Leitsatz (amtlich)

›Ist der Nebenintervenient dem Rechtsstreit bis zum Eintritt der Rechtskraft nicht formgerecht beigetreten, kann er den Beitritt nicht mehr mit einem Wiedereinsetzungsgesuch nachholen.‹

 

Gründe

I. Der Kläger hat den beklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz mit der Begründung in Anspruch genommen, er habe es versäumt, ihm zur rechtzeitigen Klageerhebung zu raten, nachdem der Versicherer Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag gemäß § 12 Abs. 3 VVG abgelehnt hatte. Der Kläger hat der Lebensversicherungsanstalt Saarland mit einem am 22. Januar 1990 zugestellten Schriftsatz den Streit verkündet. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Versicherung nicht von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden sei. Das Urteil wurde dem Kläger am 3. April 1990 zugestellt. Mit einem am 3. Mai 1990 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Lebensversicherungsanstalt Saarland den Beitritt zum Rechtsstreit auf seiten des Klägers erklärt und zugleich Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt. Dieser Schriftsatz ist jedoch ebenso wie die ihm beigefügten beglaubigten Abschriften nicht unterschrieben.

Am 9. Mai 1990 hat der Prozeßbevollmächtigte der Streithelferin die Erklärungen formgerecht wiederholt und zugleich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebeten. Zur Begründung hat er ausgeführt: Der am 3. Mai 1990 eingegangene Schriftsatz sei ihm an diesem Tage mit der übrigen Post in insgesamt sieben Postmappen vorgelegt und dabei von ihm versehentlich nicht unterzeichnet worden. Er habe jedoch den Postausgang so organisiert, daß ein solches Versehen folgenlos bleibe. In seiner Kanzlei bestehe seit Jahren eine an alle Mitarbeiter ergangene, ständig durch Wiederholung in Erinnerung gerufene Dienstanweisung, alle ausgehenden Schriftstücke, insbesondere Fristsachen, zuvor auf Unterzeichnung zu überprüfen. Aus unerklärlichen Gründen habe die Bürovorsteherin, welche diesen Schriftsatz als noch am 3. Mai in den Gerichtsbriefkasten einzuwerfen aussortiert habe, die fehlende Unterschrift nicht bemerkt.

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht die Wiedereinsetzung versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Streithelferin.

II. Die gemäß §§ 519 b Abs. 2, 238 Abs. 2 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingereichte sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung versagt, weil die Streithelferin sie aus bei ihr liegenden Gründen verlange, sich jedoch nur auf Umstände aus dem Bereich der Hauptpartei berufen könne. Ob dieser in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und teilweise auch im Schrifttum vertretenen Auffassung (RG HRR 1933 Nr. 1887; JW 1936, 3046; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO 48. Aufl. § 67 Anm. 2 C; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 14. Aufl. § 47 IV 2 b; Schellhammer, Zivilprozeßrecht 4. Aufl. Rdnr. 1391; Stein/Jonas/Leipold ZPO 20. Aufl. § 67 Rdnr. 5 f.) zu folgen ist, hat der Bundesgerichtshof bisher offengelassen (Beschl. v. 5. November 1987 - V ZB 3/87, VersR 1988, 417; Urt. v. 15. Juni 1989 - VII ZR 227/88, NJW 1990, 190) und braucht auch vorliegend nicht entschieden zu werden. Das Wiedereinsetzungsgesuch scheitert bereits deshalb, weil die Streithelferin dem Rechtsstreit nicht rechtzeitig beigetreten ist.

1. Die Nebenintervention kann in jeder Lage des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung, auch in Verbindung mit der Einlegung eines Rechtsmittels, erfolgen (§ 66 Abs. 2 ZPO). Hat der Prozeß zwischen den Hauptparteien infolge eines rechtskräftig gewordenen Urteils oder auf andere Weise (z.B. Vergleich, Klagerücknahme, Erledigung der Hauptsache) sein Ende gefunden, ist sie nicht mehr möglich. Der Beitritt geschieht durch Einreichung eines Schriftsatzes § 70 Abs. 1 Satz 1 ZPO), der im Anwaltsprozeß vom Anwalt unterschrieben sein muß. Ohne diese Unterschrift ist die Prozeßhandlung nicht wirksam (BGHZ 92, 251, 254).

Für den Streithelfer gilt keine gesonderte Rechtsmittelfrist; das erstinstanzliche Urteil wird mit Ablauf der für die Hauptpartei geltenden Berufungsfrist rechtskräftig (st. Rspr.: BGH, Beschl. v. 27. Juni 1985 - III ZB 12/85, NJW 1986, 257; Beschl. v. 5. November 1987 - V ZB 3/87, VersR 1988, 417; Urt. v. 15. Juni 1989 - VII ZR 227/88, NJW 1990, 190). Da bis zum Ablauf der für den Kläger geltenden Berufungsfrist am 3. Mai 1990 kein formgerechter Beitrittsschriftsatz der Streithelferin bei Gericht eingegangen war, konnte danach eine wirksame Nebenintervention als Voraussetzung eines zulässigen Rechtsmittels des Streithelfers nicht mehr erklärt werden (vgl. BGHZ 89, 121, 124). Für eine rückwirkende Heilung des Formmangels durch Rügeverzicht (vgl. dazu BGHZ 65, 46, 48) fehlt es schon an den tatsächlichen Voraussetzungen. Die am 9. Mai 1990 eingereichte formgerechte Beitrittserklärung wirkt nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes zurück, dem die Unterschrift fehlte.

2. Der dem Beitritt der Streithelferin anhaftende Mangel läßt sich entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Ansicht (Rosenberg/Schwab, § 47 II 1 c; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. § 66 A I b 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 15. Aufl., § 66 Rdnr. 15) durch das Wiedereinsetzungsgesuch nicht mehr beseitigen.

a) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand käme nur hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist, nicht bezüglich des Beitritts zum Rechtsstreit in Betracht. Der von § 66 Abs. 2 ZPO umrissene Beitrittszeitraum gehört nicht zu den in § 233 ZPO grundsätzlich abschließend aufgeführten Fristen. Die Vorschrift über die Wiedereinsetzung ist demzufolge bisher nur in sehr engen Grenzen analog angewandt worden. Dabei handelte es sich jeweils um Fristen für Rechtsbehelfe, die einem Rechtsmittel ähnlich sind und deren Versäumung für den Betroffenen einschneidende persönliche Nachteile zur Folge hat (vgl. BGH, Beschl. v. 22. November 1951 III ZR 198/51, LM § 233 ZPO Nr. 15 zur Anschlußrevisionsbegründungsfrist; BGHZ 53, 310 zur Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage nach § 664 ZPO). Schon die gesetzliche Ausgestaltung der Stellung des Nebenintervenienten, welcher zwar im eigenen Namen und zur Wahrung eigener Belange auftritt, aber nur zur Unterstützung der Rechte der Hauptpartei handeln, sich zu dieser nicht in Widerspruch setzen darf und die zur Zeit des Beitritts geschaffene Prozeßlage hinnehmen muß (§ 67 ZPO), schließt eine entsprechende Anwendung des § 233 ZPO auf die Beitrittserklärung aus.

b) Die dem Steithelfer gewährte Möglichkeit, die Beitrittserklärung mit der Einlegung des Rechtsmittels zu verbinden (§§ 66 Abs. 2, 70 Abs. 1 Satz 1 ZPO), erweitert nicht den Zeitraum, in dem die Beteiligung am Rechtsstreit erklärt werden kann. Die Regelung ändert nichts daran, daß Beitritt und Berufung zwei selbständige Rechtshandlungen bleiben, deren Wirksamkeit je für sich gesondert zu beurteilen ist (vgl. RG HRR 1933 Nr. 1887). Für eine Auslegung des Begriffs des Rechtsmittels in dem Sinne, daß darunter auch jeglicher Rechtsbehelf fällt, der, wie das Wiedereinsetzungsgesuch, erst nach Eintritt der formellen Rechtskraft geltend gemacht wird, ergeben sich aus der Gesetzesfassung keine Anhaltspunkte. Der Regelungsgehalt der §§ 66 Abs. 2, 70 Abs. 1 ZPO erschöpft sich folglich darin, dem Nebenintervenienten die Beteiligung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits zu eröffnen, auch in der Weise, sie mit einem eigenen Rechtsmittel zu verbinden. Der Nebenintervenient kann somit ohne eine rechtzeitig wirksam gewordene Beitrittserklärung weder Rechtsmittel einlegen noch ein Wiedereinsetzungsgesuch einreichen (RGZ 89, 424, 426; dazu tendierend auch BVerfGE 60, 7, 13).

c) Für eine Erweiterung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf verspätete Beitrittserklärungen besteht kein anerkennenswertes Bedürfnis. Der Hauptintervenient muß die Klage ebenfalls bis zur rechtskräftigen Entscheidung des anhängigen Prozesses eingereicht haben. Soweit ersichtlich, wird dort nirgends angenommen, er könne die Versäumung des maßgeblichen Zeitpunkts über ein Wiedereinsetzungsgesuch nachträglich beseitigen. Sachliche Gründe für eine Besserstellung des Nebenintervenienten sind nicht ersichtlich. Die streng getrennte Betrachtung von Rechtsmittel und Beitritt bedeutet selbst für den Streitverkündungsempfänger keine unbillige Benachteiligung. Ist ihm die Streitverkündung - wie auch im vorliegenden Rechtsstreit - erhebliche Zeit vor Eintritt der Rechtskraft zugestellt worden, ist kein Grund ersichtlich, mit der Erklärung des Beitritts, der als solcher für ihn kein wesentliches rechtliches oder kostenmäßiges Risiko zur Folge hat (vgl. §§ 74 Abs. 3, 101 Abs. 1 ZPO), bis zum letzten Tag der Rechtsmittelfrist zu warten. Geschieht dies dennoch, handelt der Streitverkündungsempfänger auf eigenes Risiko. Erfolgt die Streitverkündung so spät, daß keine genügende Überlegungszeit verbleibt, ist er in seinen berechtigten Interessen durch die die Interventionswirkung nach § 68 ZPO einschränkende Vorschrift des § 74 Abs. 3 ZPO für den Folgeprozeß hinreichend geschützt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993050

BB 1990, 2440

NJW 1991, 229

BGHR ZPO § 233 Streithelfer 1

BGHR ZPO § 66 Abs. 2 Beitrittszeitpunkt 1

DRsp IV(412)214c

AnwBl 1992, 324

MDR 1991, 334

VersR 1991, 443

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