Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsvollstreckung für einzelnen Insolvenzgläubiger. Rechtsbehelf gegen Änderung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses im Insolvenzverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

Einwendungen nach § 89 Abs. 1, 2 InsO können dann nicht im Wege der Erinnerung geltend gemacht werden, wenn nach allgemeinem Vollstreckungsrecht die sofortige Beschwerde zulässig ist.

Ändert das Vollstreckungsgericht einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nach Anhörung des Gläubigers ab, handelt es sich hierbei um eine Maßnahme mit Entscheidungscharakter, die nicht mit der Erinnerung, sondern nur mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden kann.

 

Normenkette

InsO § 89 Abs. 1-2; ZPO § 567 Abs. 1, § 793

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Beschluss vom 15.12.2003; Aktenzeichen 34 T 3302/03)

AG Landshut (Beschluss vom 20.10.2003)

 

Nachgehend

AG Köln (Beschluss vom 04.11.2010; Aktenzeichen 73 IN 206/10)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Landshut v. 15.12.2003 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des AG - Insolvenzgericht - Landshut v. 20.10.2003 wird als unzulässig verworfen.

Der Schuldner hat die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren und das Verfahren der sofortigen Beschwerde wird auf 6.577,26 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Freistaat Bayern vollstreckt nach Überleitung rückständigen Kindesunterhalts für die Jahre 1997 bis 2001 gegen den Schuldner während des am 27.5.2002 gegen diesen eröffneten Insolvenzverfahrens. Auf seinen Antrag hat das AG Erding am 5.11.2002 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, in dem nicht die allgemein pfändbaren, jedoch die der erweiterten Pfändung nach § 850d Abs. 1 S. 4 ZPO zugänglichen Lohnanteile gepfändet und zur Einziehung überwiesen wurden. Auf Antrag des Schuldners und Anhörung des Gläubigers hierzu änderte das AG Erding mit Beschluss v. 20.2.2003 den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss v. 5.11.2002 dahin, dass dem Schuldner nunmehr ein höherer pfändungsfreier Betrag von monatlich 1.039 EUR zu belassen sei. Der weiter gehende Antrag des Schuldners wurde zurückgewiesen.

Der Insolvenzverwalter hat die vom Gläubiger als Insolvenzforderung angemeldeten Unterhaltsrückstände i.H.v. 7.439,73 EUR zur Tabelle anerkannt. Am 3.9.2003 legte er gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Erding Erinnerung ein. Nach Anhörung des Gläubigers hat die Rechtspflegerin des AG Erding der Erinnerung nicht abgeholfen. Das AG Landshut - Insolvenzgericht - hat die Erinnerung mit Beschluss v. 20.10.2003 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners hatte Erfolg. Das LG ist der Auffassung, dass der Einzelzwangsvollstreckung § 89 Abs. 1 InsO entgegenstehe, weil die Ausnahme des § 89 Abs. 2 S. 2 InsO nicht für Insolvenzgläubiger gelte.

Hiergegen wendet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Gläubigers. Sie meint, die sofortige Beschwerde sei nicht statthaft, die Erinnerung des Insolvenzverwalters mangels Erinnerungsbefugnis unzulässig gewesen. § 89 Abs. 2 S. 2 InsO gelte auch für Insolvenzgläubiger, also für rückständige Forderungen des Unterhaltsgläubigers, die zur Tabelle angemeldet und festgestellt wurden.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil sie das Beschwerdegericht zugelassen hat (BGH, Beschl. v. 5.2.2004 - IX ZB 97/03, BGHReport 2004, 910 = ZIP 2004, 732; v. 17.2.2004 - IX ZB 306/03, ZInsO 2004, 441). Sie ist auch im Übrigen zulässig.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die sofortige Beschwerde unzulässig war.

1. Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde von Amts wegen zu prüfen; war die sofortige Beschwerde unzulässig, fehlt es an einem gültigen und rechtswirksamen Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht (BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - IX ZB 369/02, MDR 2004, 348 = BGHReport 2004, 413 = WM 2004, 198).

2. Die sofortige Beschwerde war entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde statthaft. Der Rechtsmittelzug richtet sich nach den allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Vorschriften, wenn das Insolvenzgericht kraft der besonderen Zuweisung des § 89 Abs. 3 S. 1 InsO funktional als Vollstreckungsgericht entscheidet (BGH, Beschl. v. 5.2.2004 - IX ZB 97/03, BGHReport 2004, 910 = ZIP 2004, 732; v. 17.2.2004 - IX ZB 306/03, ZInsO 2004, 441). Gegen die Entscheidung des AG Landshut v. 20.10.2003 war deshalb gem. § 567 Abs. 1, § 793 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft.

3. Die sofortige Beschwerde war jedoch unzulässig, weil der Schuldner durch die angegriffene Entscheidung nicht beschwert war. Sie enthält zum Nachteil des Schuldners keine Abweichung vom Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Erding v. 5.11.2002 und von dem Abänderungsbeschluss v. 20.2.2003, der dem Schuldner am 24.2.2003 zugestellt worden war.

Gegen den Beschluss v. 20.2.2003 hatte sich der Schuldner nicht gewandt. Von der Möglichkeit der sofortigen Beschwerde hatte er keinen Gebrauch gemacht. Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde lief für ihn am 10.3.2003 ab (§ 569 Abs. 1 S. 1 ZPO).

In der Mobiliarvollstreckung ist gegen Vollstreckungsakte - auch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse - zwar grundsätzlich die Erinnerung gem. § 766 ZPO gegeben. Hat die angegriffene Maßnahme jedoch Entscheidungscharakter, ist nur die sofortige Beschwerde statthaft (vgl. HK-InsO/Eickmann, 3. Aufl., § 89 Rz. 9; Breuer in MünchKomm/InsO, § 89 Rz. 40; Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 766 Rz. 3 a.E.; Musielak/Lackmann, ZPO, 3. Aufl., § 766 Rz. 11 f; Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 766 Rz. 10 f, 14 f).

Das AG - Vollstreckungsgericht - Erding hat vor seiner Entscheidung v. 20.2.2003 dem Gläubiger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Dieser hat sich geäußert. Damit lag eine Entscheidung vor, die jedenfalls für Schuldner und Gläubiger nur mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar war.

Die Gesetzesbegründung zu § 100 In-sO-E, der bereits wörtlich dem späteren § 89 InsO entsprach, führt zwar aus, dass die Einwendungen des § 89 Abs. 1 und 2 InsO nach allgemeinem Vollstreckungsrecht im Wege der Erinnerung geltend zu machen sind (BT-Drucks. 12/2443, 138, letzter Abs. zu § 100; ebenso App, NZI 1999, 138 [139]). Die Erinnerung kann jedoch dann nicht stattfinden, wenn nach allgemeinem Vollstreckungsrecht die sofortige Beschwerde gegeben ist (OLG Jena ZInsO 2002, 134; OLG Düsseldorf NZI 2002, 388).

Der Insolvenzverwalter hat die von ihm am 3.9.2003 eingelegte Erinnerung nicht in wirksamer gewillkürter Prozess-Standschaft für den Schuldner eingelegt. Diese liegt schon deshalb nicht vor, weil sich der Insolvenzverwalter nicht, wie es erforderlich wäre, hierauf berufen hat und sie auch nicht erkennbar war (vgl. hierzu Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., vor § 50 Rz. 47). Die erforderliche Ermächtigung des Schuldners ist nicht vorgetragen und nicht ersichtlich. Die vom Schuldner eingelegte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss v. 20.10.2003 könnte zwar als nachträgliche Genehmigung ausgelegt werden, würde jedoch nicht zurückwirken können (BGH, Urt. v. 3.3.1993 - IV ZR 267/91, MDR 1993, 422 = NJW-RR 1993, 669 [670]). Darüber hinaus ist nichts für das notwendige schutzwürdige eigene Interesse des Insolvenzverwalters an einer Prozess-Standschaft erkennbar oder dargetan (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., vor § 50 Rz. 44).

Jedenfalls wäre eine für den Schuldner eingelegte Erinnerung nicht statthaft gewesen, weil dem Schuldner nach Erlass des Beschlusses v. 20.2.2003 nur die sofortige Beschwerde als Rechtsbehelf zur Verfügung stand. Die Erinnerung hätte zwar in eine sofortige Beschwerde des Schuldners umgedeutet werden können. Diese wäre jedoch verfristet gewesen.

4. Als Gegenstandswert für die Verfahren der Beschwerde ist der zu vollstreckende Betrag maßgeblich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1168617

EWiR 2004, 1003

ZIP 2004, 1379

NZI 2004, 447

ZVI 2004, 625

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