Leitsatz (amtlich)

a) Eine Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen (im Anschluss an BGH v. 13.4.2011 - XII ZB 584/10, FamRZ 2011, 964 Rz. 15 m.w.N.).

b) Die Bestellung eines Betreuers muss verhältnismäßig sein, weshalb weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen dürfen; dabei gilt der Grundsatz der Erforderlichkeit auch im Bereich der Vermögenssorge (im Anschluss an BGH v. 6.7.2011 - XII ZB 80/11, FamRZ 2011, 1391 Rz. 9).

c) Der Begriff "Aufgabenkreis" i.S.d. § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB schließt nicht aus, dem Betreuer ggf. nur eine einzige Angelegenheit zuzuweisen (BayObLG NJWE-FER 2001, 151).

 

Normenkette

BGB § 1896 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Beschluss vom 26.10.2011; Aktenzeichen 8 T 206/11)

AG Alzey (Beschluss vom 31.08.2011; Aktenzeichen 2 XVII 293/10)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen und des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des LG Mainz vom 26.10.2011 aufgehoben.

Auf die Beschwerde des Betroffenen und des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des AG Alzey vom 31.8.2011 aufgehoben.

Das Beschwerde- und das Rechtsbeschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 KostO). Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt (§ 307 FamFG).

Beschwerdewert: 3.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Anordnung der Betreuung.

Rz. 2

Mit notarieller Urkunde vom 25.1.2005 erteilte der Betroffene dem Beteiligten zu 1) Generalvollmacht und damit Vollmacht und Auftrag, ihn in allen Angelegenheiten gegenüber jedermann, insb. Gerichten, Behörden, Privaten, Banken und Sparkassen zu vertreten.

Rz. 3

Im Dezember 2010 hat ein Gerichtsvollzieher beim AG die Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen beantragt und dies damit begründet, dass gegen den Betroffenen ein Vollstreckungstitel bestehe und der Beteiligte zu 1) neben der Liquidation der Forderung auch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verhindere, weshalb bereits Haftbefehl ergangen sei.

Rz. 4

Durch Beschluss vom 31.8.2011 hat das AG die Beteiligte zu 2) zur Betreuerin des Betroffenen bestellt mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, wobei die Entscheidung spätestens bis zum 31.8.2018 zu überprüfen sei. Die Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich der Betroffene und der Beteiligte zu 1) mit ihrer Rechtsbeschwerde.

Rz. 5

Der Senat hat auf Antrag der Beschwerdeführer mit Beschluss vom 7.12.2011 die Vollziehung des amtsgerichtlichen Beschlusses ausgesetzt.

II.

Rz. 6

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Rz. 7

1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Rz. 8

2. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 9

a) Das LG hat seine Entscheidung damit begründet, infolge der unstreitig bei dem Betroffenen wegen seiner Demenzerkrankung vorliegenden Betreuungsbedürftigkeit sei er nicht in der Lage, die Aufgabenbereiche der Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden etc. sowie Entgegennahme der entsprechenden Post selbständig zu regeln. Die Bestellung einer Betreuerin für die im Beschluss des AG aufgeführten Bereiche sei trotz bestehender Vollmacht für den Beteiligten zu 1) auch erforderlich. Dieser verhindere bzw. verzögere die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bzw. die Liquidation eines rechtskräftigen Titels des AG. Es bedürfe daher der Bestellung eines Betreuers, um die ordnungsgemäße Abwicklung der entsprechenden Vorgänge zu gewährleisten.

Rz. 10

b) Diese Ausführungen halten einer rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand.

Rz. 11

aa) Gemäß § 1896 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.

Rz. 12

Eine - wie hier zugunsten des Beteiligten zu 1) erteilte - Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers allerdings dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insb. weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründen. Dies ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint (BGH v. 13.4.2011 - XII ZB 584/10, FamRZ 2011, 964 Rz. 15 m.w.N.).

Rz. 13

Die Bestellung eines Betreuers muss zudem verhältnismäßig sein, weshalb weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen dürfen; dabei gilt der Grundsatz der Erforderlichkeit auch im Bereich der Vermögenssorge (BGH v. 6.7.2011 - XII ZB 80/11, FamRZ 2011, 1391 Rz. 9). Der Begriff "Aufgabenkreis" i.S.d. § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB schließt nicht aus, dem Betreuer ggf. nur eine einzige Angelegenheit zuzuweisen (BayObLG NJWE-FER 2001, 151).

Rz. 14

Der Tatrichter entscheidet über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insb. die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (BGH v. 13.4.2011 - XII ZB 584/10, FamRZ 2011, 964 Rz. 16 m.w.N.).

Rz. 15

bb) Gemessen hieran kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben.

Rz. 16

(1) Das LG hat sich bei seiner Entscheidung auf die Feststellung beschränkt, dass der Beteiligte zu 1) die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bzw. die Liquidation eines rechtskräftigen Titels des AG verhindere bzw. verzögere. Weitere Feststellungen zu der Frage, ob der Bevollmächtigte ungeeignet ist, finden sich weder in der landgerichtlichen noch in der amtsgerichtlichen Entscheidung. Erwägungen zu der Frage, warum der Beteiligte zu 1) nicht kooperativ ist, lassen sich der Begründung nicht entnehmen. Nach der Entscheidung bleibt offen, ob es möglicherweise berechtigte Einwendungen seitens des Bevollmächtigten gegen die Forderung bzw. Vollstreckung gibt. Jedenfalls lässt die Begründung nicht erkennen, ob der Beteiligte zu 1) tatsächlich ungeeignet ist und ob das Beschwerdegericht alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen hat sowie seine Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht.

Rz. 17

(2) Im Übrigen ist die vom AG angeordnete Betreuung mit den uneingeschränkten Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern bei einer Überprüfung erst zum 31.8.2018 unverhältnismäßig. Anlass für die Einrichtung der Betreuung war der "Antrag" des Gerichtsvollziehers, den er gestellt hat, um die Zwangsvollstreckung aus einem bestimmten Titel sicherzustellen, der sich auf eine Gesamtforderung von rund 39 EUR beläuft. Demgemäß ist der Begründung der Beschwerdeentscheidung zu entnehmen, dass es der Bestellung eines Betreuers allein deshalb bedürfe, um die ordnungsgemäße Abwicklung der entsprechenden Vorgänge zu gewährleisten. Ob es hier angezeigt gewesen wäre, einen Betreuer nur zur Sicherstellung der genannten Zwangsvollstreckung zu bestellen, seine Bestellung mithin auf diese konkrete Maßnahme zu beschränken, kann dahinstehen. Denn ein Bedürfnis hierfür ist entfallen, weil die titulierte Forderung mittlerweile beglichen worden ist, was bereits in der Rechtsbeschwerde ausgeführt sowie von der Betreuerin bestätigt wurde und demgemäß vom Senat zu berücksichtigen ist (vgl. Musielak/Ball ZPO, 8. Aufl. ZPO § 559 Rz. 10).

Rz. 18

3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben, wobei der Senat gem. § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache abschließend entscheiden kann.

Rz. 19

Neben der Beschwerdeentscheidung ist somit auch der amtsgerichtliche Beschluss aufzuheben, und zwar auf die Beschwerden des Betroffenen und des Beteiligten zu 1). Soweit das LG lediglich die Beschwerde des Beteiligten zu 1) beschieden hat, hat es verkannt, dass dieser - jedenfalls auch - im Namen des Betroffenen Beschwerde eingelegt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2953444

NJW 2012, 6

NWB 2012, 1576

EBE/BGH 2012

FamRZ 2012, 868

NJW-RR 2012, 772

FGPrax 2012, 109

MittBayNot 2012, 473

ZEV 2012, 372

BtPrax 2012, 116

DNotZ 2012, 753

MDR 2012, 587

Rpfleger 2012, 383

NWB direkt 2012, 520

NotBZ 2012, 296

ZNotP 2012, 182

R&P 2012, 152

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge