Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961/1962.

Die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes im Sinne von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961/1962 liegt nicht vor, wenn Grundstücke in der Absicht erworben und verwaltet werden, sie später zu bebauen und zu veräußern.

Ein Steuerpflichtiger kann sich gegenüber vorläufigen Veranlagungen im allgemeinen nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen, wenn das FA in der Anwendung von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961/1962 seine Rechtsauslegung bei der endgültigen Veranlagung ändert.

 

Normenkette

GewStG § 9/1; AO § 100 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 20.03.1969; Aktenzeichen 1 BvR 568/67)

 

Tatbestand

Die Stpfl., eine KG, wurde im Jahre 1960 gegründet, um Hotels und Wohnhäuser zu bauen, zu verwalten und zu veräußern. Nach dem Gesellschafterbeschluß vom 10. Januar 1961 sollte sie "allmählich nach überwindung der Anlaufjahre in größerem Umfang Grundbesitz als Anlagevermögen erwerben, um dadurch laufende Grundstückserträge zu erzielen". Am 15. Februar 1961 beschlossen die Gesellschafter dann, die Stpfl. sollte eigenes Grundvermögen verwalten und Kaufeigenheime errichten und veräußern; der Bau und die Veräußerung von Hotels sollte künftig ausgeschlossen sein.

Die Stpfl. erwarb mehrere Grundstücke an verschiedenen Orten, und zwar am 5. April 1960 6043 qm zu 24.336 DM, am 7. August 1962 2500 qm zu 10.196 DM und am 3. September 1963 1700 qm zu 53.186 DM. Auf diesen Grundstücken wollte sie ein Hotel und Eigentumswohnungen bauen und veräußern. In den Jahren 1961 bis 1964 ließ sie auf einem Teil der Grundstücke in Sch. (1652 qm) in drei Bauabschnitten drei Häuser mit 49 Eigentumswohnungen bauen, die sie bis auf eine, an einen Hausmeister vermietete Wohnung, im Jahre 1961 zu 89.249 DM, im Jahre 1962 zu 85.269 DM und im Jahre 1964 zu 187.000 DM verkaufte. Aus der Hausmeisterwohnung erzielte sie Miete, und zwar im Jahre 1962 1.330 DM, im Jahre 1963 3.416 DM und im Jahre 1964 4.237 DM. Auf dem Festgrundstück in Sch. baute sie - anscheinend im Jahre 1962 - 11 Garagen, aus denen sie bis zum Jahr 1964 noch keine Einnahmen hatte. Im Jahr 1964 begann sie mit dem Bau weiterer Eigentumswohnungen in H. Am 24. Juni 1965 beschlossen ihre Gesellschafter, davon drei bis vier Wohnungen zu behalten und zu vermieten. Die Stpfl. will, wie sie angibt, noch weiteres Gelände beschaffen, um darauf ein Appartementhaus zu errichten, und die Appartements zu vermieten.

In den Gewerbesteuererklärungen für 1961 und 1962 hatte die Stpfl. zur Ermittlung des Gewerbeertrags gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ihren Gewinn um die Erträge aus der Veräußerung der Eigentumswohnungen gekürzt. Das FA veranlagte die Stpfl. zunächst entsprechend vorläufig. Nach einer Betriebsprüfung im Januar/Februar 1966 lehnte es bei den endgültigen Veranlagungen für 1961 und 1962 und den erstmaligen Veranlagungen 1963 und 1964 ab, den Gewinn und die Erträge aus der Veräußerung der Eigentumswohnungen abzuziehen, da bei der Stpfl. - entgegen dem Erlaß des Niedersächsischen Finanzministers vom 27. Januar 1965 - die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes gegenüber der Errichtung und Veräußerung von Eigentumswohnungen nur von untergeordneter Bedeutung gewesen sei.

Die Stpfl. meint - unter Berufung auf das Urteil des FG Nürnberg vom 20. Mai 1965 (EFG 1965, 443) und die Ausführungen von Hofbauer (Deutsches Steuerrecht 1964, 10; 1965 67) und Thiele (Neue Wirtschafts-Briefe Fach 5, 590 ff.) - zur Ermittlung des Gewerbeertrages sei der Gewinn nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG um die Veräusserungsgewinne zu kürzen, auch wenn neben der Errichtung und Veräußerung von Eigentumswohnungen kein eigener Grundbesitz verwaltet und genutzt werde. Nur diese Auslegung entspreche dem Wortlaut und dem Sinn der Vorschrift. Das FA verstoße auch gegen Treu und Glauben, wenn es ihr nach der Betriebsprüfung im Jahre 1966 den Abzug nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG versage; denn sie habe in ihren Gewerbesteuererklärungen für 1961 und 1962 die Erträge aus der Veräußerung der Eigentumswohnungen deutlich abgezogen. Das FA hätte sie deshalb gemäß den Grundsätzen des Urteils des Senats VI 122/64 vom 1. April 1966 (BFH 85, 437, BStBl III 1966, 519) bei den vorläufigen Veranlagungen im Januar 1964 darauf hinweisen müssen, daß gegen die Kürzungen Bedenken bestünden. Wenn es, wie hier, um Steuervergünstigungen gehe, die auf Antrag gewährt werden, obliege dem FA eine besondere Sorgfaltspflicht. Sie habe angenommen, das FA habe die Veranlagungen nur wegen der streitigen Gewinnverteilung vorläufig gemacht. Im Vertrauen auf das Verhalten des FA habe sie die Gewerbesteuer nicht in die Preiskalkulation der Eigentumswohnungen einbezogen.

Das FG gab der Klage der Stpfl. statt; sein Urteil ist in EFG 1967, 94 veröffentlicht. Es führte aus, die Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG seien erfüllt. Die Auslegung dieser Vorschrift im Erlaß des Niedersächsischen Finanzministers, der mit Zustimmung des BdF für alle Länder gleichmäßig ergangen sei (sogenannter koordinierter Ländererlaß), widerspreche dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes und dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Worte "daneben" und "neben" in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bedeuteten nicht, daß die Eigentumswohnungen nur "nebenbei" oder "nebenher" errichtet und veräußert werden dürften. Der Gesetzgeber habe vielmehr die Tätigkeit der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes gleich- und nebengeordnet. Mit dieser Vorschrift verfolge der Gesetzgeber verschiedene, aber gleichwertige und selbständige Zwecke. Hätte er die Begünstigung bei der Errichtung und Veräußerung von Eigentumswohnungen einschränken wollen, so hätte er dies im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gebracht. Nähme man an, daß die Erträge aus der Nutzung eigenen Grundbesitzes höher sein müßten als die Erträge aus der Veräußerung der Eigentumswohnungen, so würde z. B. bei gleichen Veräußerungserträgen ein großes Grundstücksunternehmen mit erheblichen Nutzungserträgen die Begünstigung erhalten, während ein kleines Unternehmen mit geringen Nutzungserträgen auf die Vergünstigung der Veräusserungsgewinne und der Nutzungserträge verzichten müßte.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision, mit der das FA unrichtige Anwendung von Bundesrecht rügt, ist begründet.

Nach dem Grundsatzurteil des Senats VI 294/65 vom 7. April 1967 (BFH 89, 130) können Unternehmen den auf die Veräußerung von Eigentumswohnungen entfallenden Teil des Gewerbeertrags gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961/1962 vom Gewinn und den Hinzurechnungen im Sinne des § 8 GewStG nur abziehen, wenn die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes die Haupttätigkeit des Unternehmens bildet und die Errichtung und Veräußerung von Eigentumswohnungen daneben von nur untergeordneter Bedeutung ist. Nach der Entwicklungsgeschichte der Vorschrift und der Systematik des GewStG entspricht diese Auslegung - entgegen der Auffassung des FG - sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Es entspricht mehr dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, die Vorschrift in diesem Sinne auszulegen, als wenn man mit dem FG die Vergünstigung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG auch Unternehmen gewährt, die die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes gleichgeordnet neben dem Bau und der Veräußerung der Eigentumswohnungen betreiben; denn es gibt keinen wirtschaftlich überzeugenden Grund, solche Unternehmen gewerbesteuerlich besser zu stellen als andere Bauunternehmen, die den Wohnungsbau ebenso fördern. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961/1962 kann mit dem Gleichheitssatz nur in Einklang gebracht werden, wenn die auf die Veräußerung von Eigentumswohnungen entfallende Steuervergünstigung gegenüber der sonstigen Tätigkeit wirtschaftlich von nur untergeordneter Bedeutung ist.

Da das FG bei der Auslegung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961/1962 von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Haupttätigkeit der Stpfl. war in den Streitjahren 1961 bis 1964 nicht die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes, sondern die Errichtung und Veräußerung von Eigentumswohnungen. Als eigenen Grundbesitz verwaltete und nutzte sie nur die Hausmeisterwohnung und das Grundstück, auf dem sie 11 Garagen zur späteren Vermietung errichtet hatte. Hinsichtlich der übrigen Grundstücke lag keine "Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes" im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG vor, da die Stpfl. diese Grundstücke nur angeschafft hatte, um sie nach der Bebauung mit einem Hotel und mit Eigentumswohnungen wieder zu verkaufen (Urteil des RFH I 51/42 vom 30. Juni 1942, RStBl 1942, 988; Lenski-Steinberg, Kommentar zum Gerwerbesteuergesetz, 1. - 2. Auflage, § 9 Ziff. 1 Anm. 16 Abs. 5). Soweit auf den Grundstücken Eigentumswohnungen errichtet werden sollten, wurde hierdurch nur eine andere, in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG 1961/1962 gesondert aufgeführte Tätigkeit, nämlich der Bau und die Veräußerung der Eigentumswohnungen, vorbereitet. Die Stpfl. hatte zwar die Absicht, Grundbesitz im größeren Umfang zur eigenen Nutzung zu erwerben; diese Absicht hat sie jedoch in den Streitjahren 1961 bis 1964 nicht verwirklicht.

Das FA hat, als es die Gewerbesteuermeßbeträge im Jahr 1966 wie geschehen endgültig veranlagte, auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Wie der Senat in den Urteilen VI 124/60 U vom 12. Mai 1961 (BFH 73, 305, BStBl III 1961, 377) und VI 122/64 (a. a. O.) ausgeführt hat, kann das FA die für die Besteuerung wesentlichen Vorgänge bei der endgültigen Veranlagung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht anders würdigen als bei der früheren vorläufigen Veranlagung. Ein Steuerpflichtiger kann sich gegenüber dem endgültigen Steuerbescheid nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen mit der Begründung, er habe auf die Richtigkeit der vorläufigen Veranlagung vertraut. Der Steuerpflichtige muß eben bei vorläufigen Bescheiden immer mit einer änderung rechnen. Nur in Ausnahmefällen kann das FA gemäß den Grundsätzen des Urteils VI 122/64 (a. a. O.) an seine frühere Beurteilung gebunden sein, vor allem, wenn es klar zu erkennen gegeben hat, daß der Steuerpflichtige mit einer Nachforderung nicht mehr zu rechnen brauche, oder wenn es ihm eine Zusage gegeben hat, die der Steuerpflichtige zur Grundlage seiner Disposition gemacht hat. Solche besonderen Umstände liegen im Streitfall nicht vor. Das FA ist nach Treu und Glauben auch bei antragsgebundenen Steuervergünstigungen nicht verpflichtet, die Stpfl. darauf hinzuweisen, daß gegen die Kürzung Bedenken bestehen. Unerheblich ist, daß die Stpfl. glaubte, das FA habe die Veranlagungen nur wegen der Gewinnbeteiligung vorläufig gemacht. Wollte die Stpfl. die Ungewißheit beseitigen, so hätte sie das FA um eine Auskunft über den Abzug nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bitten oder gegebenenfalls durch Klage eine endgültige Veranlagung erzwingen können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412544

BStBl III 1967, 616

BFHE 1967, 215

BFHE 89, 215

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