Entscheidungsstichwort (Thema)

Büroorganisation für Faxübermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes; Wiedereinsetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Rechtsanwalt hat im Rahmen seiner Büroorganisation dafür Vorsorge zu treffen, dass seine Angestellten die Faxnummer eines Gerichts einem zuverlässigen Verzeichnis entnehmen und nicht aus dem Gedächtnis abrufen. Dies gilt auch, wenn ein "Rechtsanwaltsprogramm" mit automatischer Einfügung der Faxnummer verwendet wird, diese aber von den Mitarbeitern "von Hand" gelöscht werden kann (s. dazu anhängiges Verfahren beim BVerfG: 1 BvR 1784/02).

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 01.03.2004; Aktenzeichen 23 U 118/03)

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.02.2003; Aktenzeichen 2/27 O 192/01)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 09.10.2007; Aktenzeichen 1 BvR 1784/05)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 23. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 1.3.2004 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 130.105,99 EUR

 

Gründe

I. Die Widerklage der Beklagten ist durch Schlussurteil des LG Frankfurt/M. v. 28.2.2003 abgewiesen worden. Gegen das ihr am 28.4.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz v. 28.5.2003 Berufung eingelegt. Der am 28.5.2003 um 13.52 Uhr per Telefax an das LG Frankfurt/M. übermittelte Schriftsatz ist von dort an das - als Empfänger bezeichnete - OLG Frankfurt weitergeleitet worden, wo er am 30.5.2003 eingegangen ist. Die vom Senatsvorsitzenden am 27.1.2004 über Zulässigkeitsbedenken unterrichtete Beklagte hat am 10.2.2004 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gestellt.

Zur Begründung ihres Gesuchs hat die Beklagte ausgeführt: Ihr Bevollmächtigter verwende ein "Rechtsanwaltsprogramm", das bei Eingabe eines bestimmten Gerichts automatisch dessen Anschrift nebst Telefaxanschluss zwecks Einfügung im Adressfeld eines Schriftsatzes aufrufe. Im Falle einer Übermittlung durch Post oder Boten werde von dem Büropersonal ihres Bevollmächtigten vor Ausdruck eines Schriftsatzes die Telefaxnummer manuell gelöscht. Offenbar habe die seit drei Jahren stets fehlerfrei arbeitende Rechtsanwalts- und Notargehilfin T. die Telefaxnummer des OLG Frankfurt in der Annahme entfernt, der Schriftsatz werde von einer Mitarbeiterin zu Gericht gebracht. Da sich die Mitarbeiterin bereits vor Fertigstellung der Berufungsschrift zu Gericht begeben habe und daher nachträglich eine Faxübermittlung notwendig geworden sei, habe die Angestellte T. offenbar den Schriftsatz vor dessen Ausdruck mit der ihr wohl bekannten Telefaxnummer des LG Frankfurt/M. als dem - wie sie geglaubt habe - Zentralfax der örtlichen Justizbehörden vervollständigt.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 S. 4, § 238 Abs. 2 ZPO). Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wirft entgegen der Auffassung der Beklagten keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) auf, sondern steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH.

1. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Rechtsanwalt, der fristgebundene Schriftsätze per Telefax einreicht, verpflichtet, durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass die das angeschriebene Gericht betreffende Telefaxnummer verwendet wird (BGH, Beschl. v. 24.4.2002 - AnwZ 7/01, BRAK 2002, 171; Beschl. v. 11.3.2004 - IX ZR 20/03, BGHReport 2004, 978; Beschl. v. 1.3.2005 - VI ZB 65/04, BGHReport 2005, 933). Diesen Anforderungen hat der Bevollmächtigte der Beklagten nicht genügt.

a) Zur Vermeidung von Verwechslungen ist dem Büropersonal die Anweisung zu erteilen, bei der Versendung von Schriftsätzen mittels Telefax die Auswahl der richtigen Empfängernummer zu überprüfen (BGH, Beschl. v. 24.4.2002 - AnwZ 7/01, BRAK 2002, 171; Beschl. v. 3.11.1998 - VI ZB 29/98, MDR 1999, 190 = CR 1999, 72 = NJW 1999, 583 f.; Beschl. v. 3.12.1996 - XI ZB 20/96, NJW 1997, 948; ebenso BAG v. 30.3.1995 - 2 AZR 1020/94, BAGE 79, 379 [382] = BRAK 1995, 264 = MDR 1995, 1171 = CR 1996, 32; Urt. v. 25.1.2001 - 8 AZR 525/00, NJW 2001, 1594 f.). In Einklang hiermit hat der Senat wiederholt eine gezielte Kontrolle und ggf. Korrektur der Telefaxnummer durch das Büropersonal gefordert (BGH, Beschl. v. 7.5.2001 - II ZB 16/00, BGHReport 2001, 809 f.; Beschl. v. 20.12.1999 - II ZB 7/99, MDR 2000, 417 = NJW 2000, 1043; Beschl. v. 10.1.2000 - II ZB 14/99, MDR 2000, 416 = NJW 2000, 1043 f.).

b) In der Kanzlei des Beklagtenvertreters fehlte es an einer konkreten Anweisung, die Faxnummer eines Gerichts in Fällen, in denen nicht mit dem "Rechtsanwaltsprogramm" gearbeitet oder dessen Vorgabe von Hand geändert wurde, einem zuverlässigen Verzeichnis zu entnehmen und nach Ausführung des Übermittlungsvorgangs einen Abgleich der gewählten mit der in dem Verzeichnis enthaltenen Nummer vorzunehmen. Sofern die Faxnummer eines Gerichts nicht zusammen mit der Adresse aus dem "Rechtsanwaltsprogramm" abgerufen worden war, bestand, wie der vorliegende Fall belegt, keine Gewissheit, dass sich das Büropersonal bei der Suche der Faxnummer - statt sie aus dem Gedächtnis aufzurufen - einer geeigneten Aufstellung bediente. Dieses Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten hat die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zu vertreten.

2. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Sache nicht im Blick auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage zu, ob die Gerichte ihre Organisation so einzurichten haben, dass bei einem unzuständigen Gericht eingegangene Schriftsätze unverzüglich als solche erkannt und auch unverzüglich an das zuständige Gericht weitergeleitet werden.

a) Geht ein fristgebundener Schriftsatz nicht bei dem Berufungsgericht, sondern dem zuvor zuständigen erstinstanzlichen Gericht ein, so ist dieses Gericht verpflichtet, den Schriftsatz im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Erreicht der Schriftsatz das früher mit der Sache befasste Gericht so frühzeitig, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Berufungsgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, so ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig bei dem Rechtsmittelgericht eintrifft (BVerfG, Beschl. v. 3.1.2001 - 1 BvR 2147/00, NJW 2001, 1343; BGH, Beschl. v. 15.6.2004 - VI ZB 75/03, BGHReport 2004, 1515 = MDR 2004, 1311; Beschl. v. 18.9.2003 - IX ZB 604/02, BGHReport 2004, 274 = MDR 2004, 291 = NJW 2004, 516; Beschl. v. 22.10.1986 - VIII ZB 40/86, MDR 1987, 315 = NJW 1987, 440 f.). Der Wiedereinsetzung begehrende Antragsteller hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sein Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgemäß an das zuständige Berufungsgericht weitergeleitet werden konnte (BGH, Beschl. v. 22.10.1986 - VIII ZB 40/86, MDR 1987, 315 = NJW 1987, 440 f.).

b) Dieser Darlegungslast hat die Beklagte nicht genügt. Sie kann sich nicht mit der Behauptung begnügen, wegen des um 13.52 Uhr erfolgten Eingangs des Schriftstücks bei dem LG hätte ein Zeitraum von zwei bis drei Stunden bestanden, um die Berufungsschrift an das im gleichen Gebäude gelegene OLG weiterzuleiten. Vielmehr bedurfte es der Darlegung, dass eine solche Weiterleitung im gewöhnlichen Geschäftsgang, dessen Ablauf die Beklagte nicht ansatzweise konkretisiert hat, zu erwarten war. Da sich die Justizbediensteten mit Rücksicht auf ihre sonstige Belastung nicht vorrangig der Aufdeckung und Heilung von Anwaltsversäumnissen widmen können, gebietet die Bearbeitung im ordentlichen Geschäftsgang keine außerordentlichen Maßnahmen, die - wie eine telefonische Benachrichtigung des Bevollmächtigten oder die Weiterleitung seines Schriftsatzes per Sonderboten bzw. Fax - den rechtzeitigen Eingang bei dem Rechtsmittelgericht sicherstellen (BVerfG, Beschl. v. 3.1.2001 - 1 BvR 2147/00, NJW 2001, 1343; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 233 Rz. 22b; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 233 Rz. 24 "Unzuständigkeit").

 

Fundstellen

Inf 2005, 612

NWB 2005, 3690

BGHR 2005, 1273

FamRZ 2005, 1740

NJW-RR 2005, 1373

CR 2006, 41

JurBüro 2005, 671

StuB 2005, 1070

ZAP 2005, 1065

MDR 2005, 1367

MDR 2006, 556

VersR 2007, 374

FamRB 2005, 380

ITRB 2006, 34

K&R 2005, 424

PA 2005, 165

Mitt. 2005, 524

SJ 2005, 42

www.judicialis.de 2005

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