Leitsatz (amtlich)

1. Die Klage auf Zahlung von Prozeßzinsen kann sowohl mit der Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid als auch mit der Verpflichtungsklage wegen eines Erstattungs- oder Vergütungsanspruchs verbunden werden.

2. Ansprüche auf Erstattung von Abgaben aus Billigkeitsgründen sind auch dann nicht nach § 111 FGO zu verzinsen, wenn der Kläger die Verpflichtung der Behörde zur Vornahme der Billigkeitsmaßnahme verlangen kann.

 

Normenkette

FGO §§ 43, 100 Abs. 3, § 111; AO §§ 131, 158; StSäumG §§ 4, 6 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin hatte, ebenso wie eine Reihe anderer Importeure, bei dem beklagten BdF beantragt, ihr aus Billigkeitsgründen die Abschöpfungen zu erstatten, die im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Versagung von Einfuhrlizenzen durch die Einfuhr- und Vorratsstelle (EVSt) für Getreide und Futtermittel in Frankfurt/Main bei der Einfuhr von Mais durch verschiedene Zollstellen erhoben worden waren. Der Beklagte lehnte dies durch Verfügung vom 2. November 1967 ab. Daraufhin erhob die Abgabenpflichtige Klage beim BFH, mit der sie beantragte, den Bescheid des BdF aufzuheben und ihn zu verpflichten, die gezahlte Abschöpfung aus Billigkeitsgründen zu erstatten. Außerdem verlangte sie Zinsen in Höhe von 6 v. H. des Abschöpfungsbetrags.

Nachdem der BFH in einem gleichgelagerten Fall die Verpflichtung des Beklagten ausgesprochen hatte, die von dem betroffenen Importeur entrichtete Abschöpfung aus Billigkeitsgründen zu erstatten, zahlte der BdF auch der Klägerin die Abschöpfung im Billigkeitswege zurück. Nunmehr erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit bis auf den von der Klägerin weiterhin geltend gemachten Zinsanspruch für in der Hauptsache erledigt. Die Klägerin stützt diesen Zinsanspruch auf § 111 FGO, der eine Verzinsungspflicht für alle Rechtsstreitigkeiten einführe, auf welche die FGO anzuwenden sei. Nach § 111 Abs. 4 FGO seien Vergütungsansprüche für die Zeit der Rechtshängigkeit mit 6 v. H. per anno zu verzinsen. Die Verzinsungspflicht gelte auch für die im Streitfall im Billigkeitswege erstatteten Abgaben, da das der Finanzverwaltung im Rahmen des § 131 AO zustehende Ermessen in der Weise eingeschränkt gewesen sei, daß nur eine ermessensgemäße Entscheidung, nämlich die Erstattung der Abgaben, möglich gewesen sei.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

den Beklagten zur verurteilen, der Klägerin 6 v. H. Zinsen von 183 143,62 DM ab Rechtshängigkeit bis zum Tage der Erstattung zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach seiner Auffassung ist der geltend gemachte Zinsanspruch, soweit er auf § 111 Abs. 1 FGO gestützt wird, unzulässig und im übrigen unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Durch die übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten ist der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache erledigt, als die Klägerin die Aufhebung der Verfügung des Beklagten vom 2. November 1967 und die Verpflichtung des BdF zur Erstattung der Abschöpfung aus Billigkeitsgründen beantragt hatte. Gegenstand der Klage ist deshalb nur mehr der von ihr weiterhin erhobene, nunmehr auf § 111 FGO gestützte Anspruch auf Zinsen in Höhe von 6 v. H. des gezahlten Abgabenbetrages von der Rechtshängigkeit bis zum Tage der Zahlung.

Mit diesem Begehren kann sie keinen Erfolg haben.

1. Die auf die Zahlung von Prozeßzinsen gerichtete Klage ist zulässig.

Gemäß § 43 FGO war die Klägerin befugt, mit der Klage auf Aufhebung der Verfügung vom 2. November 1967 und auf die Verpflichtung des Beklagten, die Abschöpfung aus Billigkeitsgründen zu erstatten, die Klage auf Zahlung von Prozeßzinsen zu verbinden. Denn diese Klagebegehren stehen im Zusammenhang und richten sich gegen denselben Beklagten und vor allem ist für die Zinsklage ebenfalls der BFH zuständig.

Die von der Klägerin geltend gemachten Erstattungszinsen stellen nämlich eine Nebenleistung zu ihrem Anspruch auf Erstattung der Abschöpfung dar und auf sie finden ferner die für die Steuern geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung (§ 6 Abs. 2 StSäumG). Das bedeutet, daß über den Zinsanspruch die Steuerbehörde durch Verwaltungsakt entscheidet und die im Streitfall erhobene Klage auf Zahlung von Prozeßzinsen deshalb ihrer verfahrensrechtlichen Natur nach auf die Verpflichtung des BdF zum Erlaß eines erstinstanzlichen Verwaltungsaktes gerichtet ist. Es ergibt sich daraus ferner, daß dieser Verwaltungsakt das Gebiet der Eingangsabgaben betrifft (§ 37 Nr. 1 FGO).

Der Zulässigkeit der Zinsklage steht es nicht entgegen, daß der Verwaltungsakt, zu dessen Erlaß die beklagte Behörde verurteilt werden soll, nicht Gegenstand eines vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens war. Zwar handelt es sich infolgedessen bei dem Gegenstand der Klage nicht um einen "abgelehnten" oder "unterlassenen" Verwaltungsakt und es konnte insofern auch kein Vorverfahren über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf durchgeführt werden (§§ 40 Abs. 1, 44 Abs. 1 FGO). Indessen brauchen diese Voraussetzungen im Streitfall ausnahmsweise nicht erfüllt zu sein.

Gemäß § 100 Abs. 3 FGO ist nämlich, wenn neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden kann, in dem gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig. Diese, aus Gründen der Prozeßökonomie geschaffene Vorschrift soll es dem Kläger ermöglichen, seine materiellen Ansprüche, die sich aus der Aufhebung eines von ihm angefochtenen Verwaltungsaktes ergeben, zusammen mit der gegen diesen Verwaltungsakt erhobenen Anfechtungsklage in ein und demselben Verfahren geltend zu machen. Dies ergibt sich sowohl aus ihrem Wortlaut und ihrem Zusammenhang mit den übrigen Vorschriften des § 100 FGO als auch insbesondere aus der Begründung zum Entwurf der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), deren § 113 Abs. 3 sie nachgebildet ist. Danach stellt § 113 Abs. 3 VwGO einen Unterfall des § 113 Abs. 1 Satz 2 dieses Gesetzes dar (der dem § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO entspricht). Bei dem dort vorgesehenen Antrag, die Behörde zur Rückgängigmachung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu verurteilen, handle es sich sachlich um eine Verpflichtungsklage, die sich an die Anfechtungsklage anzuschließen hätte, da erst mit der Rechtskraft des Anfechtungsurteils der Anspruch auf Rückgängigmachung des Vollzugs entstehe. Aus prozeßökonomischen Gründen solle hierüber aber bereits im Rahmen des Anfechtungsprozesses mit entschieden werden. Bei § 113 Abs. 3 VwGO sei an die Fälle gedacht, daß sich aus der Aufhebung des Verwaltungsaktes materiellrechtlich unmittelbar ein Anspruch gegen die Behörde ergebe (Begründung zum Entwurf einer VwGO, Bundestagsdrucksache III/55, zu § 114).

Die Bedeutung des § 100 Abs. 3 FGO liegt also darin, daß er neben der Anfechtung des Verwaltungsaktes die gleichzeitige Klage auf Verpflichtung der Behörde zur Vornahme eines Verwaltungsaktes bzw. auf eine andere Leistung auch in den Fällen zuläßt, in denen der Anspruch auf die betreffende Leistung von der Rechtskraft des Anfechtungsurteils abhängt, ohne diese Regelung also eine Stufenklage erhoben werden müßte (vgl. von Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., Rdnr. 76 zu § 100 FGO; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Aufl., Rdnr. 58 zu § 113 VwGO). Nun kann aber in diesen Fällen der Erlaß eines die begehrte Leistung gewährenden Verwaltungsaktes von der beklagten Behörde ebenfalls erst verlangt werden, nachdem der den Gegenstand der Anfechtungsklage bildende Verwaltungsakt rechtskräftig aufgehoben wurde. Infolgedessen darf für die nach § 100 Abs. 3 FGO in demselben Verfahren zugelassene Verpflichtungsklage weder die vorherige Ablehnung (oder Unterlassung) des die Leistung gewährenden Verwaltungsaktes noch die Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens hierüber vorausgesetzt werden.

Allerdings gilt § 100 Abs. 3 FGO seinem Wortlaut und seiner Stellung im Gesetz nach nur für Anfechtungsklagen, während der im Streitfall verfolgte Zinsanspruch auf die Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung der Abschöpfung aus Billigkeitsgründen gestützt wird. Die Klägerin hat hier also ihre auf die Zahlung von Zinsen gerichtete Leistungsklage mit einer - inzwischen in der Hauptsache erledigten - Verpflichtungsklage verbunden. Jedoch ist es nach Ansicht des erkennenden Senats geboten, die Regel des § 100 Abs. 3 FGO auf Verpflichtungsklagen entsprechend anzuwenden. Denn ebenso wie aus der rechtskräftigen Aufhebung eines Verwaltungsaktes können sich auch aus der rechtskräftigen Verurteilung der Behörde zum Erlaß eines Verwaltungsaktes unmittelbar weitere materiell-rechtliche Ansprüche des Klägers ergeben, die gegen dieselbe Behörde gerichtet sind und für die dasselbe Gericht zuständig ist. Für diese Fälle greifen aber die der Vorschrift des § 100 Abs. 3 FGO zugrunde liegenden Erwägungen der Prozeßökonomie in gleicher Weise Platz, und es ist deshalb gerechtfertigt, auch in Verpflichtungsurteilen die Verurteilung zu einer weiteren Leistung zuzulassen, die der Kläger neben dem Erlaß des abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes verlangen kann.

Bei den in § 111 FGO geregelten Zinsen handelt es sich um solche Leistungen, die der Kläger neben der Aufhebung eines von ihm angefochtenen Verwaltungsaktes oder - bei Erstattungs- und Vergütungsansprüchen - neben dem Erlaß des von ihm begehrten, von der Behörde abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes verlangen kann. Denn der Anspruch auf Erstattungszinsen wird unmittelbar durch die rechtskräftige Aufhebung oder Herabsetzung einer festgesetzten Abgabenschuld (§ 111 Abs. 1 FGO) oder durch die rechtskräftige Verpflichtung der Behörde zur Gewährung einer von ihr abgelehnten Steuervergütung (§ 111 Abs. 4 FGO) begründet. § 100 Abs. 3 FGO läßt es deshalb zu, daß die Klage auf Erstattungszinsen mit der Anfechtungsklage verbunden wird (ebenso Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., Rdnrn. 109 und 118 zu § 100 FGO; Becker-Riewald-Koch, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., Anm. 6 Abs. 5 zu § 100 FGO; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 4. Aufl., Rdnr. 12 zu § 100 FGO) und das gleiche muß, wie zuvor ausgeführt, für eine Verbindung mit der Verpflichtungsklage gelten. Von der im Urteil VII 156/65 vom 11. Juli 1968 (BFH 92, 405, insoweit nicht veröffentlicht) vertretenen, entgegengesetzten Auffassung ist der Senat bereits in seinem Urteil VII R 88/67 vom 12. Mai 1970 (BFH 99, 289 [293]) abgegangen.

2. Die sonach zulässige Klage ist aber nicht begründet. Denn die in § 111 FGO für den Anspruch auf Erstattungszinsen geforderten Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die genannte Vorschrift begründet entgegen der Auffassung der Klägerin keine generelle Verzinsungspflicht für alle Rechtsstreitigkeiten, auf welche die FGO Anwendung findet, und für alle Fälle, in denen der Steuerpflichtige zu Unrecht Abgaben entrichten mußte oder einen materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch mit Erfolg geltend macht. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang der genannten Vorschrift mit § 4 StSäumG, der erkennen läßt, daß Steueransprüche, Erstattungs- und Vergütungsansprüche nur verzinst werden, soweit dies in einem Steuergesetz ausdrücklich bestimmt ist. In § 111 FGO ist aber eine solche Verzinsung für die Dauer anhängiger Steuerprozesse nicht allgemein, sondern nur beim Vorliegen bestimmter Tatbestände vorgesehen.

Im Streitfall ist keiner dieser Tatbestände erfüllt. Denn die gegenüber der Klägerin festgesetzte und von ihr bezahlte Abschöpfungsschuld ist weder durch eine gerichtliche Entscheidung noch durch einen auf § 93 oder § 94 AO beruhenden Verwaltungsakt herabgesetzt oder aufgehoben worden. Vielmehr ist ihr diese Abgabe gemäß § 131 AO aus Billigkeitsgründen erstattet worden. Infolgedessen sind § 111 Abs. 1 und 2 FGO hierauf nicht unmittelbar anwendbar. Sie Können aber auch nicht aufgrund des § 111 Abs. 4 FGO sinngemäß herangezogen werden. Denn bei dem vom BdF durch die Rückzahlung der Abschöpfung erfüllten Begehren der Klägerin handelt es sich um keinen Vergütungsanspruch im Sinne der genannten Vorschrift. Das Steuerrecht trifft nämlich zwischen Steuererstattungen und Steuervergütungen eine klare Unterscheidung und versteht unter letzteren nur die Fälle, in denen Steuergesetze, nachdem eine Steuer zu Recht entrichtet worden ist, unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Vergütung gewähren (§ 158 AO). Daß auch § 111 Abs. 4 FGO den Begriff der Steuervergütung in diesem Sinne meint, ergibt sich daraus, daß diese Vorschrift wörtlich aus dem früheren § 155 Abs. 3 AO übernommen wurde, also ursprünglich in unmittelbarem Zusammenhang mit § 158 AO stand.

Nun hat allerdings der erkennende Senat die Regelung des § 111 FGO darüber hinaus auch auf einen Erstattungsanspruch entsprechend angewandt, der sich unmittelbar aus einem Steuergesetz ergab und keine Änderung oder Aufhebung der Steuerfestsetzung voraussetzte (Urteil VII R 88/67 vom 12. Mai 1970, a. a. O.). Es kann für den Streitfall dahingestellt bleiben, in welchem Umfang eine derartige analoge Anwendung des § 111 FGO im Hinblick auf den bereits erwähnten § 4 StSäumG auf die verschiedenen Arten von Erstattungsansprüchen möglich ist. Jedenfalls geht es nicht an, auf diesem Wege auch Erstattungsansprüche in den Anwendungsbereich des § 111 FGO einzubeziehen, die nicht aus Rechts-, sondern aus Billigkeitsgründen gegeben sind (im Ergebnis ebenso: Becker-Riewald-Koch [Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Anm. zu § 111 FGO, Abs. 3], die eine Verzinsung bei reinen Erstattungsansprüchen ausschließen, und Teichner [Die Prozeßzinsen nach der neuen Finanzgerichtsordnung, FR 1966, 303 insbesondere 306], der bei Erstattungsansprüchen aus Billigkeitsgründen eine Verzinsungspflicht verneint). Denn der Anspruch auf Erstattung von Abgaben aus Billigkeitsgründen kann seinem Wesen nach nicht mit den in § 111 Abs. 1 und 2 FGO geregelten, auf § 151 AO beruhenden Erstattungsansprüchen verglichen werden und unterscheidet sich auch wesentlich von den in § 111 Abs. 4 FGO genannten Vergütungsansprüchen. Auf Gründen der Billigkeit beruht eine gemäß § 131 AO gewährte Steuererstattung aber auch dann, wenn der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung im Einzelfall zwingend eine solche Maßnahme verlangte.

Nach alldem ist der der Klägerin vom BdF erstattete Abschöpfungsbetrag nicht zu verzinsen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69568

BStBl II 1971, 740

BFHE 1972, 28

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