Entscheidungsstichwort (Thema)

Akteneinsicht. Einsicht in Insolvenzakten durch Gläubiger. Rechtliches Interesse eines am Insolvenzverfahren nicht beteiligten Dritten. Prüfung möglicher Durchgriffs- und Schadensersatzansprüche gegen Organe der Insolvenzschulderin

 

Leitsatz (amtlich)

Auch nach Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse besteht für einen Gläubiger der Insolvenzschuldnerin das rechtliche Interesse i.S.d. §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO an der Einsicht in die Insolvenzakten fort. Dieses rechtliche Interesse entfällt nicht dadurch, dass der Gläubiger die Akteneinsicht begehrt, um festzustellen, ob ihm Durchgriffs- und Schadensersatzansprüche gegen Dritte, insb. Geschäftsführer oder Gesellschafter der Schuldnerin, zustehen.

 

Normenkette

InsO § 4; ZPO § 299 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Entscheidung vom 31.01.2006; Aktenzeichen 3 VA 8/05)

 

Nachgehend

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 18.01.2010; Aktenzeichen 20 VA 6/09, 20 VA 9/09)

 

Tenor

1. Der Bescheid des Antragsgegners vom 15.9.2005 wird aufgehoben.

2. Der Antragsgegner wird angewiesen, den Antrag auf Einsicht in die Insolvenzakte ... des AG Chemnitz unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

3. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers werden der Staatskasse auferlegt.

4. Der Geschäftswert wird auf 1.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

[1]I. Der Antragsteller begehrt Einsicht in die Akten des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der J. & N. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Deren Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das AG Chemnitz im Oktober 2002 mangels Masse abgelehnt.

[2]1. Der Antragsteller behauptet unter Vorlage eines Subunternehmervertrages und seiner Schlussrechnung vom 14.5.2002, er habe gegen die Schuldnerin wegen der Gestaltung einer Außenanlage noch offene, nicht titulierte Forderungen i.H.v. insgesamt 24.455,81 EUR. Sein Akteneinsichtsgesuch hat er darauf gestützt, er wolle prüfen, ob er den Geschäftsführer der Schuldnerin auf Schadensersatz in Anspruch nehmen könne. Letzterer hat namens der Schuldnerin der Akteneinsicht widersprochen.

[3]2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Antragsgegner den Antrag auf Akteneinsicht zurückgewiesen, weil das dafür nach den §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse für einen nicht am Insolvenzverfahren beteiligten Dritten wie den Antragsteller dann nicht bestehe, wenn er lediglich die Prüfung möglicher Durchgriffs- und Schadensersatzansprüche gegen Organe der Schuldnerin bezwecke. In diesem Falle werde lediglich ein wirtschaftliches Interesse verfolgt, das mit dem Gegenstand des Insolvenzverfahrens rechtlich nicht verbunden sei.

[4]3. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG, mit dem er weiter geltend macht, ihm sei mit der Ablehnung seines Akteneinsichtsgesuchs auch die Prüfung abgeschnitten, ob die Schuldnerin noch pfändbare Ansprüche gegen ihre Geschäftsführer und Gesellschafter habe.

[5]4. Das OLG Dresden möchte dem Antrag insoweit stattgeben, als es den angegriffenen Bescheid aufheben und den Antragsgegner verpflichten will, das Akteneinsichtsgesuch mit der Maßgabe neu zu bescheiden, dass bei einem Gläubiger der Schuldnerin eines Insolvenzverfahrens regelmäßig das von den §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO geforderte rechtliche Interesse für eine Akteneinsicht zu bejahen und deshalb die - hier bisher unterbliebene - Ermessensprüfung nach den genannten Vorschriften eröffnet sei. Dass dem Gläubiger mit der Einsicht in die Insolvenzakten zugleich die Prüfung von Durchgriffsansprüchen gegen Organe der Schuldnerin ermöglicht werde, könne das allein schon aus der Gläubigerstellung erwachsende rechtliche Interesse nicht beseitigen. Insoweit mache es keinen Unterschied, ob ein Gläubiger diesen Aspekt in seinem Akteneinsichtsgesuch offen anspreche oder bewusst verschweige.

[6]So zu entscheiden sieht sich das OLG jedoch durch Entscheidungen der OLG Köln (OLG Köln v. 18.8.1997 - 7 VA 4/97, OLGReport Köln 1997, 318 = WM 1998, 1091 [1092]) und Celle (OLG Celle NZI 2000, 319) sowie des OLG Brandenburg (OLG Brandenburg v. 5.9.2002 - 11 VA 11/02, ZIP 2002, 2320 [2321]) gehindert. Es hat deshalb die Sache nach § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.

[7]II. Die Vorlage erfüllt die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG (BGH v. 29.5.1980 - IVa ARZ (Vz) 102/80, BGHZ 77, 209 [210 f.] = MDR 1980, 1008; Beschl. v. 18.2.1998 - IV AR(VZ) 2/97, ZIP 1998, 961 unter II 1; v. 12.10.1988 - IVb ZB 37/88, NJW 1989, 668 unter III, m.w.N.). Die begehrte Stellungnahme des BGH ist nicht nur für die zu treffende Entscheidung des Falles erheblich, sondern die Rechtsauffassung, von der das vorlegende OLG abweichen will, war auch die Grundlage für die vorausgegangene Entscheidung des anderen Gerichts, dessen Entscheidung auf der abweichenden Beurteilung der Rechtsfrage beruhte.

[8]Jedenfalls in den Entscheidungen vom 25.7.2000 (OLG Brandenburg v. 25.7.2000 - 11 VA 7/00, GmbHR 2000, 1267 = ZIP 2000, 1541 f.) und 5.9.2002 (OLG Brandenburg v. 5.9.2002 - 11 VA 11/02, ZIP 2002, 2320) hat das Brandenburgische OLG Gläubigern (nicht titulierter Forderungen) von Schuldnern Einsicht in die Insolvenzakten mit der Begründung versagt, es fehle (ungeachtet der Gläubigerstellung) an einem rechtlichen Interesse i.S.v. § 299 Abs. 2 ZPO, wenn das Akteneinsichtsgesuch auf die Prüfung von Durchgriffs- und Schadensersatzansprüchen gegen Organe der Schuldner gestützt werde. In beiden Fällen hat das Brandenburgische OLG allein die Gläubigerstellung der dortigen Antragsteller nicht als ausreichend angesehen, um das geforderte rechtliche Interesse zu bejahen.

[9]Ob auch die Entscheidungen des OLG Brandenburg vom 10.8.2001 (OLG Brandenburg v. 10.8.2001 - 11 VA 10/01, ZIP 2001, 1922) sowie des OLG Jena vom 4.7.2002 (OLG Jena v. 4.7.2002 - 8 VA 1/02, ZVI 2002, 318), ferner der OLG Köln vom 18.8.1997 (OLG Köln v. 18.8.1997 - 7 VA 4/97, OLGReport Köln 1997, 318 = NJW-RR 1998, 407 = NZG 1998, 156) und Celle vom 28.10.1999 (OLG Celle v. 28.10.1999 - 16 VA 2/99, OLGReport Celle 2000, 58 = NZI 2000, 319), die beide im Ergebnis danach differenzieren, ob der Antragsteller ausdrücklich erklärt, er wolle die Vermögenslage der Schuldnerin prüfen (vgl. insoweit OLG Köln v. 3.5.1999 - 7 VA 6/98, OLGReport Köln 1999, 306 = GmbHR 1999, 774 = ZIP 1999, 1449; OLG Celle v. 21.12.2001 - 2 W 102/01, OLGReport Celle 2002, 114 = ZIP 2002, 446) oder ob er sich in erster Linie auf die Prüfung von Durchgriffsansprüchen gegen Dritte stützt, der beabsichtigten Entscheidung des vorlegenden OLG entgegengestanden hätten, kann offen bleiben.

[10]Nach § 29 Abs. 1 Satz 3 EGGVG hat der Senat an Stelle des vorlegenden OLG zu entscheiden.

[11]III. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach den §§ 23, 24, 26 EGGVG zulässig und begründet.

[12]In der Sache selbst schließt sich der Senat der Auffassung des vorlegenden Gerichts an. Deshalb waren der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Sache zur erneuten Bescheidung an den Antragsgegner zurückzuverweisen. Dieser hat zu Unrecht das nach den §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse verneint und deshalb die ihm nach den genannten Vorschriften eröffnete Ermessensprüfung unterlassen. Sie ist nunmehr nachzuholen und setzt insb. voraus, dass der Schuldnerin zunächst im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Gelegenheit gegeben wird, ihr Geheimhaltungsinteresse geltend zu machen (BGH, Beschl. v. 18.2.1998 - IV AR(VZ) 2/97, ZIP 1998, 961 unter II 2). Da dies bisher nicht geschehen ist, kam eine abschließende Sachentscheidung durch den Senat nicht in Betracht (vgl. § 28 Abs. 3 EGGVG).

[13]1. Der Antragsteller hat, wie das OLG näher dargelegt hat, ausreichend glaubhaft gemacht, dass er Gläubiger der Schuldnerin ist.

[14]Schon daraus folgt ein ausreichendes rechtliches Interesse an der Akteneinsicht i.S.v. § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO.

[15]Die Vorschrift setzt voraus, dass persönliche Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache (BGHZ 4, 323 [325]; OLG Hamburg v. 14.8.2001 - 2 VA 6/00, OLGReport Hamburg 2002, 61 = MDR 2002, 235 = GmbHR 2002, 331 = ZIP 2002, 266 [267]; OLG Brandenburg v. 25.7.2000 - 11 VA 7/00, GmbHR 2000, 1267 = ZIP 2000, 1541 [1542]; OLG Köln v. 18.8.1997 - 7 VA 4/97, OLGReport Köln 1997, 318 = NJW-RR 1998, 407, m.w.N.).

[16]Die Gläubigerstellung des Antragstellers schafft eine solche unmittelbare rechtliche Beziehung zur Schuldnerin. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte ihm als Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) das Akteneinsichtsrecht nach §§ 4 InsO i.V.m. 299 Abs. 1 ZPO zugestanden. In dem auf gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger gerichteten Verfahren (§ 1 InsO) nimmt jeder von ihnen an den Vor- und Nachteilen des Verfahrens teil, unabhängig davon, ob er seine Forderung angemeldet hat. Auch nach Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse muss aber dem Antragsteller die Möglichkeit erhalten bleiben, Einsicht in die Insolvenzakte zu nehmen. Denn es ist weiterhin nicht auszuschließen, dass der Antragsteller seine Forderung noch realisieren kann. Sie besteht fort und hat jedenfalls dann noch Aussicht auf erfolgreiche Beitreibung, wenn sich herausstellt, dass noch Gesellschaftsvermögen der Schuldnerin vorhanden ist (vgl. für den Fall einer im Handelsregister gelöschten GmbH BGHZ 53, 264 [266]). Das gilt selbst dann, wenn zur Realisierung eines Vermögensgegenstandes der Schuldnerin ein Aktivprozess notwendig sein sollte (OLG Hamburg v. 14.8.2001 - 2 VA 6/00, OLGReport Hamburg 2002, 61 = MDR 2002, 235 = GmbHR 2002, 331 = ZIP 2002, 266 [267], m.w.N.). Solange Gesellschaftsvermögen der Schuldnerin noch vorhanden ist, führt selbst deren Löschung nicht zugleich zur Beendigung der Gesellschaft.

[17]Nach einhelliger Auffassung muss ein Gläubiger gerade dann, wenn er gegen eine im Handelsregister gelöschte Gesellschaft noch Forderungen geltend machen will, darlegen, dass die Gesellschaft noch Vermögen hat. Die Rechtsprechung lässt insoweit bloße unsubstantiierte Behauptungen schon deshalb nicht genügen, weil Gläubiger sonst zeitlich unbegrenzt vermögensrechtliche Ansprüche gegen eine gelöschte Gesellschaft geltend machen könnten (OLG Hamburg v. 14.8.2001 - 2 VA 6/00, OLGReport Hamburg 2002, 61 = MDR 2002, 235 = GmbHR 2002, 331 = ZIP 2002, 266 [268]). Auch mit Blick auf diese Vortragslast kann dem Antragsteller das Interesse an der Einsicht in die Insolvenzakte nicht abgesprochen werden.

[18]Wollte man von einem Gläubiger zur Darlegung seines rechtlichen Interesses verlangen, er müsse über die Glaubhaftmachung seiner Gläubigerposition hinaus weitere Umstände benennen, die bereits den Erfolg der Akteneinsicht im Sinne einer Feststellung noch vorhandenen Gesellschaftsvermögen wahrscheinlich machen, verlangte man in vielen Fällen Unzumutbares, da dem Gläubiger die entsprechenden Kenntnisse fehlen, wie gerade sein Begehren nach Akteneinsicht zeigt (OLG Hamburg v. 14.8.2001 - 2 VA 6/00, OLGReport Hamburg 2002, 61 = MDR 2002, 235 = GmbHR 2002, 331 = ZIP 2002, 266 [268]; OLG Dresden v. 10.12.2002 - 6 VA 0004/02, ZIP 2003, 39 [41]; OLG Celle v. 21.12.2001 - 2 W 102/01, OLGReport Celle 2002, 114 = ZIP 2002, 446 f.). Dementsprechend ist in der Rechtsprechung der OLG im Grundsatz außer Streit, dass der Gläubiger eines insolventen Schuldners auch bei Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ein rechtliches Interesse an der Einsicht in die Insolvenzakte hat, das er zur ordnungsgemäßen Begründung eines Akteneinsichtsgesuchs nicht weitergehend darlegen muss (vgl. u.a. OLG Brandenburg v. 11.8.1997 - 2 VA 4/97, ZIP 1998, 962; OLG Braunschweig v. 8.11.1996 - VAs 1/96, ZIP 1997, 894; OLG Dresden v. 10.12.2002 - 6 VA 0004/02, ZIP 2003, 39 [41], m.w.N.; OLG Düsseldorf ZIP 2000, 322; OLG Hamburg v. 14.8.2001 - 2 VA 6/00, OLGReport Hamburg 2002, 61 = MDR 2002, 235 = GmbHR 2002, 331 = ZIP 2002, 266 [268]; OLG Hamm v. 18.9.2003 - 15 VA 8/03, ZIP 2004, 283; OLG Köln v. 3.5.1999 - 7 VA 6/98, OLGReport Köln 1999, 306 = GmbHR 1999, 774 = ZIP 1999, 1449). Dass seine Forderung nicht tituliert ist, steht dem rechtlichen Interesse an der Akteneinsicht nicht entgegen (Graf/Wunsch, a.a.O., S. 1801, m.w.N. in Fn. 19).

[19]2. Dieses rechtliche Interesse des Gläubigers entfällt nicht deshalb, weil er, wie der Antragsteller, mit seinem Akteneinsichtsgesuch - möglicherweise sogar vorrangig - das Ziel verfolgt, festzustellen, ob ihm Durchgriffs- und Schadensersatzansprüche gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter der Schuldnerin zustehen, etwa wegen Verletzung der Pflicht, rechtzeitig den Insolvenzantrag zu stellen.

[20]Anders als das Brandenburgische OLG (OLG Brandenburg v. 25.7.2000 - 11 VA 7/00, GmbHR 2000, 1267 = ZIP 2000, 1541 f.; v. 10.8.2001 - 11 VA 10/01, ZIP 2001, 1922 ff.; v. 5.9.2002 - 11 VA 11/02, ZIP 2002, 2320 f.) und die OLG Celle (OLG Celle NZI 2000, 319; v. 21.12.2001 - 2 W 102/01, OLGReport Celle 2002, 114 = ZIP 2002, 446) und Köln (OLG Köln v. 18.8.1997 - 7 VA 4/97, OLGReport Köln 1997, 318 = NJW-RR 1998, 407; v. 3.5.1999 - 7 VA 6/98, OLGReport Köln 1999, 306 = GmbHR 1999, 774 = ZIP 1999, 1449) offenbar annehmen, lässt sich das Gläubigerinteresse nicht aufspalten in ein rechtliches Interesse i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO an der Feststellung, ob noch Vermögen bei der Schuldnerin vorhanden ist und ein - von § 299 Abs. 2 ZPO nicht geschütztes - rein wirtschaftliches Interesse an der Prüfung der Erfolgsaussichten von Schadensersatzansprüchen gegen Dritte, insb. Organe der Schuldnerin. Vielmehr stehen solche Schadensersatzansprüche meist in einem rechtlich untrennbaren Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Forderung des Gläubigers.

[21]Das zeigt gerade der vorliegende Fall. Der Antragsteller hat sich ggü. dem Antragsgegner auf seine Gläubigerstellung berufen und angegeben, er ziehe in Erwägung, wegen seines erheblichen Forderungsausfalls Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer der Schuldnerin zu erheben.

[22]Grundlegende Voraussetzung solcher Schadensersatzansprüche ist, dass der Antragsteller einen Schaden erlitten hat. Ein solcher scheidet aber aus, soweit der Antragsteller seine Forderung noch beitreiben kann. Daran zeigt sich, dass auch insoweit die Frage der Vermögenslage der Schuldnerin im Mittelpunkt des Interesses des Antragstellers steht. Angesichts dessen vermag sich der Senat in Übereinstimmung mit dem vorlegenden OLG der Wertung nicht anzuschließen, der Gläubiger verfolge, wenn er die Akteneinsicht lediglich mit Blick auf solche Schadensersatzansprüche begehre, ein ausschließlich wirtschaftliches, gemessen am Zweck des Insolvenzverfahrens sachwidriges Interesse (so aber im Ergebnis OLG Brandenburg v. 25.7.2000 - 11 VA 7/00, GmbHR 2000, 1267 = ZIP 2000, 1541 f.; v. 10.8.2001 - 11 VA 10/01, ZIP 2001, 1922 ff.; v. 5.9.2002 - 11 VA 11/02, ZIP 2002, 2320 f.; OLG Köln v. 18.8.1997 - 7 VA 4/97, OLGReport Köln 1997, 318 = NJW-RR 1998, 407; v. 3.5.1999 - 7 VA 6/98, OLGReport Köln 1999, 306 = GmbHR 1999, 774 = ZIP 1999, 1449; OLG Celle NZI 2000, 319 f.). Die Gegenmeinung verkennt, dass das Insolvenzverfahren gerade auch dem Zweck dient, den Gläubiger vor Schäden im Zusammenhang mit dem Ausfall von Forderungen, die ihm gegen die Schuldnerin zustehen, zu schützen, solche Schäden jedenfalls zu mindern. Schon deshalb besteht auch ein rechtlicher Zusammenhang - und in Bezug darauf auch ein von § 299 Abs. 2 ZPO geschütztes rechtliches Interesse - zwischen der zugrunde liegenden Forderung eines Insolvenzgläubigers und dem Schadensersatzanspruch, den er bei Forderungsausfall erheben will.

[23]Dass ein Gläubiger durch Einsicht in die Insolvenzakte sowohl Informationen über die Schuldnerin als auch über sonstige Dritte gewinnen kann, ist, hinzunehmen, weil anderenfalls dem schutzwürdigen rechtlichen Interesse des Gläubigers im Verhältnis zum Schuldner nicht entsprochen und der Gläubiger dadurch im Verhältnis zu diesem in seinem Recht auf Akteneinsicht verletzt würde (so auch OLG Hamburg v. 14.8.2001 - 2 VA 6/00, OLGReport Hamburg 2002, 61 = MDR 2002, 235 = GmbHR 2002, 331 = ZIP 2002, 266 [268]). Soweit das Brandenburgische OLG (OLG Brandenburg v. 10.8.2001 - 11 VA 10/01, ZIP 2001, 1922 ff.) aus den weit reichenden (und selbst strafprozessuale Aussageverweigerungsrechte nicht berücksichtigenden) Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners und seiner Organe nach § 97 Abs. 1 InsO ein besonderes Geheimhaltungsinteresse ableitet, muss sich der Antragsteller als Gläubiger der Schuldnerin dies schon deshalb nicht entgegenhalten lassen, weil die genannten Pflichten gerade auch seinen Schutz bezwecken.

[24]3. Hier kommt noch hinzu, dass sich der Antragsteller darauf beruft, er wolle prüfen, ob der Schuldnerin pfändbare Schadensersatzansprüche gegen Geschäftsführer und Gesellschafter zustehen, auf die er im Falle der Zwangsvollstreckung zugreifen könnte. Jedenfalls insoweit würde es sich um Vermögen der Schuldnerin handeln, dessen Ermittlung vom Gläubigerinteresse ohne Weiteres gedeckt ist.

[25]IV. Über Gerichtskosten ist nicht zu befinden, da bei einem erfolgreichen Antrag auf gerichtliche Entscheidung Gerichtskosten nicht anfallen (Zöller/Gummer, ZPO, § 30 EGGVG Rz. 1). Der Senat hält es für angezeigt, der Staatskasse die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aufzuerlegen (§ 30 Abs. 2 EGGVG).

[26]Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 KostO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1523991

BB 2006, 1701

BGHR 2006, 1136

EWiR 2006, 447

NZG 2006, 595

ZAP 2006, 1023

ZIP 2006, 1154

ZVI 2006, 336

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