Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Tritt nach der Aufnahme einer Schuld bei dem Steuerpflichtigen ein Vermögensverfall ein, so kann die Schuldrückzahlung nicht schon deshalb als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG angesehen werden; die gegenteilige Auffassung des Reichsfinanzhofs (IV 202/38 vom 10. November 1938, RStBl 1939 S. 117; IV 128/40 vom 31. Oktober 1940, RStBl 1941 S. 266) wird nicht übernommen.

 

Normenkette

EStG § 33

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg.) ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der X. GmbH. Er hat von dieser Gesellschaft im Jahre 1935 zum Erwerb eines Einfamilienhauses und zur Anschaffung von Einrichtungsgegenständen ein Darlehen von 100.000 RM erhalten. Nach der Währungsumstellung belief sich diese Schuld einschließlich aufgelaufener Zinsen auf 14.571 DM. Im Jahre 1951 hat der Bf. von der GmbH Bezüge von insgesamt 9.300 DM erhalten, von denen jedoch 4.350 DM nicht ausgezahlt, sondern mit der Darlehnsforderung der GmbH an ihn verrechnet wurden. Das Finanzamt hat dem Antrag des Bg., diesen Betrag als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen, nicht entsprochen. Sein Einspruch wurde zurückgewiesen.

Die Vorinstanz erkannte auf die Berufung des Bg. die Schuldtilgung als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG an. Die zur Anwendung dieser Vorschrift erforderliche Zwangsläufigkeit habe zwar im Zeitpunkt der Darlehnsaufnahme nicht vorgelegen. Die Voraussetzungen des § 33 EStG seien aber auch zu bejahen, wenn die Rückzahlung der unter anderen Verhältnissen aufgenommenen Schulden infolge einer später eingetretenen Verschlechterung der finanziellen Lage den Darlehnsschuldner übermäßig belaste. Dieser vom Reichsfinanzhof aufgestellte Grundsatz sei auch jetzt noch maßgebend. Auch der Zeitpunkt der Schuldrückzahlung stehe der Annahme einer Zwangsläufigkeit der Aufwendung nicht entgegen. Als Geschäftsführer und Alleingesellschafter habe der Bg. zwar grundsätzlich selbst bestimmen können, wann er als Schuldner das Darlehen tilgen wolle. Im vorliegenden Fall habe er sich jedoch dem Willen der Bankgläubiger der GmbH fügen müssen. Zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes der GmbH sei er zur Darlehnsrückzahlung im Jahre 1951 gezwungen gewesen; infolgedessen sei die zur Anwendung des § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit der Aufwendung zu bejahen.

Der Vorsteher des Finanzamts macht mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) geltend, eine Zwangsläufigkeit zur Schuldentilgung durch den Bg. habe nicht vorgelegen. Selbst wenn die Darlehnsrückzahlung seitens der GmbH gegenüber den Bankgläubigern im Jahre 1951 notwendig gewesen sein sollte, so ergebe sich daraus noch nicht, daß der Steuerpflichtige seine Schuld an die GmbH habe zurückzahlen müssen. Falls nur die GmbH ihre Schuld zurückgezahlt hätte, wäre eine steuerliche Auswirkung bei ihrem Gewinn nicht eingetreten. Der Bg. habe deshalb die Rückzahlung so gestaltet, daß der Rückzahlungsbetrag, der übrigens dem Lohnsteuerabzug nicht unterworfen worden sei, den Gewinn der GmbH gemindert habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Aufwendungen zur Tilgung von Schulden können nach allgemeiner Auffassung für eine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung gemäß § 33 EStG in Betracht kommen, wenn die Schuldaufnahme durch Ausgaben veranlaßt wurde, die als zwangsläufig und als außergewöhnlich im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 602/53 U vom 30. September 1954, Slg. Bd. 59 S. 381, Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 III S. 357; Abschn. 210 a Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1951). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Bg. hat das Darlehen der GmbH im Jahre 1935 zur Anschaffung eines Einfamilienhauses und der dazugehörenden Einrichtung verwendet. Die Vorinstanz hat festgestellt, daß diese Ausgaben damals nicht zwangsläufig waren. Hiergegen bestehen keine rechtlichen Bedenken.

Die Vorentscheidung hat eine außergewöhnliche Belastung jedoch deshalb bejaht, weil in der Zwischenzeit bei dem Bg. ein Vermögensverfall eingetreten sei und die unter anderen Verhältnissen aufgenommenen Schulden des Bg. ihn nunmehr übermäßig belasteten. Die Rechtsprechung hat zwar gelegentlich in derartigen Fällen § 33 EStG angewendet (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs IV 202/38 vom 10. November 1938 - Reichssteuerblatt (RStBl) 1939 S. 117 -, IV 128/40 vom 31. Oktober 1940 - RStBl 1941 S. 266 -). Der Senat vermag dieser Rechtsauffassung des Reichsfinanzhofs nicht beizutreten. Aus dem Grundsatz, daß eine Schuldrückzahlung nur dann nach § 33 EStG berücksichtigt werden kann, wenn der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Schuldaufnahme eine Steuerermäßigung gemäß § 33 deshalb nicht in Anspruch nehmen konnte, weil er keine eigenen, sondern fremde Mittel zur Deckung der ihn belastenden Ausgaben verwendet hat, folgt, daß alle Umstände, die sich erst nach der Aufnahme der Schuld ergeben, für die Anwendung dieser Vorschrift keine Bedeutung haben können. Das gilt insbesondere für einen später eingetretenen Vermögensverfall. Hierfür spricht außerdem, daß ein Vermögensverfall das Einkommen des Steuerpflichtigen nicht berührt und eine durch die Anwendung des § 33 EStG sich ergebende Auswirkung auf das steuerpflichtige Einkommen ein wesensfremdes Element bei der Einkommensteuer darstellen würde. § 33 EStG ist eine Tarifvorschrift des EStG, die Härten abwenden soll, die sich aus der Nichtabzugsfähigkeit von Aufwendungen ergeben können, die üblicherweise aus dem laufenden Einkommen bestritten werden. Zu diesen eng mit dem Einkommen zusammenhängenden Aufwendungen gehören nicht solche, die ausschließlich das Vermögen betreffen.

Falls Schuldrückzahlungen infolge eines Vermögensverfalls eine so erhebliche Belastung für einen Steuerpflichtigen darstellen, daß die Entrichtung der von ihm geschuldeten Steuern eine unbillige Härte wäre, kann im Einzelfall ein Steuererlaß nach § 131 der Reichsabgabenordnung (AO) angebracht sein. Dieser kann auch die Einkommensteuer zum Gegenstand haben. Die Voraussetzungen, die Höhe und die Durchführung eines solchen Erlasses sind dann jedoch nicht nach § 33 EStG, sondern ausschließlich nach den für die Anwendung des § 131 AO maßgebenden Grundsätzen zu beurteilen. Der Steuerpflichtige hat auf einen derartigen mit Rücksicht auf seine Vermögenslage ausgesprochenen Steuererlaß im Gegensatz zu § 33 EStG keinen vor den Steuergerichten verfolgbaren Rechtsanspruch. Er hat aber die Möglichkeit, die Steuergerichte im Fall der Ablehnung anzurufen, sofern die Behörden der Finanzverwaltung diese Entscheidung infolge unrichtiger Anwendung ihres Ermessens getroffen haben (Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr. S. D I/51 vom 17. April 1951, Slg. Bd. 55 S. 277, BStBl 1951 III S. 107).

Die Vorentscheidung, die allein mit Rücksicht auf den Vermögensverfall des Bg. § 33 EStG angewendet hat, entspricht nicht diesen Grundsätzen. Sie ist daher wegen unrichtiger Gesetzesanwendung aufzuheben. Da die Darlehnsaufnahme nach den getroffenen Feststellungen nicht zwangsläufig war, entfällt die Anwendung des § 33 EStG.

Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif, da der Bg. für das streitige Jahr 1951 mit seiner Ehefrau gemäß § 26 EStG zusammen veranlagt worden ist. Nachdem § 26 EStG 1951 durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (BStBl 1957 I S. 193) für rechtsungültig erklärt wurde, ist bei der endgültigen Steuerfestsetzung das in Aussicht stehende Gesetz über die Neuregelung der Ehegattenbesteuerung zu beachten. Das Finanzamt wird die Festsetzung der Einkommensteuer 1951 unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen und dieses neuen Gesetzes vorzunehmen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408823

BStBl III 1957, 385

BFHE 1958, 399

BFHE 65, 399

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