Leitsatz (amtlich)

Der Verfahrensbevollmächtigte trägt die Verantwortung dafür, dass die Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Insofern muss er sich bei der Unterzeichnung davon überzeugen, dass sie zutreffend adressiert ist (im Anschluss an BGH Beschlüsse vom 30.10.2008 - III ZB 54/08, FamRZ 2009, 109 Rz. 9; vom 29.7.2003 - VIII ZB 107/02, FamRZ 2003, 1650; v. 23.11.1995 - V ZB 20/95, NJW 1996, 997, 998; v. 12.10.1995 - VII ZR 8/95, NJW-RR 1996, 443). Von dieser Verpflichtung ist der Verfahrensbevollmächtigte grundsätzlich auch nicht in plötzlich und unvorhersehbar eingetretenen Stresssituationen entbunden.

 

Normenkette

FamFG § 113 Abs. 1 S. 2, § 117 Abs. 1 S. 4; ZPO § 85 Abs. 2, § 233

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Beschluss vom 12.04.2011; Aktenzeichen 13 UF 50/11)

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 19.11.2010; Aktenzeichen 150 F 14882/10)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats des KG in Berlin vom 12.4.2011 wird auf Kosten der Antragsteller verworfen.

Beschwerdewert: 5.710 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Antragsteller wenden sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die damit einhergehende Verwerfung ihrer Beschwerde als unzulässig.

Rz. 2

Mit Beschluss vom 19.11.2010 hat das AG den Antrag der Antragsteller zurückgewiesen, ihren ehemaligen Schwiegersohn wegen von ihnen erbrachter Geldgeschenke zur Zahlung von 5.710 EUR zu verurteilen.

Rz. 3

Gegen den ihnen am 21.12.2010 zugestellten Beschluss des AG haben die Antragsteller am 21.1.2011 Beschwerde beim KG eingelegt. Die Beschwerde haben sie am 7.2.2011 wieder zurückgenommen, nachdem der Vorsitzende des Beschwerdegerichts ihnen mitgeteilt hatte, dass bei der Anwendung des neuen Verfahrensrechts die Beschwerde beim AG einzulegen gewesen wäre.

Rz. 4

Am 17.2.2011 haben die Antragsteller (erneut) Beschwerde beim AG eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Rz. 5

Zur Begründung haben die Antragsteller ausgeführt, dass die Rechtsfachwirtin H. im Büro ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 21.1.2011, dem Tag des Fristablaufs der im Computer notierten Berufungsfrist, den Auftrag gehabt habe, die Beschwerde einzulegen. Bei dem von Frau H. im Computer aufgerufenen Formular für die Beschwerdeschrift habe es sich noch um ein Formular nach dem alten Recht gehandelt, welches sie aber habe überschreiben wollen. Kurz danach habe Frau H. sich unwohl gefühlt, Kreislaufprobleme bekommen und sei dann ohnmächtig geworden. Sie sei von einer weiteren Angestellten und der Verfahrensbevollmächtigten wiederbelebt und von Letzterer zum Arzt gefahren worden, wo sie notversorgt worden sei. Die Verfahrensbevollmächtigte sei anschließend wieder ins Büro gefahren und habe wegen weiterer Termine der Angestellten P. die Weisung erteilt, die Beschwerde zu fertigen und fristwahrend zu faxen. Die Verfahrensbevollmächtigte habe die Beschwerde unterschrieben und sich dann zu weiteren Terminen begeben. An einem normalen Tag hätte sie den Schriftsatz nochmals überprüft, der 21.1.2011 sei aber aufgrund der dramatischen Situation nicht normal gewesen. Die Angestellte P. habe die Beschwerde in der Vermutung, diese sei ordnungsgemäß vorbereitet worden, nach der Unterschrift der Verfahrensbevollmächtigten an das KG gefaxt. Durch den Zusammenbruch von Frau H., einer seit 20 Jahren in der Kanzlei tätigen zuverlässigen und sehr exakten Mitarbeiterin, sei der Kanzleibetrieb völlig durcheinandergeraten.

Rz. 6

Das KG hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die gegen den amtsgerichtlichen Beschluss gerichtete Beschwerde der Antragsteller verworfen. Hiergegen richtet sich deren Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 7

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des BGH geklärt sind und das Beschwerdegericht hiernach zutreffend entschieden hat. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen deshalb nicht vor.

Rz. 8

1. Die Beschwerde war gem. § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil die Antragsteller sie entgegen § 64 Abs. 1 FamFG nicht innerhalb von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des amtsgerichtlichen Beschlusses beim zuständigen AG eingelegt haben. Dieser wurde ihnen am 21.12.2010 zugestellt. Die Antragsteller haben indes erst am 17.2.2011 beim AG Beschwerde eingelegt.

Rz. 9

2. Zu Recht hat das KG den Antragstellern die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 233 ZPO setzt die Wiedereinsetzung voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Auf der Grundlage ihres Vortrags ist ein ihnen nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Anwaltsverschulden nicht ausgeräumt.

Rz. 10

a) Das Anwaltsverschulden liegt darin, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller die Beschwerdeschrift ungeprüft unterschrieben hat.

Rz. 11

Der Prozessbevollmächtigte einer Partei trägt die Verantwortung dafür, dass die Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Demgemäß muss er sich bei Unterzeichnung dieses Schriftsatzes davon überzeugen, dass er zutreffend adressiert ist (BGH Beschlüsse v. 30.10.2008 - III ZB 54/08, FamRZ 2009, 109 Rz. 9; v. 29.7.2003 - VIII ZB 107/02, FamRZ 2003, 1650; v. 23.11.1995 - V ZB 20/95, NJW 1996, 997, 998; v. 12.10.1995 - VII ZR 8/95, NJW-RR 1996, 443).

Rz. 12

b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller dieser Verpflichtung nicht gerecht geworden ist. Sie hat die ihr obliegende Kontrolle des Schriftsatzes hinsichtlich der Adressierung des Empfangsgerichts nicht wahrgenommen.

Rz. 13

Dieser Verpflichtung kam auch deswegen besondere Bedeutung zu, weil Sorge bestand, dass die an sich zuständige Mitarbeiterin an diesem Tag möglicherweise wegen der aufgetretenen Erkrankung nicht - wie üblich - zuverlässig und exakt gearbeitet hat. Hinzu kommt, dass nach dem Vortrag der Antragsteller die - jedenfalls von der zuständigen Mitarbeiterin benutzte - bürointerne Software ersichtlich noch nicht auf das neue Verfahrensrecht umgestellt war. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Vorhalten lediglich eines - auf altem Recht basierenden - Formulars mit weniger Risiken behaftet sei, als das Einrichten zweier - auf das jeweils anzuwendende Recht abstellenden - Formulare. Während bei der ersten Alternative - wie hier - eher in Vergessenheit geraten kann, das Formular entsprechend abzuändern, ist der Bearbeiter bei zwei alternativ vorhandenen Formularen gezwungen, sich hinsichtlich des anzuwendenden Rechts zu entscheiden und damit das Gericht zu wählen, bei dem die Beschwerde einzulegen ist.

Rz. 14

c) Von der Verpflichtung, die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu überprüfen, war die Verfahrensbevollmächtigte vorliegend auch nicht etwa im Hinblick auf die an dem betreffenden Tag herrschenden Umstände entbunden. Zwar ist der Rechtsbeschwerde einzuräumen, dass die im Einzelnen geschilderten Ereignisse vom 21.1.2011 geeignet waren, eine nicht unerhebliche Unruhe in den Kanzleialltag zu bringen und für die Verfahrensbevollmächtigte eine besondere Belastung dargestellt haben dürften. Gleichwohl handelte es sich nicht um eine Situation, die sie von ihrer Überprüfungspflicht hätte freistellen können.

Rz. 15

aa) Es ist anerkannt, dass eine krankheitsbedingte Fristversäumung des Anwalts unter besonderen Voraussetzungen, insb. bei einer plötzlich auftretenden Erkrankung, für die der Anwalt keine Vorsorge treffen konnte, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann (BGH v. 26.11.1997 - XII ZB 150/97, NJW-RR 1998, 639; BGH Beschl. v. 3.12.1998 - X ZR 181/98, NJW-RR 1999, 938).

Rz. 16

Dabei wird auch vertreten, dass eine erhebliche Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts eine Wiedereinsetzung ausnahmsweise dann rechtfertigen könne, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar eingetreten und durch sie die Fähigkeit zu konzentrierter Arbeit erheblich eingeschränkt sei (vgl. BGH Beschl. v. 23.11.1995 - V ZB 20/95, NJW 1996, 997, 998; Zöller/Greger ZPO, 29. Aufl., § 233 Rz. 23 "Arbeitsüberlastung"; HK-ZPO/Sänger ZPO, 4. Aufl., § 233 Rz. 21).

Rz. 17

bb) Eine krankheitsbedingte Einschränkung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller lag hier unstreitig nicht vor. Dass das Beschwerdegericht eine Wiedereinsetzung auch im Hinblick auf eine stressbedingte Arbeitsüberlastung der Verfahrensbevollmächtigten verneint hat, ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.

Rz. 18

Es ist nicht dargetan, dass die Verfahrensbevollmächtigte aufgrund der - sehr ungewöhnlichen - Situation nicht mehr in der Lage gewesen wäre, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Im Gegenteil hinderte der eingetretene Notfall die Verfahrensbevollmächtigte nicht daran, anschließend noch zwei umfangreiche Termine wahrzunehmen.

Rz. 19

Danach ist nicht ersichtlich, dass sich die mit dem eingetretenen Notfall einhergehende Stresssituation so erheblich auf den Zustand der Verfahrensbevollmächtigten ausgewirkt hätte, dass diese nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Beschwerdeschrift inhaltlich zu überprüfen. Zu Recht weist das KG darauf hin, dass es nur einen geringen zeitlichen Mehraufwand bedeutet hätte, die - weder einen Antrag noch eine Begründung enthaltene - Beschwerdeschrift durchzulesen und hinsichtlich der Angabe des Empfangsgerichts auf die Richtigkeit zu überprüfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2922015

HFR 2012, 804

NJW 2012, 2281

NJW-RR 2012, 694

FGPrax 2012, 91

JurBüro 2012, 503

ZAP 2012, 498

AnwBl 2012, 370

FPR 2012, 5

FF 2012, 132

FamRB 2012, 112

RENOpraxis 2012, 109

BRAK-Mitt. 2012, 124

Reno 2012, 10

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