Entscheidungsstichwort (Thema)

Kautionsauszahlungsanspruch des Schuldners bei Kündigung seiner Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft durch den Insolvenzverwalter/Treuhänder

 

Leitsatz (amtlich)

Kündigt der Insolvenzverwalter/Treuhänder die Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft, um damit das der Masse gebührende Auseinandersetzungsguthaben zu realisieren, hat der Schuldner keinen Anspruch auf Auskehrung des Teils des Guthabens, den er als Kaution für die von ihm bewohnte Wohnung benötigt.

 

Normenkette

InsO §§ 35-36; ZPO §§ 765a, 850 f Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Beschluss vom 12.02.2010; Aktenzeichen 5 T 1045/09)

AG Dresden (Beschluss vom 05.11.2009; Aktenzeichen 561 IK 1485/09)

 

Nachgehend

AG Duisburg (Beschluss vom 23.02.2011; Aktenzeichen 64 IK 248/10)

 

Tenor

Dem weiteren Beteiligten zu 1) wird wegen Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Dresden vom 12.2.2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Dresden vom 12.2.2010 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des AG Dresden vom 5.11.2009 wird zurückgewiesen.

Die Schuldnerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Der Gegenstandswert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird auf 585 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Beschwerdeführer wurde vom AG Dresden durch Beschluss vom 3.8.2009 zum Treuhänder über das Vermögen der Schuldnerin bestellt. Am 31.8.2009 kündigte er deren Genossenschaftsanteile bei der Wohnungsgenossenschaft G. e.G. Diese kündigte daraufhin die von der Schuldnerin genutzte Wohnung und bot ihr an, einen Mietvertrag abzuschließen und die Wohnung gegen Leistung einer Mietkaution von 585 EUR zu behalten. Die Mietsicherheit finanzierte die Schuldnerin durch ein Darlehn der A. D., die dafür monatlich 25 EUR von der der Schuldnerin gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt einbehält. Am 21.9.2009 hat die Schuldnerin beantragt, ihr für einen Teilbetrag i.H.v. 585 EUR des im Frühjahr 2010 fälligen Auseinandersetzungsguthabens Vollstreckungsschutz gem. § 765a ZPO zu bewilligen.

Rz. 2

Das AG - Insolvenzgericht - hat den Antrag abgelehnt. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das LG den Insolvenzbeschlag des Anspruchs auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens in Höhe eines Teilbetrags von 585 EUR aufgehoben und die Drittschuldnerin zur Auszahlung an die Schuldnerin verpflichtet. Hiergegen richtet sich der Treuhänder mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Rz. 4

1. Das Beschwerdegericht meint, der Schuldnerin sei Pfändungsschutz zu gewähren, weil das Vorgehen des Treuhänders im Ergebnis dem Nachrang der Sozialhilfe widerspreche und sogar dazu führe, dass dieser nicht einmal der sozialhilferechtliche Grundbedarf verbleibe. Dies sei mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren. Das Auseinandersetzungsguthaben dürfe nicht vollständig zur Masse gezogen werden, wenn der Schuldner eine anderweitige Mietsicherheit nur von der Sozialhilfe oder durch Verzicht auf den sozialhilferechtlich notwendigen Lebensunterhalt aufbringen könne.

Rz. 5

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Allein die Notwendigkeit, zur Sicherung des Lebensunterhalts Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, begründet keine sittenwidrige Härte. Die Anwendung des § 765a ZPO ermöglicht es nicht, der Masse kraft Gesetzes ausdrücklich zugewiesene Gegenstände wieder zu entziehen.

Rz. 6

a) Der Insolvenzverwalter kann die Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft mit dem Ziel, den zur Insolvenzmasse gehörigen Anspruch des Schuldners auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens (§ 73 GenG) zu realisieren, kündigen. Das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum ist auf diesen Fall nicht entsprechend anwendbar (BGH, Urt. v. 19.3.2009 - IX ZR 58/08, BGHZ 180, 185 Rz. 5 ff.; v. 17.9.2009 - IX ZR 63/09, ZInsO 2009, 2104 Rz. 5).

Rz. 7

b) Das Auseinandersetzungsguthaben aus der Kündigung des Genossenschaftsanteils fällt in die Insolvenzmasse. Eine entsprechende Anwendung des § 765a ZPO über § 4 InsO kommt nicht in Betracht. Die Vorschrift ermöglicht es nicht, der Masse ausdrücklich kraft Gesetzes (§§ 35, 36 InsO) zugewiesene Vermögenswerte wieder zu entziehen (BGH, Beschl. v. 15.11.2007 - IX ZB 34/06, ZInsO 2008, 40 Rz. 21). Das Beschwerdegericht hat ausdrücklich festgestellt, dass das Guthaben nicht unter § 850 f Abs. 1 Buchst. a ZPO fällt und auch sonst kein Pfändungsschutz außerhalb des § 765a ZPO eingreift. Unpfändbarkeit i.S.d. § 36 Abs. 1 InsO ist damit ausgeschlossen.

Rz. 8

c) Soweit das Beschwerdegericht meint, § 765a ZPO sei einschlägig, weil dies der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe gebiete, steht diese Auffassung im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH.

Rz. 9

aa) § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen, die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Die Vorschrift ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde. Die Notwendigkeit, zur Sicherung des Lebensunterhalts Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, begründet als solche keine sittenwidrige Härte. Auf Sozialhilfe besteht ein gesetzlicher Anspruch (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Die Antragstellung ist daher für Schuldner keine besondere Zumutung; die Sozialhilfe ermöglicht dem Bezieher ein menschenwürdiges Dasein. Der Umstand, dass ein Schuldner infolge der Zwangsvollstreckung Sozialhilfe beantragen muss, reicht deshalb für die Anwendbarkeit des § 765a ZPO nicht aus (BGH, Beschl. v. 21.12.2004 - IXa ZB 228/03, BGHZ 161, 371, 374 ff. m.w.N.).

Rz. 10

bb) Hiernach hätte das Beschwerdegericht den Insolvenzbeschlag des Anspruchs auf Auszahlung eines erstrangigen Teilbetrags von 585 EUR nicht aufheben und nicht anordnen dürfen, dass dieser an die Schuldnerin ausgezahlt wird.

III.

Rz. 11

Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2590631

EBE/BGH 2011

WM 2011, 134

ZAP 2011, 129

ZIP 2011, 90

ZfIR 2011, 71

DZWir 2011, 122

MDR 2011, 195

WuM 2011, 40

ZInsO 2011, 93

InsbürO 2011, 73

NJW-Spezial 2011, 131

RENOpraxis 2011, 58

VE 2011, 80

ZVI 2011, 96

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