Leitsatz (amtlich)

Der in einem Urteil enthaltene Zinsausspruch "8 % Zinsen über dem Basiszinssatz" ist vom Gerichtsvollzieher regelmäßig dahingehend auszulegen, dass Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz tituliert sind.

 

Normenkette

BGB § 288 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Beschluss vom 20.12.2011; Aktenzeichen 42 T 2042/11)

AG Kempten (Beschluss vom 04.07.2011; Aktenzeichen 3 M 1872/11)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Gläubigers werden der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Kempten (Allgäu) vom 20.12.2011 aufgehoben und der Beschluss des AG Kempten - Vollstreckungsgericht - vom 4.7.2011 abgeändert.

Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, die Durchführung des Vollstreckungsauftrages des Gläubigers vom 20.4.2011 nicht aus den bisherigen Gründen abzulehnen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Schuldnerin.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil des LG vom 21.12.2009, dessen Urteilsformel in Ziff. 1 und 2 wie folgt lautet:

"1. Die Beklagte [= Schuldnerin] wird verurteilt, an den Kläger [= Gläubiger] ab 1.12.2009 bis zu seinem Tod eine monatliche Altersrente von jeweils weiteren 934,19 EUR, fällig zum 1. eines jeden Monats, nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 25.6.2009 zu bezahlen. 2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 43.906,93 EUR nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 25.6.2009 zu bezahlen."

Rz. 2

Der Gläubiger erteilte dem Gerichtsvollzieher einen Vollstreckungsauftrag, wobei er die Formulierung "8 % Zinsen über dem Basiszinssatz" als "Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz" verstanden wissen wollte. Der Gerichtsvollzieher lehnte es ab, diesen Vollstreckungsauftrag durchzuführen, da ihm die Bezeichnung der Höhe der Zinsen nicht richtig erschien.

Rz. 3

Der Gläubiger stellte daraufhin beim LG den Antrag, den Urteilstenor dahingehend zu berichtigen, dass in Ziff. 1 und 2 die Formulierung "nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz" durch die Formulierung "nebst 8 % Punkten über dem Basiszinssatz" ersetzt wird. Diesen Antrag hat das LG zurückgewiesen.

Rz. 4

In der Folge erteilte der Gläubiger dem Gerichtsvollzieher erneut den genannten Vollstreckungsauftrag.

Rz. 5

Der Gerichtsvollzieher legte die Sache dem AG - Vollstreckungsgericht - vor. Dieses hat die Erinnerung des Gläubigers gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers, den Zwangsvollstreckungsauftrag mit der Maßgabe zu vollstrecken, dass Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz eingestellt werden, als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Gläubigers ist erfolglos geblieben.

Rz. 6

Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger sein Begehren weiter. Die Schuldnerin beantragt, die Rechtsbeschwerde des Gläubigers zurückzuweisen.

II.

Rz. 7

Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Anweisung an den Gerichtsvollzieher, die Durchführung des Vollstreckungsauftrages nicht aus den bisherigen Gründen abzulehnen.

Rz. 8

1. Das Beschwerdegericht führt aus, das Urteil des LG sei dem Antrag des Klägers entsprechend klar und eindeutig abgefasst. Gemäß § 308 Abs. 1 ZPO sei das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt sei. Dass § 288 Abs. 2 BGB dem Gläubiger bei Rechtsgeschäften, an denen kein Verbraucher beteiligt ist, einen Anspruch auf Verzugszinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gebe, bedeute nicht automatisch, dass dieser Anspruch auch in seiner ganzen Höhe durch den Gläubiger geltend gemacht werde.

Rz. 9

Die vom Gläubiger angeführte Rechtsprechung des OLG Hamm (Urt. v. 5.4.2005 - 21 U 149/04, NJW 2005, 2238) betreffe einen anders gelagerten Sachverhalt. Dort sei es um die Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs gegangen. Im Streitfall sei das Urteil im Rahmen eines kontradiktorischen Rechtsstreits ergangen. Hier bedürfe es aufgrund der unterschiedlichen Wertigkeiten der jeweiligen Anträge (Prozente oder Prozentpunkte) der Berücksichtigung des Grundsatzes, wonach jeder nur so viel zugesprochen bekommen dürfe, wie von diesem beantragt worden sei. Die Antragsfassung sei eindeutig und einer abweichenden Auslegung nicht zugänglich.

Rz. 10

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der im Urteil des LG vom 21.12.2009 enthaltene Zinsausspruch ist vom Gerichtsvollzieher dahingehend auszulegen, dass Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz tituliert sind.

Rz. 11

a) Ein Vollstreckungstitel muss den im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzenden Anspruch des Gläubigers ausweisen und Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnen (vgl. BGH, Urt. v. 6.11.1985 - IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440). Bei einem Zahlungstitel muss der zu vollstreckende Zahlungsanspruch betragsmäßig festgelegt sein oder sich zumindest ohne Weiteres aus dem Titel errechnen lassen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.9.2007 - XII ZB 177/04, NJW 2008, 153 Rz. 22; Urt. v. 7.12.2005 - XII ZR 94/03, BGHZ 165, 223 [228 m.w.N.]). Ist der Inhalt des Titels zweifelhaft, hat das Vollstreckungsorgan diesen Inhalt ggf. durch Auslegung festzustellen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.9.2007 - XII ZB 177/04, NJW 2008, 153 Rz. 22; Urt. v. 7.12.2005 - XII ZR 94/03, BGHZ 165, 223 [228]; Urt. v. 6.11.1985 - IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440; Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., vor § 704 Rz. 26).

Rz. 12

b) Entsprechend diesen Grundsätzen obliegt es dem Gerichtsvollzieher, den Titel hinsichtlich des Zinsausspruchs auszulegen. Die Formulierung "8 % Zinsen über dem Basiszinssatz" ist mehrdeutig. In Betracht kommt das Verständnis, dass (lediglich) Zinsen i.H.v. 108 % des - gem. § 247 BGB variablen - Basiszinssatzes ausgeurteilt wurden (vgl. Hartmann, NJW 2004, 1358, 1359 Fn. 19; zur Gesetzesgeschichte variabler Zinssätze vgl. Coen, NJW 2012, 3329 [3331 f.]). Die Formulierung kann aber auch so zu verstehen sein, dass - entsprechend der Zinsregelung in § 288 Abs. 2 BGB, die an den Basiszinssatz gem. § 247 BGB als variable Bezugsgröße anknüpft - Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ausgeurteilt wurden. Die Auslegung des Titels ergibt, dass Letzteres zutrifft. Die Formulierung "5 % Zinsen über dem Basiszinssatz" wird in der prozessualen Praxis unbeschadet sprachlicher Ungenauigkeit ganz überwiegend gleichbedeutend mit der sich an der Zinsregelung in § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB orientierenden Formulierung "Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz" verwandt und verstanden (vgl. OLG Hamm NJW 2005, 2238 [2239]; Weidlich, DNotZ 2004, 820 [823]; Führ, JuS 2005, 1095, 1096; a.M. LAG Nürnberg, NZA-RR 2005, 492; offen gelassen von BAG NZA 2004, 852, 858). Für die Formulierung "8 % Zinsen über dem Basiszinssatz" gilt im Hinblick auf die Zinsregelung in § 288 Abs. 2 BGB Entsprechendes. So ist dementsprechend auch der Zinsausspruch des LG zu verstehen.

Rz. 13

Der Beschluss des LG, mit dem der Berichtigungsantrag des Gläubigers zurückgewiesen worden ist, ändert an der Auslegung des Zinsausspruchs dahingehend, dass Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz tituliert sind, nichts. Das LG hat in den Gründen dieses Beschlusses ausgeführt, dass es dem Klageantrag stattgeben wollte und das verkündet hat, was verkündet werden sollte. Auch der Klageantrag war nicht anders zu verstehen, als dass Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangt werden.

III.

Rz. 14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3657353

NJW 2013, 8

BauR 2013, 993

EBE/BGH 2013, 100

FamRZ 2013, 782

NJW-RR 2013, 511

IBR 2013, 318

WM 2013, 509

ZfIR 2013, 301

DGVZ 2013, 95

JZ 2013, 325

MDR 2013, 549

Rpfleger 2013, 401

FoVo 2013, 94

Info M 2013, 198

RÜ 2013, 288

SVR 2013, 197

FMP 2013, 74

RENO 2013, 23

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