Tenor

Auf die weitere sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 8. Mai 2000 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Durch Versäumnisurteil des Landgerichts vom 24. September 1999 ist der Beklagte verurteilt worden, 132.866,60 DM nebst 9 % Zinsen seit dem 26. September 1998 an die Klägerin zu zahlen. Nach dem Inhalt der Postzustellungsurkunde vom 5. Oktober 1999 wurde ihm das Versäumnisurteil durch Niederlegung zur Post unter der Anschrift seiner Tochter, zu der seine Post infolge eines Postnachsendeauftrages umgeleitet wurde, zugestellt. In der Urkunde ist vermerkt, daß die Benachrichtigung über die Zustellung in den Postkasten der Tochter des Beklagten eingeworfen worden sei.

Am 23. Dezember 1999 hat der Beklagte gegen das Versäumnisurteil Einspruch einlegen lassen und zugleich beantragt, ihm wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung zu gewähren. Sowohl von der zugrundeliegenden Klage als auch von dem ergangenen Versäumnisurteil habe er erst erfahren, nachdem er durch seine Bank am 10. Dezember 1999 telefonisch darauf hingewiesen worden sei, daß auf seinem Motorschiff eine Zwangshypothek zugunsten der Klägerin eingetragen worden sei, und daraufhin weitere Nachforschungen angestellt habe. Seine Tochter habe weder am 9. August 1999 noch am 5. Oktober 1999 eine Nachricht über die Niederlegung eines Schriftstückes erhalten. Im Zusammenhang mit seinem Wiedereinsetzungsantrag hat er weiter eine eidesstattliche Versicherung seiner Tochter beigefügt, nach deren Inhalt diese weder am 3. September 1999 – dem für die Zustellung der Klage ebenfalls durch Niederlegung auf der Zustellungsurkunde vermerkten Zustellungstag – noch am 5. Oktober 1999 eine Benachrichtigung über die Niederlegung eines Schriftstückes erhalten hat. Ferner hat er sich zum Beweis auf das Zeugnis seiner Tochter bezogen.

Das Landgericht hat die Tochter des Beklagten als Zeugin gehört. Mit Beschluß vom 17. Februar 2000 hat es den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde ist durch den jetzt mit der weiteren sofortigen Beschwerde angefochtenen Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen zurückgewiesen worden. Dieses hat es wie das Landgericht nicht als glaubhaft gemacht angesehen, daß die Tochter des Beklagten den Benachrichtigungsschein nicht in ihrem Postkasten vorgefunden habe. Ein eventuelles Fehlverhalten seiner Tochter müsse der Beklagte aber gegen sich gelten lassen, weil sie infolge des erteilten Postnachsendeauftrages wie seine Zustellungsbevollmächtigte zu behandeln sei.

II. Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 577, 568 a, 547 ZPO). Sie ist auch begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht. Die von diesem getroffenen Feststellungen tragen seine Auffassung nicht, der Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Einspruchsfrist verhindert gewesen zu sein (§§ 233, 236, 238 ZPO).

1. Nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Tochter des Beklagten und deren Bekundung vor dem Landgericht ist hinreichend wahrscheinlich, daß diese weder die Benachrichtigung über die Zustellung der Klage noch die über die Zustellung des Versäumnisurteils erhalten hat. Gründe, die der Glaubwürdigkeit dieser Angaben entgegenstehen könnten, haben weder das Landgericht noch das Oberlandesgericht festgestellt. Zur Begründung, daß diese Angaben zur Glaubhaftmachung nicht genügten, haben sie allein angeführt, daß sie mit dem Inhalt der Postzustellungsurkunde nicht in Einklang zu bringen seien und damit ein unauflösbarer Widerspruch verbleibe; das wirke sich mit Blick auf die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde zum Nachteil des Beklagten aus. Mit dieser Würdigung haben die Tatrichter die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der fehlenden Sorgfaltspflichtverletzung überspannt. Allerdings begründet die Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde nach den §§ 418, 415 ZPO den Beweis für die darin beurkundeten Tatsachen, hier also der ordnungsgemäßen Zustellung, die den Einwurf der Benachrichtigung in den Postkasten einschließt. Der insoweit mit der Urkunde zu führende Beweis kann jedoch, wie sich aus Abs. 2 des § 418 ZPO ergibt, durch einen Gegenbeweis erschüttert werden. Entsprechendes gilt für die im Rahmen der Wiedereinsetzung erforderliche Glaubhaftmachung. Für die Frage, ob den dabei zu stellenden Anforderungen genügt ist, bedarf es einer umfassenden Würdigung, in der der Beweiskraft der Urkunde die der Gegenbeweismittel gegenüberzustellen und beide gegeneinander abzuwägen sind. Für diese Beweiswürdigung ist der Hinweis auf die von der Urkunde ausgehende Beweiskraft allein nicht ausreichend. Zu Recht weist die sofortige Beschwerde darauf hin, daß andernfalls der gesetzlich vorgesehene und eröffnete Gegenbeweis praktisch nicht geführt werden könnte. Im Rahmen der Würdigung ist vielmehr erforderlich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem zum Gegenbeweis angebotenen Beweismitteln und der von ihnen ausgehenden Überzeugungskraft. Das setzt bei der Würdigung eines Zeugenbeweises insbesondere dann, wenn dessen Ergebnis wie hier mit dem Inhalt der Urkunde unvereinbar erscheint, auch eine Auseinandersetzung mit den Gegenbeweismitteln voraus, die die Tatrichter hier bisher nicht getroffen haben. Das wird nachzuholen sein.

2. Die vom Oberlandesgericht getroffene, im Ergebnis das Wiedereinsetzungsgesuch zurückweisende Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand kann im Verfahren der weiteren Beschwerde mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen von einer fehlenden Glaubwürdigkeit der Tochter des Beklagten nicht ausgegangen werden. Aufgrund der bisherigen Beweislage ist in diesem Verfahren daher zugrunde zu legen, daß sie von den Benachrichtigungen keine Kenntnis erlangt hat, zumal auch im Hinblick auf die getroffenen Sicherungsmaßnahmen der Einwurf einer Benachrichtigung nicht zwangsläufig bedeutet, daß er auch zur Kenntnis der Tochter des Beklagten gelangt sein muß. Auch bei völlig einwandfreier Empfangsorganisation ist es gelegentlich unvermeidbar, daß ein hinterlassener Benachrichtigungszettel verlorengeht. So kann er etwa auch zwischen Werbematerial geraten, mit dem schon bei Privathaushalten zu rechnen ist und das nicht immer sorgfältig durchgesehen wird, ohne daß dies dem Empfänger vorzuwerfen ist.

Eine damit nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand allenfalls festzustellende Unkenntnis der Tochter des Beklagten von dem Benachrichtigungsschein verletzt die von einer Prozeßpartei zu fordernde Sorgfalt allein noch nicht, wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat (Beschl. v. 15.06.1994 – IV ZB 6/94, MDR 1994, 1035 = NJW 1994, 2898). Insoweit bedarf es vielmehr des Hinzutretens weiterer Umstände, die hier nicht festgestellt sind. Da nach ihren – im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens nicht zu widerlegenden – Angaben bereits die Zustellung der Klage die Tochter des Beklagten nicht erreicht hat, bestand auf ihrer Seite kein Anlaß, in verstärktem Umfang mit der Zustellung entsprechender Schriftstücke zu rechnen, wobei hier noch hinzukam, daß zwischen den Parteien des Rechtsstreits bereits ein Beweissicherungsverfahren anhängig war, vor dessen Hintergrund es aus ihrer Sicht verständlich war, wenn sie annahm, daß auch die weitere Korrespondenz mit dem für dieses Verfahren bestellten Anwalt geführt würde. Die für die Sicherung des Zuganges von Schriftstücken erforderlichen Maßnahmen hat die Tochter des Klägers getroffen. Nach ihren Angaben, auf die das Oberlandesgericht nicht weiter eingegangen ist, war der Briefkasten verschlossen und ihrem minderjährigen Kind nicht zugänglich. Anhaltspunkte dafür, daß sie mit einem Zugriff Dritter auf ihre Post hat rechnen müssen, sind weder geltend gemacht noch festgestellt worden. Sonstige fehlerhafte Vorkehrungen zum Empfang von Postsendungen sind der Tochter des Beklagten nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht vorzuwerfen. Bei dieser Sachlage kann allein in der Unkenntnis eine Sorgfaltspflichtverletzung auf seiten der Tochter des Beklagten nicht gesehen werden; für eine Sorgfaltspflichtverletzung durch den Beklagten selbst fehlt es an jedem Anhaltspunkt.

3. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, der Frage nachzugehen, ob eine Zustellung durch Niederlegung unter der Nachsendeadresse nach § 182 ZPO zulässig war.

 

Unterschriften

Jestaedt, Melullis, Scharen, Keukenschrijver, Mühlens

 

Fundstellen

Haufe-Index 556437

NJW-RR 2001, 571

JurBüro 2002, 335

SGb 2001, 502

MittRKKöln 2001, 153

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