Leitsatz (amtlich)

Der gemeine Wert einer Rente ist nur dann nachweislich geringer oder höher als der Kapitalwert, wenn die Abweichung vom Kapitalwert bei dem im Einzelfall festgestellten Sachverhalt auf Grund von Erfahrungssätzen oder nach den Denkgesetzen zwingend ist.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 16 Abs. 5

 

Tatbestand

Die Revisionsbeklagte verkaufte im Jahre 1957 ihren gewerblichen Betrieb mit Maschinen, Einrichtungsgegenständen und Warenlager gegen eine lebenslängliche Rente, die für die ersten zehn Jahre nach dem Verkauf in Höhe des jeweiligen Endgrundgehalts zuzüglich Ortszuschlags eines ledigen Inspektors nach der Bundesbesoldungsordnung zu entrichten war; für die folgenden zehn Jahre sollte die Rente noch 7/8 und ab dem 21. Jahr nach dem Verkauf bis zum Tode der Revisionsbeklagten 5/8 der vorgenannten Bemessungsgrundlage betragen. Zur Sicherung der Rentenforderung verpflichtete sich die Käuferin, ein Sparguthaben in Höhe von 10 000 DM zugunsten der Revisionsbeklagten sperren zu lassen; bis zur Ansparung dieses Sparguthabens behielt sich die Revisionsbeklagte das Eigentum an den verkauften Maschinen und Einrichtungsgegenständen vor.

Das FA (Revisionskläger) bewertete die Rente mit dem Kapitalwert. Es ermittelte den Kapitalwert für die Vermögensteuer-Hauptveranlagung 1960 und für die Vermögensteuer-Hauptveranlagung 1963.

Die Sprungklage (Sprungberufung) führte zur Ermäßigung des Werts des Rentenrechts. Das FG ging davon aus, der gemeine Wert der Rente sei deshalb geringer als der Kapitalwert, weil die Rentenschuldnerin an beiden Veranlagungszeitpunkten nur geringes Vermögen besessen habe und für die Rentenforderung keine nur annähernd ausreichende Sicherheit bestanden habe. Es schätzte den gemeinen Wert der Rente griffweise auf 50 v. H. des Kapitalwerts.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 16 Abs. 5 BewG. Der gemeine Wert sei anstelle des Kapitalwerts nur anzusetzen, wenn er nachweislich geringer oder höher sei als der Kapitalwert. Die Revisionsbeklagte habe diesen Nachweis nicht erbracht. Nach dem Sinn des Gesetzes habe sie aber die Beweislast für Tatsachen, aus denen sich der gemeine Wert ergebe. Sie habe aber nicht einmal angegeben, wie hoch nach ihrer Auffassung der jeweilige gemeine Wert der Rente sei. Voraussetzung für den Ansatz des gemeinen Werts anstelle des Kapitalwerts sei, daß sich der gemeine Wert zuverlässig ermitteln lasse und daß er auf zuverlässiger und wirtschaftlich gesunder Grundlage beruhe. Auf bloße Mutmaßungen könne ein vom Kapitalwert abweichender gemeiner Wert nicht gestützt werden. Die mangelnde Zahlungsfähigkeit des Rentenverpflichteten könne zwar den gemeinen Wert einer Rente auf einen Betrag unter dem Kapitalwert mindern. Die Behauptung allein, die Rentenverpflichtete verfügte über kein oder nur geringes Vermögen, genüge indessen nicht. Außerdem habe die Rente nicht aus dem Vermögen der Rentenverpflichteten, sondern aus den Einkünften aus dem Gewerbebetrieb bestritten werden sollen. Im übrigen könne das FA die Behauptung der Revisionsbeklagten über die Vermögensverhältnisse der Rentenverpflichteten kaum widerlegen, weil ihm diese Verhältnisse nicht bekannt seien und weil es an die Wahrung des Steuergeheimnisses gebunden sei.

Das FA beantragt, den Kapitalwert der Rente bei der Vermögensteuer-Hauptveranlagung 1960 und bei der Vermögensteuer-Hauptveranlagung 1963 mit ... DM anzusetzen.

Die Revisionsbeklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und erhebt Anschlußrevision mit dem Antrag, die Rente an den beiden Hauptveranlagungszeitpunkten mit etwa je 1/4 des Kapitalwerts zu bewerten.

Sie widerspricht dem FA, daß sie eine Beweislast für den gemeinen Wert der Rente treffe, denn der Steuerprozeß kenne keine Beweislast und keine Beweisregeln wie der Zivilprozeß. Nach dem Grundsatz der Amtsermittlung genüge es, wenn der Steuerpflichtige das Material liefere, das objektiv für die Aufklärung des Sachverhalts geeignet und ausreichend sei. In diesem Sinn habe sie den Nachweis für den gegenüber dem Kapitalwert geringeren gemeinen Wert der Rente erbracht. Steuerrechtlich stehe nicht die Zahlungsfähigkeit der Rentenschuldnerin während der voraussichtlich sehr langen Laufzeit der Rente zur Debatte, sondern der Wert des Rentenstammrechts am jeweiligen Veranlagungszeitpunkt. Ereignisse nach dem Stichtag dürften nicht berücksichtigt werden. Der Erwerber des Rentenstammrechts am jeweiligen Bewertungsstichtag werde unzweifelhaft von der Vermögenslage des Rentenverpflichteten ausgehen. Die Unsicherheit, ob er danach in Zukunft mit der Erfüllung der Verpflichtung rechnen könne, werde ihn zu einem erheblichen Abschlag veranlassen.

Zur Begründung ihrer Anschlußrevision trägt die Revisionsbeklagte außerdem vor, die Rentenverpflichtete habe aus den Einkünften des von der Revisionsbeklagten erworbenen Gewerbebetriebs außer der Rentenverpflichtung auch den Unterhalt ihrer Familie zu bestreiten und die mit dem Betrieb zusammenhängenden Steuern zu zahlen. Im Hinblick auf diese Verpflichtungen müsse bezweifelt werden, daß die Rentenverpflichtete noch nennenswerte Ersparnisse bilden könne. Die Maschinen und Einrichtungsgegenstände des Gewerbebetriebs seien inzwischen durch den Gebrauch noch weiter entwertet worden. Damit biete das Vermögen der Rentenverpflichteten keine Sicherheit über die durch das gesperrte Sparguthaben hinaus gesicherte Leistung für etwa ein Jahr. Unter diesen Umständen könne der gemeine Wert der Rente höchstens 1/4 des Kapitalwerts betragen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung; die Anschlußrevision ist dagegen unbegründet.

1. Die Dauer des Rentenbezugs der Revisionsbeklagten wird durch ihre Lebenszeit bestimmt. Dementsprechend ist die Rente für die Vermögensbesteuerung grundsätzlich mit dem Kapitalwert gemäß § 16 Abs. 2 BewG anzusetzen. Der gemeine Wert der gesamten Rentenbezüge ist nur dann maßgebend, wenn er "nachweislich geringer oder höher" wäre als der Kapitalwert (§ 16 Abs. 5 Satz 1 BewG).

Der Senat stimmt der Revisionsbeklagten darin zu, daß aus dieser Vorschrift keine Beweislast für den Steuerpflichtigen hergeleitet werden kann. Das Besteuerungsverfahren wird vom Grundsatz der Amtsermittlung beherrscht; das FA hat also von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer von Bedeutung sind (§ 204 Abs. 1 AO). Der Sachaufklärungspflicht des FA steht allerdings, wie sich aus § 171 AO ergibt, die Verpflichtung des Steuerpflichtigen gegenüber, im Rahmen des Zumutbaren bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Die Sachaufklärungspflicht des FA hat ihre Grenze dort, wo eine weitere Aufklärung nicht zumutbar ist. Das ist regelmäßig der Fall, wenn der Steuerpflichtige eine ihm nach Treu und Glauben zumutbare Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts versagt (vgl. Urteil des BFH III 25/65 U vom 30. April 1965, BFH 82, 603, BStBl III 1965, 464). Nach diesen Grundsätzen kann vom Steuerpflichtigen eine gesteigerte Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts erwartet werden, wenn er eine für ihn günstige Rechtsfolge beansprucht. Das führt jedoch nicht dazu, daß der Steuerpflichtige eine Beweislast bezüglich der behaupteten und für ihn günstigen Tatsachen hätte.

Die Revisionsbeklagte ist im Sinn der vorstehenden Ausführungen ihrer Mitwirkungspflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nachgekommen. Sie behauptete und legte näher dar, die Rentenverpflichtete habe kein hinreichendes Vermögen, durch das die künftigen Rentenbezüge der Revisionsbeklagten gesichert wären. Dabei verkennt die Revisionsbeklagte allerdings, daß dieses Vorbringen nicht ausreicht, um die Bewertung der Rente mit einem vom Kapitalwert abweichenden gemeinen Wert zu rechtfertigen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die weitere Aufklärung des Sachverhalts durch das FA auf Grund des Vortrags der Revisionsbeklagten gegen das Steuergeheimnis verstoßen würde. Denn die Revisionsklägerin hat nicht behauptet, daß die Rentenverpflichtete nach ihren gesamten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sei, die Rentenverpflichtung in Zukunft zu erfüllen. Ihr Vorbringen, die Unsicherheit der Rente liege zum einen in der Frage nach der tatsächlichen Lebenszeit und Arbeitsfähigkeit der Rentenverpflichteten und zum anderen in der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse, ist jedenfalls zu allgemein und unbestimmt, um damit einen vom Kapitalwert abweichenden gemeinen Wert darzutun. Außerdem kann nach § 16 Abs. 5 Satz 2 BewG ein vom Kapitalwert abweichender gemeiner Wert nicht damit begründet werden, es sei mit einer anderen Lebensdauer zu rechnen als sie den Vervielfachern des § 16 Abs. 2 BewG zugrunde liege. Schließlich lagen an den maßgebenden Veranlagungszeitpunkten nach den Feststellungen des FG keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, daß die Rentenverpflichtete vorzeitig arbeitsunfähig werden könnte oder die wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Betriebs sich grundlegend ändern könnten. Damit bestand für das FA auch keine Verpflichtung zu einer dahingehenden Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen.

2. Ist der gemeine Wert einer Rente "nachweislich" geringer oder höher als der Kapitalwert, so ist die Rente mit dem "nachgewiesenen" gemeinen Wert zu bewerten (§ 16 Abs. 5 Satz 1 BewG). Die Worte "nachweislich" und "nachgewiesen" in dieser Vorschrift regeln nicht das Verfahrensrecht bei der Sachverhaltsermittlung, sondern sie sind Tatbestandsmerkmal des sachlichen Rechts. In diesem Sinn hat auch der RFH die gleichlautende Vorschrift des BewG 1931 in seinem Urteil III A 160/34 vom 8. Juni 1934 (RStBl 1934, 923) ausgelegt, wenn er ausführte, der gemeine Wert müsse "zuverlässig" zu ermitteln sein. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß der Wortlaut des § 16 Abs. 5 Satz 1 BewG erfordert, daß nach den festgestellten Tatsachen der gemeine Wert der Rente auf Grund von Erfahrungssätzen oder von Denkgesetzen von dem Kapitalwert zwingend abweicht. Ein derartiger Sachverhalt ist im Entscheidungsfall nicht gegeben. Nach dem eigenen Vortrag der Revisionsbeklagten und den Feststellungen des FG hat die Rentenverpflichtete den Gewerbebetrieb der Revisionsbeklagten gegen Vereinbarung einer lebenslangen Rente erworben. Hieraus ergibt sich eindeutig, daß die Rente nach den Vorstellungen der Vertragsparteien nicht in erster Linie aus einem Vermögen der Rentenverpflichteten, sondern aus den Erträgen des erworbenen Gewerbebetriebs bestritten werden soll. Die Revisionsbeklagte hat nicht vorgetragen, die nach den Verhältnissen der maßgebenden Veranlagungszeitpunkte zu erwartende wirtschaftliche Entwicklung dieses Gewerbebetriebs stelle die weitere Erfüllung der Rentenleistung in Frage. Sie hat lediglich behauptet, ohne es im einzelnen näher zu begründen, die Rentenverpflichtete könne unter Berücksichtigung aller sonstigen Verpflichtungen aus den Erträgen des Gewerbebetriebs keine größeren Ersparnisse mehr bilden, so daß die Rentenverpflichtung kapitalmäßig nur auf Grund des gesperrten Sparguthabens in Höhe von einer Jahresleistung gesichert sei. Selbst wenn man diese unsubstantiierten Behauptungen zugunsten der Revisionsbeklagten als zutreffend unterstellt, wäre kein Sachverhalt gegeben, auf Grund dessen der gemeine Wert der Rente denknotwendig und damit nachweislich im Sinn des § 16 Abs. 5 Satz 1 BewG vom gemeinen Wert abweichen würde.

Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung war deshalb aufzuheben.

3. Die Anschlußrevision der Revisionsbeklagten ist zulässig (BFH-Urteil IV R 111/66 vom 12. Januar 1968, BFH 91, 145, BStBl II 1968, 207). Sie ist jedoch, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, nicht begründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69102

BStBl II 1970, 715

BFHE 1970, 489

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