Leitsatz (amtlich)

Die Kosten eines Strafprozesses sind grundsätzlich auch dann keine außergewöhnliche Belastung, wenn der Steuerpflichtige sie für seinen verurteilten Sohn gezahlt hat. Eine andere Beurteilung kann im Einzelfall für die Erstattung von Anwaltskosten eines Nebenklägers durch den Vater des Verurteilten geboten sein.

 

Normenkette

EStG § 33

 

Tatbestand

Der 1947 geborene Sohn des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) hatte 1967 mit dem von ihm gelenkten PKW seines Vaters einen Verkehrsunfall. Neben dem Kläger befanden sich dessen erste Ehefrau und eine mit der Familie des Klägers befreundete Frau W. im Wagen. Der Sohn hatte die Fahrt auf Bitten des Klägers übernommen, der sich nicht verkehrstüchtig fühlte. Die Frau des Klägers und Frau W starben an der Unfallstelle, der Kläger erlitt Verletzungen. Wegen dieses Unfalls verurteilte das Jugendschöffengericht den Sohn des Klägers wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit einer Übertretung nach § 1 der Straßenverkehrsordnung, § 21 des Straßenverkehrsgesetzes an Stelle einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von zwei Monaten zu einer Geldstrafe von 200 DM und legte ihm die Kosten des Verfahrens auf. Der Kläger zahlte im Streitjahr für seinen Sohn 146 DM an Gerichtskosten und 1 368 DM an Rechtsanwalt X, der die als Nebenkläger aufgetretenen Erben nach der verstorbenen Frau W vertreten hatte. Den Gesamtbetrag von 1 514 DM machte der Kläger in seinem Lohnsteuer-Jahresausgleich 1969 als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) entsprach diesem Antrag nicht. Auch der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.

Das FG gab dagegen der Klage mit folgender Begründung statt: Die streitigen Aufwendungen seien für den Kläger zwangsläufig; denn er habe sich ihnen aus sittlichen Gründen nicht entziehen können. Der Sohn habe sich noch in der Berufsausbildung befunden, habe kein eigenes Einkommen gehabt und sei vom Kläger unterhalten worden. Er habe seinen Sohn auch zu der Unfallfahrt veranlaßt. Wenn der Kläger wegen des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen seiner Familie und Frau W die Anwaltskosten der Nebenkläger für seinen Sohn bezahlt habe, so sei er damit einer Anstandspflicht nachgekommen, die wegen des tragischen Ereignisses den Charakter einer sittlichen Verpflichtung im Sinne von § 33 EStG (§ 25 LStDV) habe. Der BFH habe zwar einer Geldstrafe - und gleiches müsse für die Kosten eines Strafverfahrens gelten - die steuerliche Abzugsfähigkeit mit der Begründung versagt, daß auch eine nur teilweise Verlagerung der Kosten auf die Allgemeinheit aus dem Gedanken der Rechtseinheit heraus nicht vertretbar erscheine. Dieser Gedanke habe aber hier wegen der höchstpersönlichen Natur der Strafe keine Geltung. Der Kläger habe die Leistungen in seiner Person und daher ohne den Makel einer Strafe oder ihrer gesetzlichen Nebenfolge erbracht. Die außergewöhnliche Belastung sei auch nicht deshalb zu verneinen, weil der Kläger für seinen Sohn im Streitjahr einen Kinderfreibetrag und einen Freibetrag für auswärtige Unterbringung erhalten habe; denn die streitigen Aufwendungen gingen über den üblichen Rahmen von Unterhaltsaufwendungen hinaus.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 33 EStG (§ 25 LStDV). Der Kläger sei zur Übernahme der Kosten für seinen Sohn sittlich nicht verpflichtet gewesen. Für die Beurteilung sei nicht die subjektive Ansicht des Klägers, sondern das Urteil der Mehrzahl der billig und gerecht denkenden Mitbürger entscheidend. Die Mittellosigkeit des Sohnes und die Tatsache, daß der Kläger diesen um die Fahrt gebeten habe, sei ebenfalls für die Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung belanglos. Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zum Teil begründet.

Dem FG ist insoweit zu folgen, als es die Übernahme der Rechtsanwaltskosten durch den Kläger als außergewöhnliche Belastung (§ 33 Abs. 1 EStG) gewürdigt hat. Den damit verbundenen Aufwendungen konnte sich der Kläger aus sittlichen Gründen nicht entziehen. Der Kläger hat den Erben der verstorbenen Frau W notwendige Auslagen im Sinne von § 464a Abs. 2 der Strafprozeßordnung (StPO) erstattet, die im Gegensatz zu den Auslagen der Staatskasse nicht zu den Kosten des Strafprozesses gehören (Kleinknecht, Kommentar zur Strafprozeßordnung, 1974, § 464a Anm. 2). Der Senat mißt diesem Umstand Bedeutung zu, weil er deutlich macht, daß der Kläger durch die Übernahme der Anwaltskosten nicht nur eine Schuld seines Sohnes erfüllte, die ihre Grundlage in einer Auslagenentscheidung nach § 464 StPO hatte, sondern gleichzeitig die Erben der Frau W von ihrer zivilrechtlichen Verbindlichkeit gegenüber dem Rechtsanwalt befreite. Dabei ist davon auszugehen, daß es wegen der finanziellen Verhältnisse des Verurteilten sonst zu einer Entlastung der Nebenkläger nicht gekommen wäre. Wie das FG auch zu Recht ausführt, ist der Kläger für die Unfallfahrt deshalb ursächlich gewesen, weil er seinen Sohn veranlaßt hatte, für ihn zu fahren. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen der Familie des Klägers und der Verunglückten und die Tatsache, daß diese am Unfalltag Gast im Hause des Klägers war, sind weitere Gründe, die nach dem Urteil der Mehrzahl billiger und gerecht denkender Menschen für die Übernahme der Anwaltskosten durch den Kläger sprechen, zumal die Nebenklage im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Schadensersatzansprüche der Erben gegenüber der Versicherung des Klägers gesehen werden muß.

Durch die Bezahlung der Prozeßkosten für seinen Sohn ist der Kläger dagegen nicht im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG außergewöhnlich belastet. Es gibt keine allgemeine Pflicht der Eltern, aus sittlichen Gründen für die Kosten der Strafprozesse ihrer verurteilten Kinder aufzukommen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um besonders tragische Fälle handelt oder die Auswirkungen der Tat schwerwiegend waren. Etwas anderes kann auch nicht deshalb gelten, weil der Kläger seinen Sohn zu der Unfallfahrt veranlaßt hat. Der Sohn des Klägers war zur Tatzeit fast zwanzig Jahre alt, so daß er selbst verantwortlich für die Folgen war, die er durch sein fahrlässiges Verhalten ausgelöst hat. Auch in diesem Fall ist daher nach der Rechtsprechung des BFH davon auszugehen, daß die Kosten eines Strafprozesses nur dann voll oder teilweise als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG berücksichtigt werden können, wenn der Steuerpflichtige entweder freigesprochen wurde (Urteil vom 15. November 1957 VI 279/56 U, BFHE 66, 267, BStBl III 1958,105) oder wenn bei mehreren selbständigen Einzelhandlungen ein Freispruch wegen einzelner Anklagepunkte erfolgte (Urteil vom 8. April 1964 VI 165/62 S, BFHE 79, 274, BStBl III 1964, 331).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71017

BStBl II 1974, 686

BFHE 1975, 12

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