Leitsatz (amtlich)

Einer Kapitalgesellschaft dürfen Verlustabzüge aus der Zeit vor einem grundlegenden Gesellschafterwechsel nur dann versagt werden, wenn sie ihre bisherigen Vermögenswerte im wesentlichen verloren hat und durch die Zuführung von Mitteln der Neugesellschafter wirtschaftlich wiederbelebt wird.

 

Normenkette

KStG § 6 Abs. 1 S. 1; EStG § 10d

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine AG, die im Jahr 1891 gegründet wurde. Sie erlitt seit 1962 Verluste. Nachdem weitere Aufträge ausgeblieben waren, teilte sie ihren Gläubigern am 5. März 1966 mit, sie habe die Zahlungen am 1. März 1966 eingestellt, und ersuchte um einen Zahlungsaufschub. Bereits vorher, am 25. Februar 1966, hatten die Hauptaktionäre ca. 82 v. H. der Aktien im Nennwert von 2 460 000 DM zu einem Kurs von 26 v. H. verkauft. der Neuaktionäre übernahmen den Vorstand und traten in den Aufsichtsrat ein. Sie veranlaßten Ende März 1966 die Einstellung der bisherigen Produktion. Der größte Teil der Belegschaft wurde entlassen. Die Neuaktionäre stellten der Klägerin im März 1966 zur Vermeidung von Konkursanträgen Darlehen in Höhe von 240 000 DM zur Verfügung, die die Klägerin schon im Mai zurückzahlen konnte. Die Liquidität verbesserte sich. Die Klägerin erhielt einen hypothekarisch gesicherten Bankkredit in Höhe von 800 000 DM. Ein Teil der Grundstücke, die Maschinen und Einrichtungsgegenstände konnten günstig verwertet werden. Die Klägerin erwarb in der Folgezeit zahlreiche Beteiligungen und arbeitet seit 1968 wieder mit Gewinnen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) versagte bei der vorläufigen Körperschaftsteuerveranlagung 1968 den Abzug von Verlusten aus der Zeit vor dem Gesellschafterwechsel. Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG hat ausgeführt: Die Klägerin sei personengleich geblieben. Sie sei zu keiner Zeit ein bedeutungsloser Mantel gewesen. Schon die kurzfristige Zuführung von 240 000 DM und interne Maßnahmen hätten genügt, um alle Verbindlichkeiten zu erfüllen. Der von dem Steuerberater zum 1. März 1966 aufgestellte Status enthalte vorsichtig bewertete Ansätze (Grundbesitz nur mit dem doppelten Einheitswert). Die beträchtlichen Veräußerungsgewinne in den Folgejahren hätten gezeigt, daß im Anlagevermögen erhebliche stille Reserven enthalten gewesen seien. Die Klägerin habe die Krise aus eigener Kraft überwunden, wenn von der kurzfristigen Liquiditätshilfe abgesehen werde. Die Vermutung des FA, daß die Neuaktionäre der Klägerin anläßlich des Erwerbs der Beteiligungen verdeckt Kapital zugeführt hätten, habe sich nicht bestätigt. Die Neuaktionäre hätten zunächst den Gegenstand des Unternehmens nicht verändern wollen, sondern die bisherige Unternehmensstruktur - wenn auch nur in Teilbereichen - erhalten wollen. Erst nach genauer Kenntnis der wirtschaftlichen Gegebenheiten hätten sie sich dazu entschlossen, die Klägerin auf ein Beteiligungsunternehmen umzustellen. Die Klägerin habe nur Beteiligungen an Unternehmen ihrer bisherigen Branche erworben, über die sie sich weiterhin an der Produktion und dem Verkauf von Erzeugnissen dieser Branche beteilige.

Das FA macht mit der Revision die Verletzung des § 6 Abs. 1 KStG in Verbindung mit § 10d EStG geltend: Das FG habe widersprüchliche Feststellungen zu der Vermögenslage der Klägerin im Zeitpunkt des Gesellschafterwechsels getroffen. Einerseits führe es aus, das Überbrückungsdarlehen der Neuaktionäre sei "zur Vermeidung von Konkursanträgen" gewährt worden und die Vermögens- und Liquiditätslage der Klägerin sei zur Zeit des Gesellschafterwechsels "schlecht" gewesen. Andererseits lege es dar, die Klägerin könne in diesem Zeitpunkt nicht als eine vermögenslose Rechtsform angesehen werden. Tatsächlich sei die Klägerin zu diesem Zeitpunkt abwicklungs- und löschungsreif gewesen. Nach dem Satus zum 1. März 1966 hätten die Neuaktionäre ein Mehrfaches des Unternehmenswerts bezahlt.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG bestimmt sich, was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, nach den Vorschriften des EStG und den §§ 7 bis 16 KStG. Die Bezugnahme erstreckt sich auch auf § 10d EStG (§ 15 Nr. 1 KStDV in der bis 1968 geltenden Fassung). Nach § 10d EStG können Steuerpflichtige, die den Gewinn nach § 5 EStG auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, die Verluste der fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume aus Gewerbebetrieb wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen, soweit ihnen ein Ausgleich oder Abzug der Verluste in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht möglich war. Die Berücksichtigung des Verlustabzugs setzt grundsätzlich voraus, daß zwischen dem Steuerpflichtigen, der den Verlustabzug geltend macht, und demjenigen Steuerpflichtigen, der den Verlust erlitten hat, Personenidentität besteht.

Bei Kapitalgesellschaften ist Personenidentität auch gegeben, wenn einzelne Gesellschafter wechseln, hinzutreten oder ausscheiden. Die Körperschaftsteuer knüpft - unabhängig vom Gesellschafterbestand - an die Kapitalgesellschaft als solche an (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Etwas anderes gilt für den Fall, daß eine abwicklungs- und löschungsreife Kapitalgesellschaft nach Übernahme der Anteile durch neue Gesellschafter vollkommen neu gestaltet wird (Urteile des BFH vom 15. Februar 1966 I 112/63, BFHE 85, 217, BStBl III 1966, 289; vom 17. Mai 1966 I 141/63, BFHE 86, 369, BStBl III 1966, 513). Die Umstellung des Unternehmens durch die neuen Gesellschafter - hier von der Herstellung bestimmter Erzeugnisse auf die Beteiligung an Unternehmen, die diese Erzeugnisse herstellen - beseitigt die Personengleichheit nicht. Nur wenn eine Kapitalgesellschaft ihre bisherigen Vermögenswerte im wesentlichen verloren hat und in dieser Lage neue Gesellschafter eintreten, überdies der Gesellschaft neue Mittel zuführen und sie wirtschaftlich neu beleben, liegt ein der Liquidation und Neugründung vergleichbarer Fall vor. Nur dann kann von zwei Personen gesprochen werden, die nacheinander unter dem gleichen Rechtsmantel tätig werden, aber, worauf entscheidend abzustellen ist, in ihrem sachlichen und personalen Substrat verschieden sind.

Das FG hat, ausgehend von diesen Grundsätzen, zutreffend auch die Verluste aus der Zeit vor dem Gesellschafterwechsel zum Abzug zugelassen. Die Klägerin war im Februar/März 1966 nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG nicht abwicklungs- und löschungsreif. Sie hatte zwar mangels Liquidität ihre Zahlungen einstellen müssen, war jedoch trotz der hohen Verluste in den vorangegangenen Jahren nicht vermögenslos. Die Feststellungen des FG hierzu sind nicht widersprüchlich; Zahlungsunfähigkeit und eine schlechte Vermögenslage sind nicht gleichbedeutend mit Vermögenslosigkeit.

Das FA möchte aus einem Vergleich des Vermögens lt. Status zum 1. März 1966 und des Aktienkaufpreises herleiten, daß die Neuaktionäre ein Mehrfaches des Vermögenswerts zahlten und den Überpreis für den Verlustvortrag aufwandten. Dieser Vergleich ist angreifbar. Werden die im Status als Schuldposten angesetzten "Abwicklungskosten" gestrichen, ergibt sich ein Aktienkurs, der über dem von den Neuaktionären bezahlten Kurs liegt. Auch entkräftet der Hinweis des FA auf die Schwierigkeiten bei einer Konkursverwertung von Industrieobjekten nicht die Feststellung des FG, daß der Steuerberater die Aktiven vorsichtig bewertet hat. Indes kann die Revision auch dann keinen Erfolg haben, wenn zugunsten des FA anzunehmen wäre, daß die Neuaktionäre den Verlustvortrag gesondert bewerteten und bezahlten. Der Verlustabzug darf in die Kaufpreisüberlegungen miteinbezogen werden.

Die Klägerin besaß im Zeitpunkt des Gesellschafterwechsels wesentliche Vermögenswerte, die selbst nach dem Status vom 1. März 1966 die Verbindlichkeiten erheblich überstiegen. Sie konnte den Gläubigern in dem Moratoriumsvorschlag vom 5. März 1966 eine vollständige Befriedigung anbieten, sofern ihr die Hälfte der Forderung bis zum 30. September 1966 und die andere Hälfte bis zum 31. März 1967 gestundet worden wären. Dem Grundkapital von 3 000 000 DM stand nach der Bilanz vom 31. Dezember 1965 erst ein Verlustvortrag von 1 408 754 DM gegenüber. Die Klägerin war sonach am 1. März 1966 noch nicht ausgezehrt. Allerdings war sie in anhaltender finanzieller Bedrängnis. Sie konnte nicht mehr wie bisher weiterproduzieren; dabei hätte sie auch bei ausreichender Liquidität bald ihr gesamtes Vermögen verloren. Es war jedoch zu überlegen, wie es die Neuaktionäre nach den Feststellungen des FG auch getan haben, ob die bisherige Produktion eingeschränkt oder der Betrieb ggf. umgestellt werden sollte. Die Klägerin hatte noch ausreichend Vermögen, um aus eigener Kraft weiterzuleben. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die Klägerin zunächst einen Überbrückungskredit der Neuaktionäre in Anspruch nehmen mußte. Dieser Kredit wurde alsbald zurückgezahlt. Entscheidend für die Besserung der Liquidität der Klägerin war die Einstellung der lohnaufwendigen Produktion und der Entschluß, einige Vermögenswerte zu veräußern. Sie erhielt darauf einen größeren Bankkredit, der sie aller Liquiditätssorgen enthoben haben dürfte und sie auch von Krediten und Zuwendungen der Aktionäre unabhängig machte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70756

BStBl II 1974, 181

BFHE 1974, 155

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