch insoweit weiterverfolgt, als es um rückständige Unterhaltsansprüche für die Zeit bis kurz nach Eintritt seiner Volljährigkeit geht, nämlich bis einschließlich 1991 (472,50 DM + 2.079 DM + 3.845,32 DM + 4.686,75 DM = 11.083,57 DM) sowie um einen Teilbetrag von 8.174,39 DM der für 1992 verlangten 16.804,72 DM [6.658 sFr : (12x 1.140,60 sFr =) 13.687,20 sFr x 16.804,52 DM], insgesamt also um 19.257,96 DM.

Insoweit enthält die Rechtsbeschwerde nämlich entgegen § 575 Abs. 3 Nr. 3a ZPO keine sachliche Auseinandersetzung mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung, eine Vollstreckungsklausel sei für die insoweit titulierten Unterhaltsansprüche schon deshalb nicht zu erteilen, weil diese nach Erlass des Titels einverständlich erledigt oder erfüllt worden seien, nämlich bis einschließlich 1991 durch erfüllten Vergleich und für Januar bis Mai sowie teilweise auch für Juni 1992 durch Zahlung von 6.658 sFr auf die 1992 monatlich geschuldeten 1.140,60 sFr. Sie greift ausschließlich die Auffassung des OLG an, der Titel sei (hinsichtlich des nach Eintritt der Volljährigkeit des Gläubigers geschuldeten Unterhalts) nicht ausreichend bestimmt und daher der Vollstreckbarerklärung nicht zugänglich.

3. Auch im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde nicht zulässig.

a) Insoweit kann dahinstehen, ob dies bereits daraus folgt, dass die Rechtsbeschwerde keine ausdrückliche Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO enthält.

aa) Entsprechender Vortrag war nicht etwa entbehrlich, weil das OLG die Rechtsbeschwerde in seiner Entscheidung zugelassen hat (und zwar unter Hinweis auf § 26 Nr. 10 EGZPO und das vor 2002 geltende Verfahrensrecht, weil möglicherweise beabsichtigt war, die Entscheidung noch vor dem 31.12.2001 zu erlassen). Denn die Zulassung einer ohnehin kraft Gesetzes statthaften - weil gegen eine tatsächlich erst nach dem 31.12.2001 ergangene Entscheidung gerichteten - Rechtsbeschwerde entbehrt einer gesetzlichen Grundlage und entfaltet deshalb auch keine Bindungswirkung für das Rechtsbeschwerdegericht. Dieses hat vielmehr selbst zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO gegeben sind (vgl. BGH, Beschl. v. 20.2.2003 - V ZB 59/02, MDR 2003, 645 = BGHReport 2003, 632 = FamRZ 2003, 1009; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 574 Rz. 11).

Es handelt sich mithin nicht um eine nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde, sondern allein um eine solche, die nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und somit gem. § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nur dann zulässig ist, wenn sich die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO aus ihrer Begründung ergeben.

bb) Der Senat neigt allerdings zu der Auffassung, dass sich die Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde im vorliegenden Einzelfall nicht schon aus dem Fehlen ausdrücklicher Darlegungen zu den Zulässigkeitsgründen des § 574 Abs. 2 ZPO ergibt. Das OLG hat die Zulassung der Rechtsbeschwerde damit begründet, die Frage der Entscheidung über offen gelassene Tatbestandsmerkmale im Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren habe grundsätzliche Bedeutung und sei nach seiner Kenntnis bisher nicht entschieden. Die Rechtsbeschwerde setzt sich mit der vom OLG als rechtsgrundsätzlich angesehenen Frage eingehend auseinander, hält sie also für entscheidungserheblich. Indem sie darauf verweist, es handele sich um eine zugelassene Rechtsbeschwerde, wird man darin zugleich eine Bezugnahme auf die Begründung des Zulassungsausspruchs sehen können, die sich der Beschwerdeführer stillschweigend zu Eigen macht. Unter diesen Umständen würde es als Förmelei erscheinen, eine ausdrückliche Wiederholung der vom Beschwerdegericht bereits vorweggenommenen Darlegung der Rechtsgrundsätzlichkeit in der Rechtsbeschwerdebegründung zu verlangen.

b) Die Rechtsbeschwerde ist hinsichtlich des verlangten Unterhalts für die Zeit der Volljährigkeit des Gläubigers jedenfalls unzulässig, weil die vom Senat eigenständig vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO).

Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung insoweit auf zwei Begründungen gestützt, von denen eine jede allein geeignet sein kann, die Entscheidung zu tragen. Es hat zum einen ausgeführt, der Titel sei hinsichtlich des Volljährigenunterhalts unbestimmt und seiner Vollstreckbarerklärung stehe der deutsche ordre public entgegen, weil die Prüfung der im Entscheidungssatz enthaltenen Bedingung "si l'enfant poursuit des études sérieuses et suivies" einem Erkenntnisverfahren vorbehalten bleiben müsse und nicht in das deutsche Verfahren der Vollstreckbarerklärung verlagert werden könne. Zum anderen könnten in Deutschland an die Vollstreckungsfähigkeit eines Titels keine geringeren Anforderungen gestellt werden als in dem Urteilsstaat, aus dem der Titel stamme. Auch nach dem Recht der Schweiz sei aber ein Titel, der die vorliegende Bedingung enthalte, der definitiven Rechtsöffnung nach Art. 80 des Bundesgesetzes über Schuldbeitreibung und Konkurs (SchK) und damit der endgültigen Vollstreckung nicht zugänglich.

Beruht eine Entscheidung alternativ auf zwei eigenständigen Begründungen, ist die Rechtsbeschwerde nicht zulässig, wenn sich darunter eine befindet, hinsichtlich derer ein Zulassungsgrund i. S. d. § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben ist (vgl. BGH, Beschl. v. 2.10.2003 - V ZB 72/02, BGHReport 2004, 122 = MDR 2004, 226 = NJW 2004, 72 [73]; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 543 Rz. 5 a. E. i. V. m. § 574 Rz. 6).

Ein solcher Zulassungsgrund besteht nicht hinsichtlich der vom Beschwerdegericht vertretenen Auffassung, ein ausländischer Titel könne nicht vollstreckt werden, wenn er im Ursprungsstaat selbst nicht vollstreckungsfähig sei. Dies entspricht nämlich herrschender Rechtsauffassung (vgl. Geimer, IZPR, Rz. 2304; Zöller/Geimer, ZPO, 24. Aufl., § 722 Rz. 4 und § 7 AVAG Rz. 1; Linke in Göppinger/Wax, Unterhaltsrecht, 8. Aufl., Rz. 3286; Luthin, Handbuch des Unterhaltsrechts, 9. Aufl., Rz. 8064; vgl. auch §§ 4 Abs. 1, 7 Abs. 1 S. 1 AVAG; Art. 21 Abs. 1 EG-VO Nr. 1347/2000; Art. 38 EuGVVO; Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ); abweichende Ansichten werden von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt und sind nicht ersichtlich.

Die Feststellung des Beschwerdegerichts, nach dem Recht der Schweiz sei ein Titel nicht vollstreckbar, wenn sich - wie hier - die Voraussetzung der Vollstreckbarkeit im Sinne einer erfüllten Bedingung nicht im Rechtsöffnungsverfahren "liquid" darlegen lasse, sondern einer "umfangreichen Abklärung" bedürfe (vgl. dazu auch Bundesgericht BGE 104 II, 293 [298]), kann schon deshalb weder rechtsgrundsätzlich sein noch eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern, weil es sich um ausländisches Recht handelt, das einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen ist (§ 17 Abs. 1 S. 1 AVAG, §§ 576, 560 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1157787

BGHR 2004, 1106

FamRZ 2004, 1023

FPR 2004, 478

FPR 2006, 266

InVo 2004, 467

MDR 2004, 1074

FamRBint 2005, 9

ProzRB 2004, 331

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