Leitsatz (amtlich)

Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines Zweifamilienhauses, das zusammenzuveranlagenden Eheleuten je zur Hälfte gehört und ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt wird, können in der Regel - ohne daß es einer einheitlichen und gesonderten Feststellung bedarf - bei der Veranlagung zur Einkommensteuer ermittelt werden, wenn die Veranlagung von dem FA durchgeführt wird, das auch für den Erlaß eines Grundlagenbescheids zuständig wäre.

 

Normenkette

EStG § 21; AO § 215 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 4 S. 2

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie erwarben 1963 je zur Hälfte ein Grundstück und errichteten darauf ein Wohnhaus mit Einliegerwohnung.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) ermittelte - ebenso wie für die Vorjahre - für das Streitjahr 1968 die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des vorgenannten Grundstücks unmittelbar bei der Zusammenveranlagung der Kläger. Dabei ging das FA von einem jährlichen Mietwert von 12 480 DM - gegenüber einem Mietwert von 7 200 DM in den Vorjahren - aus und setzte die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit 270 DM an.

Die Sprungklage gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid, mit der die Kläger den Ansatz eines Jahresbruttomietwerts von 8 400 DM begehrten, wies das FG als unzulässig ab und führte dazu im wesentlichen aus:

Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seien einheitlich und gesondert festzustellen. Davon könne nicht schon deshalb abgesehen werden, weil es sich um gemeinschaftliche Einkünfte aus einem Grundstück handelt, das Eheleuten gehört, die zusammen veranlagt werden. Ehegatten seien zwei selbständige Steuersubjekte und könnten für jeden Veranlagungszeitraum zwischen verschiedenen Veranlagungsarten wählen. Es liege auch kein Fall von geringerer Bedeutung i. S. von § 215 Abs. 4 Satz 2 AO vor. Es handele sich weder um andauernd geringfügige noch um kurzfristige bestehende Gemeinschaftseinkünfte. Auch das Merkmal der Unstrittigkeit sei nicht gegeben, wenn bei den auf Dauer angelegten Gemeinschaftseinkünften - wie hier - den streitigen Grundstückserträgen ein Jahresaufwand von rd. 12 000 DM gegenübergestellt werde. Das ergebe sich auch aus dem die Revisionsgrenze überschreitenden Streitwert des Verfahrens. Eine einheitliche Feststellung sei ferner geboten, damit die nach dem Gesetz dafür zuständigen Instanzen in dem dafür vorgesehenen Verfahren entscheiden könnten. Da die Streitfrage in dem anhängigen Verfahren nicht entschieden werden könne, die Beteiligten gleichwohl auf einer Sachentscheidung bestünden, sei die Klage als unzulässig abzuweisen.

Mit der Revision rügen die Kläger, das FG habe zu Unrecht die Notwendigkeit einer einheitlichen Feststellung ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bejaht. Es sei Gewohnheitsrecht, daß in Fällen der Zusammenveranlagung von Eheleuten deren Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines ihnen gemeinschaftlich gehörenden Grundstücks bei der Veranlagung zur Einkommensteuer ermittelt werden könnten.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur Sachentscheidung an das FG zurückzuverweisen, ferner die Kosten des Verfahrens bis einschließlich der auf Grund der mündlichen Verhandlung vor dem BFH ergehenden Entscheidung unabhängig vom Ausgang des Verfahrens zur Sache dem FA aufzuerlegen, hilisweise, diesem die hierin enthaltenen Gerichtskosten aufzuerlegen.

Das FA beantragt ebenfalls Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Streitsache an das FG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG.

1. Es begegnet rechtlichen Bedenken, daß das FG die Klage als unzulässig abgewiesen hat, ohne erkennbar die Frage einer Aussetzung der Verhandlung nach § 74 FGO geprüft und entschieden zu haben.

Wie in dem BFH-Beschluß vom 27. September 1972 I B 27/72 (BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24) ausgesprochen wurde, ist die Klage gegen einen Einkommensteuerbescheid als Folgebescheid auch insoweit zulässig, als Einwendungen gegen einen zugrunde liegenden Feststellungsbescheid erhoben werden. Dort wurde ausgeführt, daß das angerufene Gericht den Streit um die Rechtmäßigkeit des Folgebescheids nach § 74 FGO auszusetzen hat, solange noch unklar ist, ob und wie der Grundlagenbescheid geändert wird. Es wurde ferner ausgeführt, daß die Klage erst als unbegründet abgewiesen werden darf, wenn feststeht, daß der Grundlagenbescheid nicht geändert wird. Es kann indessen offenbleiben, ob oder inwieweit diese Grundsätze auch dann zu gelten haben, wenn - wie im Streitfall - bei der Anfechtung des Einkommensteuerbescheids noch kein Grundlagenbescheid ergangen ist, das angerufene Gericht aber einen solchen Bescheid für erforderlich hält. Im Streitfall muß die Vorentscheidung schon deshalb aufgehoben werden, weil das FG zu Unrecht die Notwendigkeit eines Grundlagenbescheids bejaht hat.

2. Der Verzicht auf einen Grundlagenbescheid und damit die Möglichkeit, von zusammenzuveranlagenden Eheleuten gemeinschaftlich bezogene Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei der Veranlagung zur Einkommensteuer zu ermitteln, lassen sich allerdings - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht gewohnheitsrechtlich begründen. Die Annahme von Gewohnheitsrecht setzt voraus, daß sich durch ständige Übung eine ungesetzte Rechtsnorm gebildet hat, die von dem allgemeinen Rechtsbewußtsein bestätigt worden ist (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 2 AO Anm. 2). Es gibt jedoch keine diesen Erfordernissen entsprechende Rechtsnorm des Inhalts, daß bei zusammenzuveranlagenden Eheleuten die gemeinschaftlich bezogenen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei der Veranlagung zur Einkommensteuer zu ermitteln wären. Das Entstehen ungesetzten Rechts läßt sich nicht allein damit feststellen, daß häufig von der Finanzverwaltung so verfahren und dies von den Gerichten gebilligt oder nicht beanstandet wird. Eine dahin gehende Feststellung ist erst recht nicht erlaubt, wenn - wie gerichtsbekannt - in zahlreichen Fällen der in Rede stehenden Art Grundlagenbescheide erlassen werden.

3. Im vorliegenden Fall bedarf es keiner einheitlichen und gesonderten Feststellung - mit der Folge, daß über die Höhe und Zurechnung der von den Klägern bezogenen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Veranlagungsverfahren zur Einkommensteuer entschieden werden kann -, weil entgegen der Meinung des FG § 215 Abs. 4 Satz 2 AO anwendbar ist.

a) Eine Ausnahme von der nach § 215 Abs. 2 Nr. 4 AO vorgeschriebenen einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften, an denen mehrere beteiligt sind, ist nach Abs. 4 Satz 2 der Vorschrift zugelassen, wenn es sich um Fälle geringerer Bedeutung handelt. Ob geringere Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift anzunehmen ist, muß unter besonderer Berücksichtigung des Zwecks des § 215 AO entschieden werden; die einheitliche Feststellung darf nicht lediglich zu einer Erschwerung des Verfahrens führen, wenn die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nicht besteht oder gering ist (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 215 AO Anm. 7). Die Frage nach der Gefährdung der Einheitlichkeit des Verfahrens läßt sich nicht nur im Einzelfall beantworten; sie kann auch für Gruppen im wesentlichen gleichgelagerter Fälle entschieden werden. So hat der Senat in seinem Urteil vom 26. Oktober 1971 VIII R 137/70 (BFHE 104, 67, BStBl II 1972, 215) die Notwendigkeit einer einheitlichen Feststellung bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung verneint, wenn sich die Beteiligung in einem kurzen und leicht überschaubaren einheitlichen Vorgang erschöpft und insbesondere die Einnahmenaufteilung nach einem einfachen Verteilungsschlüssel ohne Schwierigkeiten möglich ist. Hieraus kann indessen nicht gefolgert werden, daß bei auf Dauer angelegten Beteiligungen mit höheren Gemeinschaftseinkünften ein Fall von geringerer Bedeutung im Sinne von § 215 Abs. 4 Satz 2 AO nicht in Betracht käme. Denn auch in diesen Fällen können die Verhältnisse in leicht überschaubarer Weise so gelagert sein, daß sich die Einkünfte der Beteiligten hinsichtlich der Höhe und der Zurechnung verhältnismäßig einfach ermitteln lassen und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nahezu ausgeschlossen ist. Das ist nach Auffassung des erkennenden Senats in der Regel der Fall, wenn es - abgesehen von Streitigkeiten über die einkommensteuerlichen Auswirkungen der Vereinbarung der Gütergemeinschaft zwischen Eheleuten (vgl. dazu BFH-Urteil vom 23. Juni 1971 I B 16/71, BFHE 103, 24, BStBl II 1971, 730) - um die Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines ausschließlich zu Wohnzwecken genutzten Zweifamilienhauses geht, das zusammenzuveranlagenden Eheleuten je zur Hälfte gehört, und die Ermittlung der Einkünfte von dem FA vorgenommen wird, das auch für eine einheitliche Feststellung zuständig wäre. Denn zum einen bereitet die Ermittlung des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten und dessen Zurechnung auf die Beteiligten in einem solchen Fall keine übermäßigen Schwierigkeiten. Zum anderen ist unter den aufgezeigten Voraussetzungen die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen gering.

Dieser Auffassung steht die Rechtsprechung des BFH, nach der die Tatsache, daß eine Gesellschaft oder Gemeinschaft aus Eheleuten besteht, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden, den Fall nicht zu einem von geringerer Bedeutung macht (vgl. Urteil vom 25. Juni 1970 IV 190/65, BFHE 99, 513, BStBl II 1970, 730; Beschluß I B 16/71), nicht entgegen. Mit dieser Rechtsprechung wurde lediglich ausgeschlossen, daß die erwähnten Tatsachen für sich allein die Anwendung des § 215 Abs. 4 Satz 2 AO rechtfertigen können. Das hindert indessen nicht, der Zusammenveranlagung in der Zusammenschau mit anderen Umständen eine Bedeutung für die Anwendung dieser Vorschrift beizumessen.

Der Auffassung des Senats steht auch nicht entgegen, daß sich bei Anwendung des § 215 Abs. 4 Satz 2 AO andere Gerichtszuständigkeiten als nach Erlaß eines Grundlagenbescheids ergeben können. Dies ist eine zwangsläufige Folge des Gesetzes, die, wäre sie nicht gewollt, die Vorschrift leerlaufen ließe.

b) Bei Anwendung der aufgezeigten Grundsätze ist hier ein Fall von geringerer Bedeutung im Sinne von § 215 Abs. 4 Satz 2 AO anzunehmen. Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer eines von ihnen ausschließlich zu Wohnzwecken genutzten Zweifamilienhauses. Die Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ist auch von dem FA vorzunehmen, das für eine einheitliche und gesonderte Feststellung zuständig wäre.

4. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsüberlegungen ausgegangen ist, war hiernach aufzuheben. Die Streitsache geht an das FG zurück, das die für eine Sachentscheidung notwendigen Feststellungen treffen und diese rechtlich beurteilen muß.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. Dem anderslautenden Kostenantrag der Kläger konnte nicht entsprochen werden, weil nach § 135 Abs. 1 FGO die Kostenentscheidung vom endgültigen Ausgang des Rechtsstreits abhängt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71790

BStBl II 1976, 305

BFHE 1976, 437

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