Leitsatz (amtlich)

›Die Verkündung eines Urteils in einem dazu anberaumten Termin ist auch dann wirksam, wenn das Urteil entgegen § 310 Abs. 2 ZPO bei der Verkündung noch nicht in vollständiger Form abgefaßt ist.‹

 

Verfahrensgang

LG Hamburg

OLG Hamburg

 

Gründe

I. Durch ein am 10. April 1987 verkündetes Urteil hat das Landgericht die Klage des Beschwerdeführers abgewiesen. Bei der Verkündung lagen lediglich Rubrum und Tenor des Urteils vor; Tatbestand und Entscheidungsgründe waren noch nicht abgefaßt. Das Urteil wurde in vollständiger Form am 2. Oktober 1987 zugestellt.

Das Oberlandesgericht hat die am 2. November 1987 eingegangene Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde.

II. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zu Recht verworfen, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist des § 516 ZPO eingelegt worden ist.

Die Berufungsfrist konnte nur dann mit dem Ablauf von fünf Monaten seit dem 10. April 1987 beginnen, wenn das Ur- teil am 10. April 1987 wirksam verkündet worden war (vgl. BGH Urteil vom 16. Oktober 1984 - VI ZR 205/83 - NJW 1985, 1782, 1783 = ZIP 1985, 248, 249; BGHZ GSZ 14, 39, 44; BGHZ 42, 94, 97). Dies war hier jedoch der Fall.

Das Landgericht hat allerdings dadurch gegen § 310 Abs. 2 ZPO verstoßen, daß es sein Urteil in dem dazu anberaumten Termin verkündete, obwohl das Urteil damals noch nicht vollständig abgefaßt war. Dieser nicht die Verkündung selbst betreffende, sondern "bei" der Verkündung begangene Verfahrensfehler berührte aber die Wirksamkeit der Verkündung nicht. § 310 Abs. 2 ZPO regelt nicht die Verkündung des Urteils, sondern knüpft mit der Festlegung, bis wann das Ur- teil vollständig abgefaßt sein muß, lediglich an den Zeitpunkt der Verkündung an. Dementsprechend wird auch nicht vorgeschrieben, daß das vollständig abgefaßte Urteil den Parteien bereits bei der Verkündung mitgeteilt werden muß. § 310 Abs. 2 ZPO will lediglich auf eine beschleunigte Absetzung der Urteile hinwirken (vgl. dazu den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, der § 310 Abs. 2 ZPO in den Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle) eingefügt hat, BTDrucks 7/5250 S. 10 und 38).

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wird auch dann, wenn bei einer Verkündung nach § 310 Abs. 2 ZPO Tatbestand und Entscheidungsgründe noch nicht abgesetzt sind, nicht ein Entwurf, sondern ein Urteil verkündet. Wie die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über das Urteil zeigen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht wesensmäßige Voraussetzungen eines Urteils. So muß das Urteil, wenn es in dem Termin verkündet wird, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, nach § 315 Abs. 2 Satz 1 ZPO noch nicht vollständig abgefaßt sein, sondern nur innerhalb von drei Wochen in vollständiger Form der Geschäftsstelle übergeben werden. In den in § 313a, § 313b und § 543 ZPO genannten Fällen kann auf Tatbestand und Entscheidungsgründe ganz verzichtet werden. Schließlich zeigt auch die revisionsrechtliche Vorschrift des § 551 Nr. 7 ZPO, nach der eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn sie nicht mit Gründen versehen ist, daß selbst bei völligem Fehlen von Tatbestand und Entscheidungsgründen nicht ein Nichturteil vorliegt, sondern ein wirksames Urteil, das nur auf Rechtsmittel aufgehoben werden kann. Der Bundesgerichtshof hat dazu in ständiger Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Literatur entschieden, daß der Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO auch dann gegeben ist, wenn das mit Gründen versehene, vollständige Berufungsurteil erst nach Ablauf der in § 552 ZPO genannten fünf Monate zur Geschäftsstelle gelangt (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1986 - IVa ZR 119/85 - VersR 1987, 405 m.w.N.). Auch dieser Rechtsprechung liegt die Ansicht zugrunde, daß Urteile ohne Rücksicht auf die vollständige Abfassung von Tatbestand und Entscheidungsgründen mit der Verkündung wirksam werden.

In Rechtsprechung und Literatur wird demgemäß allgemein als selbstverständlich angesehen, daß die Verkündung eines Urteils in einem dazu anberaumten Termin auch dann wirksam ist und die Fünfmonatsfrist des § 516 ZPO in Lauf setzt, wenn es bei der Verkündung noch nicht in vollständiger Form abgefaßt ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992929

BB 1988, 936

NJW 1988, 2046

BGHR ZPO § 310 Abs. 2 Urteil 1

DRsp IV(415)188b

MDR 1988, 567

VersR 1988, 835

DRsp-ROM Nr. 1996/8269

Warn 1988, 60

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge