Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld: Vergleichsrechnung (Günstigerprüfung) nach Übertragung des halben Kinderfreibetrags vom zum Barunterhalt verpflichteten Elternteil auf den betreuenden Elternteil

 

Leitsatz (amtlich)

Kommt der zum Barunterhalt verpflichtete Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht nach und wird deshalb auf Antrag des anderen Elternteils, der das Kind betreut, der halbe Kinderfreibetrag auf diesen übertragen, ist bei der nach § 31 Satz 4 EStG durchzuführenden Vergleichsrechnung (Günstigerprüfung) dem vollen Kinderfreibetrag das gesamte an den betreuenden Elternteil ausgezahlte Kindergeld gegenüberzustellen.

 

Normenkette

EStG 1996 § 31 Sätze 4-5, § 32 Abs. 6 S. 5, § 36 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Entscheidung vom 16.06.1998; Aktenzeichen 11 K 5302/97; EFG 1998, 1686)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist geschieden und hat aus der Ehe ein Kind, das in ihrem Haushalt lebt. Der geschiedene Ehemann, dessen Aufenthalt ihr nach eigenen Angaben unbekannt ist, hat im Streitjahr 1996 keinen Unterhalt für das Kind gezahlt. Das Kindergeld in Höhe von 2 400 DM wurde an die Klägerin ausgezahlt.

In ihrer Einkommensteuererklärung beantragte sie die Übertragung des Kinderfreibetrages nach § 32 Abs. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetz in der im Streitjahr gültigen Fassung (im Folgenden: EStG), weil der Vater des Kindes seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen sei; ferner beantragte sie, bei der "Günstigerprüfung" i.S. des § 31 Satz 4 EStG nur Kindergeld in Höhe von 1 200 DM in die Vergleichsberechnung einzubeziehen. Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) nur insoweit, als er den Kinderfreibetrag zwar doppelt ansetzte, jedoch das ausgezahlte Kindergeld in voller Höhe in die Vergleichsberechnung einbezog, so dass die steuerliche Entlastung allein durch das Kindergeld bewirkt wurde.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage, mit der sie geltend machte, bei der Übertragung des Kinderfreibetrages nach § 32 Abs. 6 Satz 5 EStG sei nur das ihr zustehende Kindergeld nach § 31 Satz 5 EStG zu verrechnen. Die andere Hälfte des Kindergeldes stehe dem anderen Elternteil im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs zu. Dieser Anspruch erlösche nicht dadurch, dass der andere Elternteil keinen Unterhalt leiste.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1998, 1686).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe die §§ 31, 32, 36 EStG unzutreffend ausgelegt. Gegen die Rechtsauffassung des FG spreche schon der Wortlaut des § 31 Satz 5 EStG. Danach sei das Kindergeld nach § 36 Abs. 2 EStG zu verrechnen, auch soweit es dem Steuerpflichtigen im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zustehe. Nach dem üblichen Sprachgebrauch bedeute "zustehen" soviel wie "mit Recht gehören", "gebühren". Im Begriff "zustehen" komme zum Ausdruck, dass es auf den tatsächlichen Zufluss des Kindergeldes nicht ankomme. Vielmehr genüge das bloße Bestehen eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs, auch wenn das Kindergeld tatsächlich an einen anderen, nämlich den Ausgleichsverpflichteten, gezahlt werde. Eine entsprechende Verrechnung sei nach § 36 Abs. 2 EStG beim Inhaber des Ausgleichsanspruchs geboten. Daraus ergebe sich zugleich, dass insoweit eine Verrechnung bei demjenigen, dem das Kindergeld tatsächlich zugeflossen sei (hier: der Klägerin), ausscheide.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung des FA den Einkommensteuerbescheid 1996 in der Weise zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung des vollen Kinderfreibetrages und unter Hinzurechnung nur des anteiligen Kindergeldes in Höhe von 1 200 DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

FA und FG haben zu Recht bei der nach § 31 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995 ―EStG―(BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) gebotenen Vergleichsrechnung dem vollen Kinderfreibetrag das gesamte an die Klägerin ausgezahlte Kindergeld von 2 400 DM gegenübergestellt.

1. Gemäß § 31 Satz 1 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes alternativ durch den Kinderfreibetrag nach § 32 EStG oder durch das Kindergeld (§§ 62 ff. EStG) bewirkt. Nach § 31 Satz 4 EStG ist bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung durch das während des Kalenderjahres gezahlte Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt wird. Das bedeutet, dass der Kinderfreibetrag bei der Einkommensteuerveranlagung nur dann abgezogen wird, wenn der Steuerpflichtige dadurch bessergestellt wird als durch das während des Kalenderjahres als Steuervergütung gezahlte Kindergeld (sog. Günstigerprüfung). Dies gilt grundsätzlich für beide Elternteile, obwohl das Kindergeld gemäß § 64 Abs. 1 EStG nur an einen Berechtigten ausgezahlt wird. Denn dem anderen Elternteil steht hinsichtlich seines hälftigen Anteils am Kindergeld ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch zu, der kraft ausdrücklicher Anordnung in § 31 Satz 5 EStG bei Inanspruchnahme des Kinderfreibetrages in gleicher Weise wie das ausgezahlte Kindergeld bei der Veranlagung zur Einkommensteuer zu verrechnen ist. Nach § 36 Abs. 2 EStG ist im Fall der Minderung des Einkommens um einen Kinderfreibetrag das Kindergeld oder der Ausgleichsanspruch "in entsprechendem Umfang" der Einkommensteuer hinzuzurechnen. Durch diese Regelung soll eine Doppelbegünstigung vermieden werden (BTDrucks 13/1558, S. 157).

2. Im Streitfall ergibt die Vergleichsrechnung, dass eine Berücksichtigung des vollen Kinderfreibetrages von 6 264 DM zu einer einkommensteuerlichen Entlastung der Klägerin von 1 801 DM führen würde, also geringer ist als das von ihr vereinnahmte Kindergeld von 2 400 DM. Die gebotene Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums des Kindes ist deshalb durch das während des Kalenderjahres ausgezahlte Kindergeld bewirkt worden.

a) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es nicht zulässig, bei der Vergleichsrechnung des § 31 Satz 4 EStG dem vollen Kinderfreibetrag nur das hälftige Kindergeld in Höhe von 1 200 DM gegenüberzustellen. Zwar ist bei der Einkommensteuerveranlagung geschiedener Eltern die Günstigerprüfung bei beiden Elternteilen grundsätzlich in der Weise durchzuführen, dass die einkommensteuerliche Entlastung durch den Kinderfreibetrag mit dem Betrag des hälftigen Kindergeldes zu vergleichen ist. Im Streitfall hat die Klägerin jedoch erfolgreich die Übertragung des hälftigen Kinderfreibetrages nach § 32 Abs. 6 Satz 5 EStG beantragt, weil der andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht nachgekommen ist. In einem solchen Fall folgt aus § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG, dass dem vollen Kinderfreibetrag auch das gesamte an die Klägerin ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 2 400 DM gegenüberzustellen ist (h.M., vgl. FG Berlin, Urteile vom 30. Januar 1998 1595/97, EFG 1998, 1066, und vom 18. Januar 1999 9481/97, EFG 1999, 702; FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 22. Oktober 1998 5 K 315/98 Kg, EFG 1999, 176; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 3. Dezember 1999 2 K 592/98, EFG 2000, 325; Jachmann in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 31 Rdnr. B 26 und B 35, § 32 Rdnr. D 15; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 31 EStG Anm. 36; Jechnerer in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 31 Anm. 17 b; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 31 EStG Rz. 320; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 31 Rz. 40). Die in dieser Vorschrift angeordnete Hinzurechnung des Kindergeldes "in entsprechendem Umfang" besagt, dass der Umfang der Verrechnung sich danach bestimmt, ob für den jeweiligen Zeitraum ein halber oder ein voller Kinderfreibetrag zu berücksichtigen ist (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 13. August 2002 VIII R 53/01, BFHE 200, 206, BStBl II 2002, 867; vom 16. Dezember 2002 VIII R 65/99, BFHE 201, 195, BStBl II 2003, 593; vgl. auch Tz. 23 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen ―BMF― vom 9. März 1998, BStBl I 1998, 347; a.A. Czisz, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1998, 996, 998). Durch § 36 Abs. 2 EStG soll sichergestellt werden, dass das Kindergeld bei Abzug eines Kinderfreibetrages nicht zusätzlich vereinnahmt werden kann. Dieser Zweck ist auch bei der Günstigerprüfung zu beachten. Zu einer mit dem Zweck des Familienleistungsausgleichs unvereinbaren Mehrfachbegünstigung käme es jedoch, wenn bei der Vergleichsrechnung dem vollen Kinderfreibetrag nur das hälftige Kindergeld gegenübergestellt würde. In diesem Fall wäre nicht nur ein Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums des Kindes von der Einkommensteuer freigestellt, sondern die Klägerin könnte darüber hinaus das hälftige Kindergeld anrechnungsfrei vereinnahmen. Ein solches Ergebnis ist mit dem System des Familienleistungsausgleichs unvereinbar. Das FG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das Existenzminimum eines Kindes, für dessen Unterhalt ein Elternteil allein aufkommt, nicht höher anzusetzen ist als dasjenige eines Kindes, dessen Unterhalt von zusammenveranlagten Eltern getragen wird (vgl. auch BFH-Urteil vom 26. Februar 2002 VIII R 90/98, BFH/NV 2002, 1137).

b) Die Klägerin beruft sich für ihre abweichende Auffassung zu Unrecht auf den Wortlaut des § 31 Satz 5 EStG. Zwar trifft es zu, dass dem zum Barunterhalt verpflichteten Elternteil grundsätzlich ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen den anderen Elternteil zusteht. Dieser Anspruch auf Ausgleich des Kindergelds unter geschiedenen Eltern beruhte im Streitjahr, in dem § 1612b des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) noch nicht in Kraft getreten war, auf dem allgemeinen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch eines Elternteils gegen den ebenfalls unterhaltspflichtigen anderen Elternteil (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ―BGH― seit dem Urteil vom 21. Dezember 1977 IV ZR 4/77, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1978, 753). Da mit dem Kindergeld die Unterhaltslast aller Unterhaltspflichtigen erleichtert werden soll, muss es grundsätzlich allen Unterhaltspflichtigen zugute kommen. Der BGH hat es in seinem Urteil in NJW 1978, 753 für angemessen erachtet, den Ausgleich hinsichtlich des Kindergeldes entsprechend den Anteilen der Unterhaltspflichtigen an der Erfüllung der Unterhaltspflicht vorzunehmen. Da im vorliegenden Fall der Barunterhaltspflichtige seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen ist, spricht dies dafür, dass ihm auch kein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen die Klägerin bezüglich des Kindergeldes zustand (so im Ergebnis auch Urteile des FG des Landes Sachsen-Anhalt in EFG 2000, 325, und des FG Berlin in EFG 1998, 1066). Im Streitfall kann diese Frage offen bleiben. Jedenfalls kann es bei einem Elternteil, der seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen ist und dessen Kinderfreibetrag deshalb auf den anderen Elternteil übertragen wurde, nicht zu einer Minderung seines Einkommens durch einen Kinderfreibetrag kommen; die Günstigerprüfung nach § 31 EStG entfällt deshalb bei diesem Elternteil ebenso wie die Verrechnung mit dem Ausgleichsanspruch nach § 36 Abs. 2 EStG.

c) Die hier vertretene Auffassung hat zur Folge, dass die Übertragung des Kinderfreibetrages in der Mehrzahl der Fälle, in denen der Grenzsteuersatz im Streitjahr unter 38,31 v.H. liegt, für den Steuerpflichtigen nicht zu einer weiter gehenden steuerlichen Entlastung führt. Dieses Ergebnis entspricht jedoch ―wie dargelegt― der Systematik der §§ 31, 36 EStG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1167246

BFH/NV 2004, 1154

BStBl II 2005, 594

BFHE 2004, 465

BFHE 205, 465

BB 2004, 1549

DB 2004, 1649

DStRE 2004, 947

DStZ 2004, 507

HFR 2004, 761

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