Verfahrensgang

OLG Köln (Aktenzeichen 9 U 186/02)

 

Tenor

Die Gegenvorstellung der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Senatsbeschluss v. 19.5.2004 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Mit Beschluss v. 19.5.2004 hat der Senat die Anträge des Klägers auf Bestellung eines Notanwalts und auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, ferner die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers als unzulässig verworfen. Den Streitwert hat der Senat für alle Instanzen auf 17.307,23 EUR festgesetzt. Gegen diese Festsetzung wendet sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit ihrer Gegenvorstellung.

I. Zu Grunde liegt Folgendes:

1. Der Kläger hat vom beklagten Kaskoversicherer Versicherungsleistungen i.H.v. insgesamt 33.850 DM wegen des behaupteten Diebstahls seines Kraftfahrzeuges am 3.9.2000 gefordert. Anlässlich der Schadensmeldung hatte ihm die Beklagte zunächst ein unverzinsliches Darlehen i.H.v. 32.000 DM (16.361,34 EUR) mit einer Laufzeit von zwölf Monaten gewährt. Es war vereinbart, dass dieses Darlehen auf Anforderung der Beklagten zurückzuzahlen war, ohne dass Gründe für die Rückforderung benannt zu werden brauchten. Das Darlehen sollte überdies sofort zur Rückzahlung fällig sein, wenn die abschließende Überprüfung des Schadensfalles durch die Beklagte ergäbe, dass dem Kläger kein Anspruch auf Versicherungsleistungen zustünde.

In der Folgezeit lehnte die Beklagte Versicherungsleistungen ab, weshalb der Kläger Klage auf die Feststellung erhob, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm eine Versicherungsleistung von 32.000 DM (16.361,34 EUR), das entspricht der Höhe des Darlehensbetrages, zu gewähren. Den restlichen Schadensbetrag forderte er mittels einer auf die Zahlung von 1.850 DM (945,89 EUR) gerichteten Leistungsklage ein. Widerklagend verlangte die Beklagte die Rückzahlung des Darlehens.

2. Der Senat ist bei der Streitwertfestsetzung davon ausgegangen, dass der Feststellungsantrag und die Widerklage hier wirtschaftlich denselben Gegenstand betrafen (§ 19 Abs. 1 S. 1 und 3 GKG a.F.), weshalb er bei der Streitwertfestsetzung insoweit lediglich den höheren Wert der Widerklage (16.361,34 EUR) in Ansatz gebracht hat. Zusammen mit dem Leistungsantrag des Klägers (945,89 EUR) ergab sich der festgesetzte Streitwert von 17.307,23 EUR.

II. Die Gegenvorstellung macht geltend, anders als ein auf die Rückforderung einer Vorschussleistung gerichteter Bereicherungsanspruch sei der mit der Widerklage verfolgte Darlehensrückzahlungsanspruch rechtlich unabhängig von einer Leistungsverpflichtung aus dem Versicherungsvertrag und betreffe daher einen anderen Gegenstand i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 3 GKG a.F. als der Feststellungsantrag des Klägers. Das zeige sich auch daran, dass im Darlehensvertrag ein Aufrechnungsverbot hinsichtlich des Darlehensrückzahlungsanspruchs vereinbart gewesen sei. Selbst ein Erfolg der Feststellungsklage habe daher den Darlehensrückzahlungsanspruch nicht zu Fall bringen können.

III. Das überzeugt nicht. Der Senat hält daran fest, dass Feststellungs- und Widerklage hier denselben Gegenstand i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 3 GKG a.F. betreffen.

1. Die Werte von Klage und Widerklage werden nach § 19 Abs. 1 GKG a.F. zusammengerechnet, sofern die Ansprüche wirtschaftlich nicht denselben Gegenstand betreffen. Zweck der Vorschrift ist es, den Gebührenstreitwert niedrig zu halten, wenn die gemeinschaftliche Behandlung von Klage und Widerklage die Arbeit des Gerichts vereinfacht (Schneider, MDR 1977, 177 [180]). Deshalb kommt es nicht auf den zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff an, von dem § 19 Abs. 1 GKG a.F. auch nicht spricht (BGH, Urt. v. 28.9.1994 - XII ZR 50/94, MDR 1995, 198 = NJW 1994, 3292, unter 3b; Stein/Jonas/Roth, ZPO 22. Aufl., § 5 Rz. 48; Schwerdtfeger in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 5 Rz. 40). Der kostenrechtliche Gegenstandsbegriff der Vorschrift erfordert vielmehr eine wirtschaftliche Betrachtung. Eine Zusammenrechnung hat grundsätzlich nur dort zu erfolgen, wo durch das Nebeneinander von Klage und Widerklage eine "wirtschaftliche Werthäufung" entsteht (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 29.1.1987 - V ZR 136/86, MDR 1987, 570 = NJW-RR 1987, 1148; Smid in Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 5 Rz. 1, 13), beide also nicht das wirtschaftlich identische Interesse betreffen (BGH, Beschl. v. 23.10.1990 - VI ZR 135/90, MDR 1991, 427 = NJW-RR 1991, 186; Schumann, NJW 1982, 2800 [2802]).

Eine solche wirtschaftliche Identität von Klage und Widerklage liegt nach der von der Rechtsprechung entwickelten "Identitätsformel" dann vor, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass das Gericht unter Umständen beiden stattgeben kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrages nach sich zieht (BGHZ 43, 31 [33]; RGZ 145, 164 [166]; BGH, Beschl. v. 27.2.2003 - III ZR 115/02, MDR 2003, 716 = BGHReport 2003, 576 = NJW-RR 2003, 713, unter II; Hartmann, Kostengesetze, 33. Aufl., § 19 GKG Rz. 10; Schneider/Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 11. Aufl., Rz. 2625, 2626, 2630, 2631; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 5 Rz. 48).

2. Bei der danach gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung zeigt sich zunächst, dass alleiniger Anlass für die Darlehensgewährung der vom Kläger zuvor mit der Schadensmeldung erhobene Anspruch auf Versicherungsleistungen war. Nur deshalb war vereinbart, dass das Darlehen zinslos gewährt wurde und sofort zurückzuzahlen war, wenn die Beklagte einen Anspruch auf Versicherungsleistungen nach abgeschlossener Sachprüfung verneinte. Wirtschaftlich ging es erkennbar darum, dem Kläger einen jederzeit zurückholbaren Vorschuss auf die beanspruchten Versicherungsleistungen zu gewähren. Ein anderes Motiv für die Beklagte, dem Kläger ein Darlehen zu gewähren, ist nicht erkennbar. Die rechtliche Konstruktion einer Darlehensgewährung mit einem Verbot der Aufrechnung (gegen den Darlehensrückzahlungsanspruch) verfolgte allein den Zweck, den Versicherer von der Beweislast für den Wegfall des Rechtsgrundes zu befreien, die ihn bei einer Rückforderung einer normalen Vorschusszahlung nach Bereicherungsrecht getroffen hätte (BGH v. 14.7.1993 - IV ZR 179/92, BGHZ 123, 217 [219 ff.] = MDR 1993, 1055).

Wegen dieser besonderen Zweckbestimmung der Darlehensgewährung schließen sich die mit der Klage und der Widerklage verfolgten Ansprüche auch in der von der "Identitätsformel" beschriebenen Art und Weise gegenseitig aus. Denn wäre der Kläger mit seinem Feststellungsantrag durchgedrungen, stünde also fest, dass die Beklagte ihm wegen des Diebstahls seines Fahrzeuges Versicherungsleistungen i.H.v. 32.000 DM zu gewähren hätte, so hätte die Widerklage ungeachtet der im Darlehensvertrag vereinbarten Fälligkeitsregelungen und des Aufrechnungsverbots letztlich keinen Erfolg mehr haben können. Vielmehr hätte die Auslegung des Darlehensvertrages ergeben, dass die Rückforderung der Darlehenssumme jedenfalls im Falle einer Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Versicherungsleistungen in gleicher Höhe ausgeschlossen sein sollte. Denn dass die Frage der Darlehensrückzahlung nach dem Willen der Parteien nicht völlig von der Leistungspflicht der Beklagten aus dem Versicherungsfall abgekoppelt sein sollte, ergibt sich schon aus dem Anlass der Darlehensgewährung sowie daraus, dass das Darlehen ungeachtet der vereinbarten zwölfmonatigen Laufzeit bei einer endgültigen Leistungsablehnung sofort zur Rückzahlung fällig sein sollte.

Auf die Frage, ob die Voraussetzungen der Identitätsformel auch dadurch erfüllt wären, dass der Kläger bei Erfolg seines Feststellungsantrages der Beklagten den Arglisteinwand der Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr der 32.000 DM (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus sit, vgl. dazu Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 242 Rz. 52) hätte entgegenhalten können, kommt es danach nicht mehr an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1251140

BGHR 2005, 130

NJW-RR 2005, 506

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