Entscheidungsstichwort (Thema)

Unmittelbare Änderung des Gesellschafterbestands i.S. von § 1 Abs. 2a GrEStG; entsprechende Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 GrEStG bei fingierten Erwerbsvorgängen; zur Anwendung des § 6 Abs. 3 und 4 GrEStG bei Beteiligung einer Personengesellschaft an einer anderen Personengesellschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft ändert sich unmittelbar i.S. von § 1 Abs. 2a GrEStG, wenn ein Mitgliedschaftsrecht einschließlich der anteiligen sachenrechtlichen Mitberechtigung am Gesellschaftsvermögen auf ein neues Mitglied der Gesellschaft übergeht.

2. § 6 Abs. 3 GrEStG ist bei fingierten Erwerbsvorgängen nach § 1 Abs. 2a GrEStG jedenfalls bei einer unmittelbaren Änderung des Gesellschafterbestands entsprechend anwendbar. Erfolgt diese Änderung in mehreren Teilakten, kommt es dabei auf den Gesellschafterbestand vor dem ersten und nach dem letzten Teilakt an.

3. Befindet sich unter den neuen Gesellschaftern wiederum eine Personengesellschaft und ist an dieser einer der ausgeschiedenen Altgesellschafter beteiligt, ist bei der Anwendung des § 6 Abs. 3 und 4 GrEStG auf den Altgesellschafter abzustellen.

 

Normenkette

GrEStG § 1 Abs. 2a, § 6 Abs. 1, 3-4

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.09.2003; Aktenzeichen 5 K 248/02)

 

Tatbestand

I. An der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer 1990 gegründeten GbR, waren zunächst die Gesellschafter H und eine später in eine GmbH & Co. KG (KG 1) umgewandelte GmbH je zur Hälfte beteiligt. Im Jahr 2000 veräußerte H seine Beteiligung an der Klägerin zu 88 v.H. an die KG 1 und zu 12 v.H. an eine Dritte, so dass nunmehr die KG 1 zu 94 v.H. und die Dritte zu 6 v.H. an der Klägerin beteiligt waren. Im April 2001 erwarb eine GmbH & Co. KG (KG 2) die bisher von der KG 1 gehaltenen Anteile an der Klägerin. H war am Kommanditkapital der KG 2 sowie am Stammkapital der Komplementär-GmbH zu je 80 v.H. beteiligt. Bei den Anteilsübertragungen in den Jahren 2000 und 2001 gehörten inländische Grundstücke zum Vermögen der Klägerin.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) nahm an, dass diese Anteilsübertragungen zusammen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2a des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) erfüllten, und setzte dementsprechend gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest. Der Einspruch blieb erfolglos. Bei einem während des finanzgerichtlichen Verfahrens durchgeführten Erörterungstermin erklärten die Beteiligten, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten. Der Berichterstatter hatte zuvor Bedenken gegen die Auffassung des FA geäußert.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage in Senatsbesetzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung ab, die frühere Beteiligung von H an der Klägerin und dessen nunmehrige Beteiligung an der KG 2 stünden der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2a GrEStG nicht entgegen.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das FG habe die Klage nicht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung abweisen dürfen. Sie sei von dem Urteil des FG überrascht worden und hätte unter den gegebenen Umständen nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet. Zudem unterlägen die Anteilsübertragungen nicht der Grunderwerbsteuer. H habe seine Stellung als Altgesellschafter durch die Veräußerung seines Anteils an ihr im Jahr 2000 im Hinblick auf § 1 Abs. 2a GrEStG nicht verloren.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom 23. April 2002 und den Grunderwerbsteuerbescheid vom 18. September 2001 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Das FG durfte zwar ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten im Erörterungstermin ausweislich der Niederschrift klar, eindeutig und vorbehaltlos und somit wirksam auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hatten, und es hat auch zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen für die Festsetzung von Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2a GrEStG erfüllt sind. Es hat aber die entsprechende Anwendbarkeit der Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 3 GrEStG übersehen.

1. Die in den Jahren 2000 und 2001 vorgenommenen Anteilsübertragungen erfüllen zusammen den Tatbestand des § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG in der nach § 23 Abs. 6 Satz 2 und Abs. 7 GrEStG auf nach dem 31. Dezember 1999 und vor dem 1. Januar 2002 verwirklichte Erwerbsvorgänge anwendbaren Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I, 402).

a) Gehört zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück und ändert sich innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar dergestalt, dass mindestens 95 v.H. der Anteile auf neue Gesellschafter übergehen, gilt dies nach dieser Vorschrift als ein auf die Übereignung dieses Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft. Unmittelbar ändert sich der Gesellschafterbestand bei einem zivilrechtlich wirksamen Übergang eines Mitgliedschaftsrechts einschließlich der anteiligen sachenrechtlichen Mitberechtigung am Gesellschaftsvermögen auf ein neues Mitglied der Personengesellschaft (Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl., § 1 Rdnr. 114; Fischer in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 1 Rdnr. 845 c, 847; Pahlke in Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl., § 1 Rz. 307). Die Änderung des Gesellschafterbestandes nach § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG kann in einem einzelnen Rechtsvorgang oder in Teilakten über einen Zeitraum von längstens fünf Jahren erfolgen (vgl. zu § 1 Abs. 2a GrEStG a.F. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 8. November 2000 II R 64/98, BFHE 194, 252, BStBl II 2001, 422).

b) Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG in der seinerzeit geltenden Fassung sind im Streitfall erfüllt. An die Stelle der ursprünglichen Gesellschafter der Klägerin (H und KG 1) sind in vollem Umfang neue Gesellschafter (KG 2 und die Dritte) getreten. Dies ist für die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG entscheidend. Auf die Beteiligung des H an der KG 2 kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. Hofmann, a.a.O., § 1 Rdnr. 130 a).

2. Das FG hat nicht berücksichtigt, dass die Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 3 GrEStG bei fingierten Erwerbsvorgängen nach § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG jedenfalls bei einer unmittelbaren Änderung des Gesellschafterbestands entsprechend anwendbar ist (Hofmann, a.a.O., § 6 Rdnr. 4 und 12 a; Viskorf in Boruttau, a.a.O., § 6 Rdnr. 27/1; Franz in Pahlke/Franz, a.a.O., § 6 Rz. 30; Pagels, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht ―UVR― 1997, 165, 171; Weilbach, UVR 2000, 256, 259).

a) Beim Übergang eines Grundstücks von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand wird nach § 6 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG die Steuer nicht erhoben, soweit Anteile der Gesellschafter am Vermögen der erwerbenden Gesamthand den jeweiligen Anteilen dieser Gesellschafter am Vermögen der übertragenden Gesamthand entsprechen. Bei doppelstöckigen Gesamthandsgemeinschaften, bei denen eine Gesamthand unmittelbar an einer anderen beteiligt ist, ist nach Sinn und Zweck des § 6 Abs. 3 GrEStG nicht die Gesamthand als solche als Zurechnungssubjekt anzusehen. Vielmehr ist ein Rückgriff auf die am Vermögen der Gesamthand Beteiligten geboten (Hofmann, a.a.O., § 1 Rdnr. 130 a, § 6 Rdnr. 3; Gottwald, Grunderwerbsteuer, 2. Aufl., S. 144 f.; Schmitz, Grunderwerbsteuerrecht in der Vertragspraxis, 2004, Rz. 296 f.).

Für die Anwendung des § 6 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG auf fingierte Grundstücksübereignungen nach § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG ist jeweils der Gesellschafterbestand der Personengesellschaft maßgebend, der vor Beginn und der nach Beendigung des tatbestandsmäßigen Anteilsübergangs bestand. § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG stellt den Übergang von mindestens 95 v.H. der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter der Übereignung eines Grundstücks von der Personengesellschaft mit dem ursprünglichen Gesellschafterbestand auf eine neue Personengesellschaft mit dem nach Erreichen der Grenze von 95 v.H. bestehenden Gesellschafterbestand gleich. Für die Anwendung des § 6 Abs. 3 GrEStG kommt ―wegen des hier vorausgesetzten Übergangs eines Grundstücks von einer auf eine andere Gesamthand― den einzelnen Teilakten, die (erst) in ihrer Summe die durch § 1 Abs. 2a GrEStG fingierte Grundstücksübereignung auslösen, keine Bedeutung zu. Die Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 3 GrEStG ist daher auch dann zu gewähren, wenn im Rahmen eines sich über mehrere Teilschritte erstreckenden Anteilsübergangs von mindestens 95 v.H. ein Gesellschafter zunächst aus der Personengesellschaft ausscheidet und vor oder mit Erreichen der Grenze von 95 v.H. entweder wieder einen Anteil an der Gesellschaft erwirbt oder ―wie im Streitfall― als Gesellschafter an einer Personengesellschaft beteiligt ist, die ihrerseits einen solchen Anteil erwirbt.

b) Die Klägerin kann danach die Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG in Höhe von 94 v.H. der Beteiligung von H am Gesellschaftsvermögen der KG 2, höchstens aber entsprechend der Höhe der ursprünglichen Beteiligung von H an der Klägerin beanspruchen, maximal also bis zur Hälfte der der Steuerfestsetzung zugrunde zu legenden Grundstückswerte. Die Beteiligung von H an der Komplementär-GmbH der KG 2 spielt keine Rolle.

Die Gewährung der Steuervergünstigung ist nicht nach § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG ausgeschlossen. Danach gelten die Vorschriften des § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG insoweit nicht, als ein Gesamthänder ―im Fall der Erbfolge sein Rechtsvorgänger― innerhalb von fünf Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil an der Gesamthand durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat. Der Ausschlusstatbestand knüpft an ein zeitlich dem ―im vorliegenden Fall fingierten― Eigentumsübergang an den Gesellschaftsgrundstücken vorangehendes Ereignis an; dieses die Vergünstigung ausschließende Ereignis darf nicht innerhalb einer Frist von fünf Jahren vor dem Eigentumsübergang eingetreten sein. Dementsprechend ist für die Fristberechnung vom Zeitpunkt des der Grunderwerbsteuer unterliegenden Erwerbsvorgangs auszugehen und von diesem aus die Frist zurückzuberechnen (BFH-Urteil vom 6. Juni 2001 II R 56/00, BFHE 195, 423, BStBl II 2002, 96). Bei doppelstöckigen Gesamthandsgemeinschaften ist auch in diesem Zusammenhang der Rückgriff auf die am Vermögen der Gesamthand Beteiligten geboten (BFH-Urteil vom 24. September 1985 II R 65/83, BFHE 144, 473, BStBl II 1985, 714; Hofmann, a.a.O., § 6 Rdnr. 18).

Von welchem Zeitpunkt aus die Frist von fünf Jahren bei fingierten Erwerbsvorgängen nach § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG, die sich in mehreren Teilschritten vollziehen, zurückzurechnen ist, kann im Streitfall offen bleiben. H hatte seinen ursprünglichen Anteil an der Klägerin nämlich bereits 1990 und somit mehr als fünf Jahre vor dem ersten, im Jahr 2000 erfolgten Teilakt des fingierten Erwerbsvorgangs erworben.

c) Da das FG dies verkannt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat zwar die Höhe der Beteiligung von H am Kommanditkapital, nicht aber an dem für die Entscheidung maßgebenden, auch eine (etwaige) Beteiligung der Komplementär-GmbH umfassenden Gesellschaftsvermögen der KG 2 festgestellt. Diese Feststellung wird es nunmehr nachzuholen haben. Die Beteiligung des H am Stammkapital der GmbH spielt in diesem Zusammenhang wegen der eigenen Rechtspersönlichkeit der GmbH keine Rolle (vgl. dazu näher BFH-Urteil vom 18. Dezember 2002 II R 13/01, BFHE 200, 426, BStBl II 2003, 358).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1396106

BFH/NV 2005, 1716

BStBl II 2005, 649

BFHE 2006, 56

BFHE 210, 56

BB 2005, 1838

BB 2005, 1892

DB 2005, 1775

DStR 2005, 1438

DStRE 2005, 1111

DStZ 2005, 583

HFR 2005, 993

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