Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verlust der wirtschaftlichen Identität einer Körperschaft bei Veräußerung einer mittelbaren Beteiligung; Umdeutung eines Antrags gem. § 68 FGO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Veräußerung von Geschäftsanteilen einer Kapitalgesellschaft, die an einer anderen Kapitalgesellschaft beteiligt ist, führt nicht gemäß § 8 Abs. 4 KStG 1991 zum Verlust der wirtschaftlichen Identität dieser anderen Kapitalgesellschaft.

2. Der Antrag gemäß § 68 FGO a.F., einen Steuerbescheid in ein Klageverfahren überzuleiten, kann, wenn der geänderte Bescheid tatsächlich nicht angefochten wurde und der Antrag auf Verfahrensüberleitung deshalb ins Leere geht, in eine Sprungklage oder in einen Einspruch umgedeutet werden.

 

Normenkette

KStG 1991 § 8 Abs. 4; FGO §§ 45, 68

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 13.02.2001; Aktenzeichen 6 K 534/96; EFG 2001, 1238)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine 1981 gegründete, zwischenzeitlich mehrfach umfirmierte GmbH, die zunächst bis 1989 eine chemische Fabrik für … und eine Apparatebauanstalt betrieb. Anteilseigner war bis zum 16. März 1991 zu 99,25 v.H., danach zu 100 v.H. die T1-GmbH. Alleinige Gesellschafterin dieser GmbH war die T2-GmbH, deren Anteile von der E-AG gehalten wurden. Die E-AG ist im selben Geschäftszweig wie die Klägerin tätig; die T2-GmbH und die T1-GmbH haben neben ihren Beteiligungen keinen weiteren aktiven Geschäftsbetrieb.

Da sich eine erforderliche Produktumstellung bei der Klägerin als nicht möglich erwies, wurde am 22. Dezember 1989 die Auflösung der Klägerin zum 31. Dezember 1989 beschlossen. Ihre Tätigkeit bestand nunmehr in der Abwicklung von Gewährleistungs- und Haftungsfällen, der Beantwortung berufsgenossenschaftlicher Anfragen sowie der Veräußerung des Betriebsvermögens.

Mit bis zum 31. März 1992 unwiderruflichem Angebot vom 20. Dezember 1991 und Annahmeerklärung vom 27. März 1992 erwarben die Eheleute P den einzigen Geschäftsanteil der T2-GmbH sowie das Gesellschafterdarlehen der E-AG. Bereits mit dem Kaufvertrag vom 20. Dezember 1991 waren den Eheleuten P umfassende und unwiderrufliche Vollmachten im Hinblick auf die Gesellschafterrechte eingeräumt worden. Weiterhin erteilten die Käufer dem Verkäufer im Kaufvertrag einen Besserungsschein für den Fall, dass der Bilanzverlust der Klägerin steuerwirksam ausgeglichen werde.

Daraufhin wurde am 20. Dezember 1991 die Liquidation aufgehoben. Zu dieser Zeit betrug das Aktivvermögen der Klägerin ca. 2 Mio. DM. In der Folgezeit beteiligte sich die Klägerin Anfang 1992 an der C-GmbH mit Anschaffungskosten von 300 000 DM. Ferner erwarb sie im September 1992 sämtliche Anteile an der S-GmbH & Co. KG zum Preis von 10 Mio. DM. Finanziert wurde der Beteiligungserwerb durch Gewinne der erworbenen Gesellschaft, Bankkredite der Klägerin und einer Verbindlichkeit gegenüber der P-GmbH, einer Gesellschaft der Unternehmensgruppe des neuen Gesellschafters.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) stellte für die Klägerin auf den 31. Dezember 1990 einen verbleibenden Verlustabzug bei der Körperschaftsteuer und einen vortragsfähigen Gewerbeverlust fest, ließ diese Verluste bei den Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs bei der Körperschaftsteuer und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den streitgegenständlichen Stichtag 31. Dezember 1991 jedoch unter Hinweis auf § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1991), § 10a Satz 4 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) und das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 16. April 1999 (BStBl I 1999, 455, dort Tz. 28) wegen Wegfalls der wirtschaftlichen Identität unberücksichtigt.

Gegen die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1991 vom 10. August 1994 legte die Klägerin Einsprüche ein, um die Einbeziehung der bis 1990 erzielten Verluste zu erreichen. Der ebenfalls unter dem 10. August 1994 datierende Körperschaftsteuerbescheid 1991, der ein entsprechendes negatives zu versteuerndes Einkommen auswies, wurde im Einspruchsschreiben nicht erwähnt.

Die Einsprüche blieben ohne Erfolg. Durch die Einspruchsentscheidung vom 12. August 1996, die im Rubrum die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1991 und auf den 31. Dezember 1992 sowie den Körperschaftsteuerbescheid 1992 auswies und durch die zugleich die bis dahin bestehenden Vorbehaltsvermerke aufgehoben wurden, wurden der verbleibende Verlustabzug und der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1991 reduziert. Die bis dahin entstandenen Verluste wurden wie bisher nur insoweit berücksichtigt, als sie nach der Anteilsübertragung vom 20. Dezember 1991 entstanden waren.

Dagegen erhob die Klägerin Klage "wegen Höhe des verbleibenden Verlustabzuges zum 31.12.1991 und vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1991", mit der sie begehrte, "1. den verbleibenden Verlustabzug des Veranlagungszeitraumes 1991 unter Abänderung des Bescheides über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges per 31.12.1991 vom 10.8.1994 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 12.8.1996 auf DM 38 634 247,00 festzustellen, 2. den vortragsfähigen Gewerbeverlust per 31.12.1991 unter Abänderung des Bescheides über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges per 31.12.1991 vom 10.8.1994 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 12.8.1996 auf DM 38 060 891,00 festzustellen".

Während des Klageverfahrens änderte das FA seinen Bescheid über Körperschaftsteuer 1991 und Feststellung zum 31. Dezember 1991 nach § 47 Abs. 2 KStG 1991, zunächst ―unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung― durch Bescheid vom 5. März 1997, sodann erneut durch Bescheid vom 30. Juni 1997, und setzte hierdurch das Einkommen jeweils herauf. In Einklang damit änderte das FA ―durch Bescheide vom 30. Juni 1997 und vom 14. Juli 1997― die Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1991. Die Klägerin beantragte hinsichtlich sämtlicher Änderungsbescheide, diese gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO a.F.) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen; die Anträge ergingen gemäß § 68 Satz 2 FGO a. F. fristgemäß.

Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hielt sie, soweit mit ihr die Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1991 begehrt wurde, für unzulässig, im Übrigen für unbegründet. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1238 auszugsweise wiedergegeben.

Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und

1. den verbleibenden Verlustabzug auf den 31. Dezember 1991 unter Abänderung des Bescheids i.d.F. vom 30. Juni 1997 auf 38 593 980 DM festzustellen,

2. den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1991 unter Abänderung des Bescheids i.d.F. vom 14. Juli 1997 auf 38 020 624 DM festzustellen und

3. den Körperschaftsteuerbescheid 1991 i.d.F. vom 30. Juni 1997 zu ändern und das zu versteuernde Einkommen auf 4 086 437 DM festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das dem Verfahren beigetretene BMF hat sich dem FA in der Sache angeschlossen, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die derzeitige Ungewissheit über den Ausgang des Rechtsstreites, soweit er sich gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1991 und in diesem Zusammenhang die Feststellung des zu versteuernden Einkommens gemäß § 47 Abs. 2 KStG 1991 richtet, lässt eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht zu.

1. Das FG hat zu Unrecht den Fortbestand der wirtschaftlichen Identität der Klägerin verneint und deswegen den Verlustabzug versagt.

a) Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1991, für die Ermittlung des Gewerbeertrages i.V.m. § 10a Satz 4 GewStG, ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) und für die Kürzung des Gewerbeertrags um Fehlbeträge bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG 1991 definiert die "wirtschaftliche Identität" einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft ("insbesondere"; vgl. Senatsurteile vom 13. August 1997 I R 89/96, BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829; vom 8. August 2001 I R 29/00, BFHE 196, 178, BStBl II 2002, 392; Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2001 I R 58/01, BFHE 197, 246, BStBl II 2002, 395), wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Die Vorschrift setzt damit zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter Satz 1 der Vorschrift zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind.

Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1991 fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn ―erstens― bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als drei Viertel der Geschäftsanteile übertragen werden, ―zweitens― überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und ―drittens― der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen wieder aufgenommen wird.

b) Das FG hat angenommen, dass im Streitfall jedenfalls die Voraussetzungen für den Ausschluss des Verlustabzuges gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1991 vorliegen. Insbesondere sei das Erfordernis einer Übertragung von mehr als drei Viertel der Geschäftsanteile in einer mit dem Regelbeispiel nach Satz 2 der Vorschrift wirtschaftlich vergleichbaren Weise erfüllt. Zwar lasse sich diesem Beispiel nicht eindeutig entnehmen, ob hiernach auch mittelbare Anteilsübertragungen einbezogen sein sollten. Darauf komme es unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Vergleichbarkeit jedoch dann nicht an, wenn ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Anteilseignerwechsel und dem Verlustausgleichspotential gegeben sei.

So lägen die Dinge hier: Die T1-GmbH und die T2-GmbH hätten weder vor noch nach dem Anteilserwerb einen eigenen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten. Beide seien lediglich als Holdinggesellschaften in Erscheinung getreten. Den Eheleuten P sei es beim Erwerb der Anteile an der T2-GmbH letztlich auf deren Beteiligung an der Klägerin angekommen, um in den Vorteil der Verlustvorträge zu gelangen. Sichtbar werde dies zum einen an dem den Eheleuten im Kaufvertrag erteilten Besserungsschein, wonach die Erwerber einen Zuschlag zu zahlen hatten, sobald der Verlustvortrag steuerwirksam ausgeglichen sein würde. Und zum anderen daran, dass die gewinnbringenden Beteiligungen an der C-GmbH und der S-GmbH & Co. KG dementsprechend bei der Klägerin und nicht bei einer der beiden Holdinggesellschaften eingelegt worden seien.

c) Dieser Einschätzung des FG ist nicht beizupflichten.

aa) Nur mittelbare Anteilsübertragungen unterfallen weder dem Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1991 noch sind sie mit diesem wirtschaftlich vergleichbar (im Ergebnis ebenso z.B. B. Lang in Ernst & Young, Körperschaftsteuergesetz, § 8 Rz. 1291; Dieterlen in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 8 Anm. 338 f.; Kröner, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1998, 1495, 1497; Breuninger/Frey, GmbH-Rundschau ―GmbHR― 1998, 866, 867; Hörger/Endres, GmbHR 1999, 569, 572; s. auch Neyer, Betriebs-Berater ―BB― 1998, 869, 872; derselbe, GmbHR 2003, 73, 75; Fey/Neyer, GmbHR 2000, 705; Bock/Meissner, GmbHR 1999, 1069, 1073; Prinz, Finanz-Rundschau ―FR― 1996, 769, 773; derselbe, DStR 1999, 805; Neumann, FR 1999, 682; Djanani/Brähler/Zölch, BB 2000, 1497; Orth, Der Konzern 2003, 378; Bock, GmbHR 2003, 497, 500; anders z.B. Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 KStG n.F. Rz. 38; Frotscher in Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 8 KStG Rz. 191 e ff., 191 f; Simon in Heckschen/Simon, Umwandlungsrecht, 2003, § 13 Rz. 28 ff.; differenzierend Eilers/ Wienands, FR 1998, 828; Moog, Der Betrieb ―DB― 2000, 1638).

§ 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1991 fordert die Übertragung der "Geschäftsanteile" der betreffenden Kapitalgesellschaft auf eine qualifizierte Mehrheit von Neugesellschaftern. Dass Geschäftsanteile in diesem Sinne auch jene an einer der Obergesellschaft vorgeschalteten "Großmuttergesellschaft" (oder an der Gesellschaft auf einer noch weiter vorgelagerten Stufe) sein könnten, lässt sich dem Regelungswortlaut nicht entnehmen. Wie der Senat in anderen Zusammenhängen entschieden hat, bedarf die Gleichstellung einer nur mittelbaren mit einer unmittelbaren Beteiligung im Grundsatz einer ausdrücklichen gesetzlichen Einbeziehung (vgl. z.B. Senatsurteil vom 4. April 1974 I R 73/72, BFHE 112, 351, BStBl II 1974, 645). Zwar kann hiervon in Einzelfällen abgesehen werden, wenn sich die Gleichstellung aus dem Sinn und Zweck einer Norm eindeutig ergibt. Einen derartigen Fall hat der Senat beispielsweise in der Gewährung des gewerbesteuerrechtlichen Schachtelprivilegs für die Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft gemäß § 9 Nr. 7 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 GewStG erkannt (Urteil vom 17. Mai 2000 I R 31/99, BFHE 193, 137, BStBl II 2001, 685). Die vorliegend in Streit stehende Konstellation gibt für eine solche Gleichstellung unmittelbarer und mittelbarer Anteilseigner jedoch keine Veranlassung.

Ziel des § 8 Abs. 4 KStG 1991 ist es in erster Linie, den Handel mit "GmbH-Mänteln" und vortragsfähigen Verlusten zu unterbinden (vgl. BTDrucks 127/97; Simon in Heckschen/Simon, a.a.O., § 13 Rz. 10 f., m.w.N.; Senatsurteile vom 29. Oktober 1986 I R 202/82 und I R 318-319/83, BFHE 148, 153 und 158, BStBl II 1987, 308 und 310). Zu diesem Zweck verlangt das Gesetz die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Voraussetzung für den Verlustabzug gemäß § 10d EStG. Die wirtschaftliche Identität ―oder auch wirtschaftliche "Persönlichkeit"― einer Körperschaft als Rechtsperson bestimmt sich indes durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr verfügbares Betriebsvermögen, nicht durch ihre Gesellschafter. Die wirtschaftliche Identität der betreffenden Körperschaft kann deshalb auch dann gewahrt bleiben, wenn sich die Beteiligungsverhältnisse an der Körperschaft ändern. Indem das Gesetz in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1991 dennoch auf derartige Veränderungen abstellt, dadurch die Unternehmensidentität um eine "personelle Komponente anreichert" (so Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 8 Rz. 182) und dem besagten eigentlichen Gesetzesziel ―der Unterbindung des Handels mit "GmbH-Mänteln"― Ausdruck verleiht, verlässt es den Persönlichkeitsbereich der Körperschaft. Betroffen davon ist aber ausdrücklich nur die erste Stufe der Anteilseignerebene. Die Körperschaft verliert ihre wirtschaftliche Identität hingegen nicht, wenn sich innerhalb einer mehrstufigen Beteiligungsstruktur die Mehrheitsverhältnisse (erst) auf einer höhergestaffelten Ebene verändern. Unter solchen Umständen wird allenfalls die Identität einer Körperschaft auf dieser höheren Ebene berührt, nicht hingegen diejenige auf der unteren Ebene. Auf die letztere ist deshalb auch nicht durchzugreifen.

Zwar ist die Forderung nach wirtschaftlicher Identität in gewisser Weise Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, dies jedoch verknüpft mit bestimmten tatbestandlichen Vorgaben, die für die Annahme einer diesbezüglichen Öffnungs‐ oder Konzernklausel ―zugunsten wie zuungunsten der Körperschaft― keinen Raum lassen. Auch aus welchen Gründen die Übertragung von Geschäftsanteilen erfolgt, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Dem können allgemeine Überlegungen der (konzerninternen) Umstrukturierung, die im Ergebnis steuerneutral vollzogen werden (vgl. §§ 11 ff., §§ 20 ff. des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Änderung der Unternehmensform ―UmwStG 1977―, jetzt des Umwandlungsteuergesetzes 2002 ―UmwStG 2002― i.V.m. § 271 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs ―HGB―, vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 455 Tz. 28), ebenso gut aber auch gewinnrealisierende Veräußerungsvorgänge zugrunde liegen. Gestaltungsauslösend kann gleichermaßen die Absicht sein, Verlustpotentiale, die in einer Beteiligungsgesellschaft vorhanden sind, auszunutzen. Wäre es der Wille des Gesetzgebers gewesen, derartigen Überlegungen und Absichten entgegenzutreten, hätte er dies im Gesetz zum Ausdruck bringen müssen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die bestünden, wenn ermittelt werden müsste, ob bei einer nur mittelbaren Anteilsübertragung die besagte qualifizierte Mehrheit von mehr als drei Viertel der Geschäftsanteile tatsächlich gewechselt hat (vgl. dazu z.B. B. Lang in Ernst & Young, a.a.O., § 8 Rz. 1291.2). Die Einbeziehung mittelbarer Übertragungen hätte dazu nähere Regelungen erwarten lassen und erfordert.

bb) Erzwingen damit weder der Regelungswortlaut in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1991 noch der Regelungszweck eine ausdehnende Auslegung des Regelbeispiels, scheidet zugleich die Möglichkeit aus, in der Veränderung der Mehrheitsverhältnisse unter den gegebenen Umständen einen wirtschaftlich vergleichbaren Sachverhalt zu sehen, der unter die Generalklausel des § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1991 zu subsumieren wäre. Die hierfür unverzichtbare wirtschaftliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte liegt nicht vor. Vergleichbar sind nur Vorgänge, die den Wertungen des Regelbeispiels entsprechen, in dem vorliegend interessierenden Bereich also ausschließlich Vorgänge der personellen Veränderung auf der unmittelbaren Anteilseignerebene der Beteiligungsgesellschaft. Die Ausdehnung auf mittelbare Veränderungen in der personalen Struktur verließe den Bereich des durch § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1991 gesetzten Vergleichsrahmens und würde die wirtschaftlichen Identitätserfordernisse ―dem Gehalt des Regelbeispiels widersprechend― in Richtung einer allgemeinen Konzernklausel erweitern und öffnen. Dass die mittelbare Anteilsübertragung im nachweisbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Verlustnutzung steht oder nicht, ist davon unabhängig.

d) Vor diesem Hintergrund kam es im Streitfall auf die weiteren Streitfragen danach, ob die Klägerin ihren Geschäftsbetrieb wieder aufgenommen hat, ob ihr neues Betriebsvermögen i.S. von § 8 Abs. 4 KStG 1991 zugeführt wurde, und schließlich, ob sie aus Gründen des Vertrauensschutzes mit Blick auf das BMF-Schreiben vom 11. Juni 1990 (BStBl I 1990, 252) eine Billigkeitsmaßnahme beanspruchen kann, nicht mehr an. Es kann auch dahinstehen, ob der Verlustabzug zu Recht bereits in den angefochtenen Feststellungsbescheiden und nicht erst in den Bescheiden auf den nachfolgenden Stichtag 31. Dezember 1992 versagt wurde.

2. Soweit die Klägerin die Änderung des Bescheides über die Feststellung des Einkommens gemäß § 47 Abs. 2 KStG 1991 im Körperschaftsteuerbescheid 1991 begehrt, ist dem FG zwar darin zu folgen, dass dieser Bescheid von der Klägerin mit der Klage nicht angefochten wurde. Dennoch ist die Revision auch in diesem Punkt begründet. Die Anträge auf Verfahrenüberleitung gemäß § 68 FGO sind insoweit in eine Sprungklage (§ 45 FGO), hilfsweise in einen Einspruch umzudeuten; die Entscheidungen darüber stehen noch aus.

a) Der Körperschaftsteuerbescheid 1991 vom 10. August 1994 wurde nicht angefochten. Das ergibt sich eindeutig aus der Bezeichnung der angefochtenen Bescheide in der Klageschrift, mittels derer lediglich die Feststellungsbescheide betreffend den verbleibenden Verlustabzug und den vortagsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1991 angefochten wurden. Die ausdrückliche Einbeziehung der Einspruchsentscheidung in der Klageschrift ändert daran nichts. Dadurch konnte der Anfechtungsumfang nicht ohne weiteres erweitert werden, weil der Körperschaftsteuerbescheid 1991 auch im Einspruchsverfahren nicht Verfahrensgegenstand war; Einsprüche wurden ausdrücklich und unmissverständlich ebenfalls lediglich gegen die beiden besagten Feststellungsbescheide eingelegt. Nur in diesem Umfang wurden damit bei verständiger Lesart im Rahmen der entsprechend tenorierten Einspruchsentscheidung auch die Vorbehaltsvermerke der angefochtenen Bescheide aufgehoben. Auf den Körperschaftsteuerbescheid 1991 bezog sich dies nicht; der diesem Bescheid beigefügte Vorbehaltsvermerk wurde erst im nachfolgenden Änderungsbescheid vom 5. März 1997 beseitigt.

b) Infolge des Umstandes, dass bereits der ursprüngliche Körperschaftsteuerbescheid 1991 vom 10. August 1994 bestandskräftig war, konnte dieser Änderungsbescheid vom 5. März 1997 ebenso wie der nachfolgende Änderungsbescheid vom 30. Juni 1997 deshalb nicht durch Antrag gemäß § 68 FGO a.F. zum Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens gemacht werden. Die Anträge gingen insoweit ins Leere. Es war allerdings daran zu denken, diese fristgerecht gestellten Anträge in Sprungklagen (§ 45 FGO) oder aber in (erstmalige) Einsprüche umzudeuten. Die Umdeutung in eine Sprungklage lag nahe, weil die Klägerin mit ihrem Antrag ersichtlich die Überprüfung des Bescheides begehrte und weil zu erwarten war, dass das FA ihrem Begehren abermals nicht entsprechen würde. Die Sprungklage erweist sich für einen solchen Fall als verfahrensökonomisches und sachgerechtes Mittel zur prozessualen Durchsetzung. Allein eine derartige Umdeutung hätte der Interessenlage der Klägerin entsprochen, die erkennbar von der Möglichkeit ausging, die Änderungsbescheide in das Klageverfahren überleiten und deswegen auf die Einlegung eines Einspruchs verzichten zu können (vgl. im Ergebnis ebenso Steinhauff in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 45 FGO Rz. 35; von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 45 Rz. 6 a; Albert in Haarmann/Schmieszek, Rechtsschutz in Steuer- und Abgabensachen, Fach 62104 Rn. 10; FG Düsseldorf, Urteil vom 19. Mai 1980 XX/I 639/79 L, EFG 1981, 206; siehe auch Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 24. März 1983 V B 60/82, nicht veröffentlicht ―NV―; BFH-Urteil vom 11. Dezember 2001 VIII R 23/01, BFHE 197, 425, unter I.1.). Dass der Prozessbevollmächtigte als Rechtsanwalt sachkundig ist, steht dem nicht entgegen. Auch die von einem sachkundigen Prozessbevollmächtigten abgegebenen prozessrechtlichen Willenserklärungen sind einer Auslegung und demgemäß auch einer Umdeutung zugänglich (vgl. BFH-Beschluss vom 24. März 1983 V B 60/82; s. auch Urteil vom 25. Juli 1995 IX R 61/93, BFHE 179, 28, BStBl II 1996, 128).

Allerdings bedarf es zur Zulässigkeit der sonach als Sprungklage zu verstehenden Überleitungsanträge gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO der Zustimmung des FA innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klage. Die Zustimmung steht im Streitfall noch aus, sie wurde vom FA bislang verweigert. Die Frist von einem Monat, innerhalb der sie zu erteilen ist, ist indes noch nicht angelaufen, da das FG die nach § 68 FGO a.F. gestellten Anträge ausdrücklich nicht entsprechend umgedeutet und infolgedessen auch nicht als Klageschrift zugestellt hat. Sollte das FA seine Zustimmung danach auch (weiterhin) versagen, wären die Anträge auf Verfahrensüberleitung als Einsprüche zu behandeln (vgl. BFH-Beschluss vom 24. März 1983 V B 60/82; Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 68 FGO Rz. 28). Davon ist das FA, das sich nunmehr auf die Bestandskraft der Änderungsbescheide vom 5. März 1996 und vom 30. Juni 1997 beruft, im Klageverfahren nach Aktenlage zunächst auch selbst ausgegangen.

3. Da die Vorinstanz eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, war ihr Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif; sie ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das Ergebnis des Klageverfahrens im Rahmen der gestellten Anträge hängt vom Ausgang des Rechtsstreits gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1991 ab. Denn nur dann können wegen der Bindungswirkung des Bescheides über die Feststellung des zu versteuernden Einkommens gemäß § 47 Abs. 2 KStG 1991 für die Verlustfeststellungen auch die in 1991 (bis zum 20. Dezember) erzielten Verluste nach Maßgabe dieser Entscheidung berücksichtigt werden.

Die hiernach noch ausstehende Entscheidung ist deshalb nachzuholen. Für den Fall, dass das FA der Sprungklage nicht zustimmen sollte, wäre das Klageverfahren bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung gemäß § 74 FGO auszusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1016857

BFH/NV 2003, 1672

BStBl II 2004, 616

BFHE 2004, 135

BFHE 203, 135

BB 2003, 2447

BB 2004, 143

DB 2003, 2415

DStR 2003, 1921

DStRE 2003, 1424

HFR 2004, 47

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