Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Berechnung der Frist nach altem Berufungsrecht. Verschulden des Prozessbevollmächtigten. Sorgfaltspflicht eines Anwalts

 

Leitsatz (redaktionell)

Erklärt der Rechtsanwalt seiner langjährig tätigen zuverlässigen Rechtsanwaltsgehilfin, dass altes Berufungsrecht anzuwenden ist, handelt es sich um eine eindeutige Erklärung zur Ermitlung der Berufungsbegründungsfrist. Der Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass die Rechtsanwaltsgehilfin seine konkrete Einzelanweisung befolgt.

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Beschluss vom 22.05.2002)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 10. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Köln v. 22.5.2002 aufgehoben.

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

Beschwerdewert: 1.347 Euro (= 2.640 DM).

 

Gründe

I.

Das AG - Familiengericht - hat auf die mündliche Verhandlung v. 29.11.2001 die Klage mit Urt. v. 10.1.2002 abgewiesen. Das Urteil wurde dem Kläger am 15.1.2002 zugestellt. Dieser legte am 4.2.2002 hiergegen Berufung beim OLG Köln ein. Die Begründung der Berufung ist dort am 15.3.2002 eingegangen.

Mit Schriftsatz v. 25.3.2002, eingegangen beim Berufungsgericht am selben Tag, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Hierzu hat er ausgeführt, die Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten, Frau K. , habe versehentlich das neue, ab 1.1.2002 geltende Berufungsrecht angewandt und deswegen im Fristenkalender das Ende der Berufungsbegründungsfrist auf den 15.3.2002 eingetragen. Sein Prozessbevollmächtigter habe Frau K., die seit 25 Jahren in dessen Kanzlei als geprüfte Anwaltsgehilfin ohne jede Beanstandung tätig sei, angewiesen gehabt, ab Januar 2002 mit ihm vor Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender abzustimmen, ob altes oder neues Berufungsrecht anzuwenden sei. Als Frau K. am Morgen des 4.2.2002 das Fax des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten mit dem Auftrag zur Berufungseinlegung vorgefunden habe, habe sie unter Vorlage eines Urteilsauszugs seinen Prozessbevollmächtigten gefragt, ob altes oder neues Berufungsrecht anzuwenden sei. Dieser habe Frau K. erklärt, dass das alte Berufungsrecht anwendbar sei, weil die letzte mündliche Verhandlung im Jahre 2001 stattgefunden habe. Außerdem habe er Frau K. angewiesen, die Berufungsschrift zur Einreichung noch am selben Vormittag vorzubereiten und die Berufungsbegründungsfrist, berechnet ab diesem Zeitpunkt, einzutragen. Tatsächlich sei die Berufungsschrift noch am 4.2.2002 beim OLG eingereicht worden, doch habe Frau K. aufgrund einer einmaligen Fehlleistung weisungswidrig den 15.3.2002 als Ende der Berufungsbegründungsfrist eingetragen. Dem Prozessbevollmächtigten seien die Akten erst wieder am 11.3.2002 vorgelegt worden.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das OLG den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, weil die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers versäumt worden sei. In der Zeit des Übergangs von der Geltung des alten zu der des neuen Berufungsrechts habe es nämlich besonders eindringlicher und unmissverständlicher Anweisungen des Rechtsanwaltes hinsichtlich der im Einzelfall einzuhaltenden Berufungsbegründungsfrist bedurft. Wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers Frau K. am Morgen des 4.2.2002 in dieser Weise auf die nach dem alten Recht zu wahrende Frist bis zum 4.3.2002 hingewiesen hätte, hätte es nicht zu einer Fehlleistung kommen können. Überdies lasse die Berufungsbegründung v. 15.3.2002 erkennen, dass die einzuhaltende Frist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers selbst nicht eindringlich bewusst gewesen sei. Er hätte spätestens bei Abfassung der Berufungsbegründung erkennen müssen, dass die Frist bereits am 4.3.2002 geendet habe. Dies habe er jedoch ersichtlich nicht bemerkt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 238 Abs. 2 S. 1, § 522 Abs. 1 S. 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist im Übrigen schon deshalb zulässig, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zu der Frage des Umfangs der Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts bei der Einlegung und Begründung einer Berufung für die Zeit des Übergangs von der Geltung des alten zu der des neuen Berufungsrechts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Sorgfalt eines Prozessbevollmächtigten überspannt. Dieser trägt zwar die Verantwortung dafür, dass die Berufungsbegründung rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Der Anwalt darf aber grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt; er ist nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung der Anweisung zu vergewissern (vgl. BGH, Beschl. v. 23.4.1997 - XII ZB 56/97, FamRZ 1997, 997).

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat Frau K. am Morgen des 4.2.2002 die Anweisung erteilt, die Berufungsschrift zur Einreichung bei Gericht noch am selben Tag vorzubereiten und den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, die von diesem Datum an zu berechnen sei, zu notieren. Zusätzlich hat er Frau K. gegenüber - wie diese eidesstattlich versichert hat - erklärt, dass das alte Berufungsrecht anzuwenden sei. Damit aber hat er Frau K., bei der es sich um eine seit 25 Jahren im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers arbeitende geprüfte Rechtsanwaltsgehilfin handelt, zu deren Aufgaben auch das selbstständige Ermitteln von Rechtsmittelfristen gehört, in eindeutiger Weise erklärt, wie die Berufungsbegründungsfrist zu ermitteln war. Insbesondere brauchte der Prozessbevollmächtigte Frau K. nicht darzulegen, wie nach altem Recht die Berufungsbegründungsfrist konkret zu berechnen war; denn diese Berechnungen wurden von Frau K. seit Jahren ohne Beanstandungen selbst vorgenommen. Hätte Frau K. die Anweisung befolgt, die Berufungsbegründungsfrist nach altem Recht zu berechnen, wäre es nicht zur Fristversäumung gekommen. Dass Frau K. dieser Anweisung nicht nachgekommen ist und die Fristberechnung nach § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO n. F. vorgenommen hat, ist auf eine einmalige, konkret nicht voraussehbare Fehlleistung und nicht - wie das Berufungsgericht fälschlicherweise annimmt - darauf zurückzuführen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers ihr nicht mit der erforderlichen Klarheit die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist verdeutlicht hätte.

Richtig ist zwar, worauf das Berufungsgericht hinweist, dass dem Prozessbevollmächtigten bei der erstmaligen Wiedervorlage der Akten am 11.3.2003 das zwischenzeitliche Verstreichen der Berufungsbegründungsfrist hätte auffallen müssen. Denn bei Vorlage der Sache zur Weiterbearbeitung traf ihn die Pflicht zur eigenständigen Prüfung des Fristablaufs (BGH, Beschl. v. 10.12.1996 - VI ZB 16/96, MDR 1997, 389 = BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 54). Doch wirkte sich dieses Verschulden des Prozessbevollmächtigten einerseits nicht auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist aus, da diese zu dem genannten Zeitpunkt bereits verstrichen war. Andererseits ist der Wiedereinsetzungsantrag am 25.3.2002 beim OLG eingegangen, so dass die 2-Wochen-Frist des § 234 ZPO auch unter dem Gesichtspunkt gewahrt ist, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei Wiedervorlage der Akten am 11.3.2002 die Fristversäumung bei gehöriger Sorgfalt hätte bemerken müssen.

Die Fristversäumung ist daher allein auf ein Fehlverhalten von Frau K. zurückzuführen, für das der Kläger nicht einzustehen hat (§ 85 Abs. 2 ZPO). Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist dem Kläger somit die begehrte Wiedereinsetzung zu gewähren, da die Voraussetzungen des § 233 ZPO vorliegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 954344

BGHR 2003, 1167

FamRZ 2003, 1269

NJW-RR 2003, 1578

KammerForum 2004, 67

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