Entscheidungsstichwort (Thema)

Kanzleiorganisation. Fristenwahrung. Kontrolle

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt, der seiner Kanzleiangestellten die Einzelanweisung erteilt, einen Schriftsatz zur Wahrung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungfrist noch am selben Tag per Telefax an das zuständige Gericht abzusenden, muss, jedenfalls wenn er nicht anordnet, den Schriftsatz sogleich abzuschicken, Vorkehrungen dagegen treffen, dass sein Auftrag im Drange der übrigen Geschäfte in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird (Fortführung von BGH, Beschl. v. 22.6.2004 - VI ZB 10/04, MDR 2004, 1375 = BGHReport 2004, 1445 = NJW-RR 2004, 1361 f.).

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Beschluss vom 06.07.2006; Aktenzeichen 1 U 31/06)

LG Ulm (Urteil vom 31.01.2006; Aktenzeichen 6 O 14/05)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 6.7.2006 - 1 U 31/06 - wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Beschwerdewert: 96.522,70 EUR.

 

Gründe

I.

[1] Der Kläger betrieb einen privaten Rettungsdienst in Baden-Württemberg. Er macht gegen den Beklagten Ausgleichsansprüche gem. § 28 Abs. 4 des Rettungsdienstgesetzes geltend.

[2] Das LG hat die Klage durch das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9.2.2006 zugestellte Urteil abgewiesen. Mit am 9.3.2006 beim Berufungsgericht eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt, welche er mit am Dienstag, dem 11.4.2006 eingegangenem Schriftsatz vom 10.4.2006 begründet hat. Mit ebenfalls am 11.4.2006 eingegangenem weiteren Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsbegründungsfrist beantragt.

[3] Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe den korrigierten und unterschriebenen Berufungsbegründungsschriftsatz am frühen Nachmittag des 10.4.2006 seiner langjährigen und äußerst zuverlässig arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten übergeben. Er habe diese angewiesen, den Schriftsatz wegen des Fristablaufs "noch heute" vorab per Fax an das OLG zu übermitteln. Die Angestellte habe sodann die Tagespost fertig gestellt, indem sie diese einkuvertiert und frankiert habe. Anschließend habe sie sich auf den Weg begeben, um das Gerichtsfach der Kanzlei bei dem örtlichen AG zu leeren. Hierbei habe sie die frankierte Post in den auf dem Weg gelegenen Briefkasten eingeworfen. Nach Rückkehr in die Kanzlei habe sie im Fristenkalender die Erledigung der Gerichtspost vermerkt. Da sie die Berufungsbegründungsschrift in den Briefkasten eingeworfen habe, habe sie auch in der vorliegenden Sache einen Erledigungsvermerk im Fristenkalender angebracht, wobei sie die angeordnete Faxübermittlung vergessen habe.

[4] Die Fristenkontrolle in seinem Büro sei so geregelt, dass nach Erbringung der zur Fristwahrung erforderlichen Leistung die Frist im Kalender mit einem Haken versehen werde. Sei die Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax angeordnet, dürfe dies nach einer entsprechenden allgemeinen Weisung erst nach Ausdruck eines beizuheftenden Sendeprotokolls mit dem Vermerk "OK" erfolgen.

[5] Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

[6] Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist zwar nach § 238 Abs. 2 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Allerdings hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

[7] 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers falle ein Organisationsverschulden zur Last. Weise ein Rechtsanwalt seine Fachangestellte an, eine schon fertig gestellte und im Original von ihm unterschriebene Berufungsbegründungsschrift noch am selben Tage per Fax an das Gericht zu versenden, werde den an die Organisation einer Rechtsanwaltskanzlei zu stellenden Anforderungen nur dann ausreichend Rechnung getragen, wenn geeignete Maßnahmen getroffen seien, die einem möglichen Vergessen der mündlichen Anweisung entgegenwirkten. Solche Maßnahmen könnten in der allgemeinen Anordnung an die Fachangestellte bestehen, eine Einzelweisung zur Übermittlung eines versandfertigen und unterschriebenen fristgebundenen Schriftsatzes per Fax entweder sofort auszuführen oder sofort im Fristenkalender einen Vermerk über die gebotene Versendung per Fax anzubringen.

[8] 2. Das Berufungsgericht hat damit auf der Grundlage der gefestigten Rechtsprechung des BGH entschieden.

[9] Ein Rechtsanwalt darf zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung befolgt (ständige Rechtsprechung, z.B. BGH, Beschl. v. 22.6.2004 - VI ZB 10/04, MDR 2004, 1375 = BGHReport 2004, 1445 = NJW-RR 2004, 1361, 1362 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 4.11.2003 - VI ZB 50/03, MDR 2004, 478 = BGHReport 2004, 263 = NJW 2004, 688, 689). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung - wie hier - einen solch wichtigen Vorgang wie die Wahrung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anordnung in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen Organisationsmangel (BGH, Beschl. v. 22.6.2004a.a.O.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 4.11.2003a.a.O.). Eine besondere Vorkehrung mag ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn die Bürokraft die unmissverständliche Weisung erhält, einen Vorgang sogleich auszuführen (vgl. BGH, Beschl. v. 22.6.2004a.a.O.). Lässt der Anwalt seiner Angestellten hingegen - wie hier - einen zeitlichen Spielraum von mehreren Stunden zur Erledigung der aufgetragenen Arbeit, besteht die Gefahr, dass der Auftrag im Drange der sonstigen Geschäfte vergessen wird. Dieser Fehler kann auch ansonsten verlässlichen Kanzleiangestellten unterlaufen. Der Rechtsanwalt muss deshalb, wenn er nicht die sofortige Ausführung seiner Einzelweisung anordnet, durch eine allgemeine Weisung oder durch einen im Einzelfall zu erteilenden Auftrag Vorkehrungen hiergegen treffen. Insoweit kommt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, z.B. in Betracht, dass sofort nach der mündlichen Weisung, den Schriftsatz noch am selben Tag per Fax zu versenden, ein entsprechender Vermerk im Fristenkalender angebracht wird.

[10] Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht dem der Beschluss des VI. Zivilsenats des BGH vom 22.6.2004 (a.a.O.) nicht entgegen. Zwar hat dieser Senat das Organisationsverschulden eines Rechtsanwalts, der seinem Büropersonal, wie hier, die Anweisung gegeben hatte, eine Berufungsbegründung als Fax an das Rechtsmittelgericht zu senden, mit der Erwägung angenommen, dass die Weisung bereits am Vormittag ergangen war und die klare und präzise Direktive fehlte, die Rechtsmittelbegründungsschrift umgehend, jedenfalls noch am Vormittag abzusenden (Beschluss vom 22.6.2004a.a.O.). Für den Fall, dass die Versendung am Vormittag unterblieben sei, habe die nicht fern liegende Gefahr bestanden, dass die Angestellte die Anweisung nach ihrer Mittagspause vergessen würde. Dieser Entscheidung ist jedoch, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht umgekehrt zu entnehmen, dass der Rechtsanwalt darauf vertrauen darf, dass seine Einzelanweisung nicht innerhalb weniger Stunden eines halben Tages in Vergessenheit gerät.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1742167

BB 2007, 1078

DB 2007, 1249

NJW 2008, 234

BGHR 2007, 623

EBE/BGH 2007

FamRZ 2007, 1007

NJW-RR 2007, 1430

ZAP 2007, 592

MDR 2007, 966

VersR 2008, 703

NWB direkt 2007, 11

PA 2007, 116

RENOpraxis 2007, 90

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