Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Anträge des sachlichen Steuerrechts - z. B. der Antrag aus § 34 Abs. 5 EStG - können im Rechtsbeschwerdeverfahren weder neu gestellt noch zurückgezogen werden.

Der Senat tritt in der Auslegung des § 34 Abs. 5 EStG 1950 dem Urteil des IV. Senats IV 171/55 U vom 6. Dezember 1956 (BStBl 1957 Teil III S. 129) bei.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 5, § 34/4/2; AO § 288; FGO § 118; AO § 296; FGO § 126

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg.) hat im Jahre 1950 als Vertreter des Schatzmeisters der Christian Science Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 6.688 DM bezogen. Daneben war er als Praktiker und Lehrer der Christian Science tätig und erzielte als solcher Einkünfte in Höhe von 3.565 DM. Für die letzteren Einkünfte beantragt er die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Das Finanzamt lehnte dies zuletzt durch Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 1953 ab, weil die Nebentätigkeit des Bg. nicht als "wissenschaftliche" anzusehen sei.

Auf die Berufung des Bg. hob die Vorinstanz die Einspruchsentscheidung auf und unterwarf die Einkünfte aus der freiberuflichen Nebentätigkeit des Bg. in Höhe von 3.565 DM dem ermäßigten Steuersatz von 11,5 %. Der Begriff "Wissenschaft" sei insbesondere nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 73/52 U vom 30. April 1952 (Slg. Bd. 56 S. 425, Bundessteuerblatt - BStBl - 1952 III S. 165) nicht zu eng auszulegen.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts, mit der unrichtige Anwendung des § 34 Abs. 5 EStG 1950 gerügt wird. Die Christian Science sei nur dem Namen nach eine Wissenschaft, in Wirklichkeit jedoch eine religiöse Sekte. Die Einkünfte des Bg. aus seiner Tätigkeit als Praktiker und Lehrer der Christian Science seien deshalb nicht als solche aus wissenschaftlicher Tätigkeit zu werten.

 

Entscheidungsgründe

Im Rechtsbeschwerdeverfahren zog der Bg. mit Schreiben vom 26. April 1957 seinen im Veranlagungsverfahren beim Finanzamt gestellten Antrag auf Anwendung der Steuervergünstigungsvorschrift des § 34 Abs. 5 EStG zurück.

Diese Zurückziehung des Antrages nach § 34 Abs. 5 EStG muß unbeachtet bleiben. Aus der Gestaltung des Rechtsbeschwerdeverfahrens ergibt sich, daß Anträge des sachlichen Steuerrechtes ebenso wie neues tatsächliches Vorbringen nur bis zur Beendigung des Verfahrens vor dem Finanzgericht, also in der Tatsacheninstanz, vorgebracht werden können (§§ 288, 296 der Reichsabgabenordnung - AO -). Auch § 94 Abs. 2 AO, der die Zurücknahme oder änderung eines Steuerbescheides trotz Einlegung von Einspruch oder Berufung für zulässig erklärt, verbietet sie von der Einlegung der Rb. an. An dem tatsächlichen Vorbringen sowohl wie an den gestellten Anträgen des sachlichen Steuerrechtes läßt sich seitens der Prozeßbeteiligten nach Beendigung der Tatsacheninstanz nichts mehr ändern. Im Rechtsbeschwerdeverfahren kann nur zur Erörterung stehen, ob die vom Finanzgericht aus dem ihm unterbreiteten Tatbestand gezogenen rechtlichen Schlüsse dem Gesetz entsprechen. Ebensowenig wie nach Beendigung der Finanzgerichtsinstanz noch Anträge des sachlichen Steuerrechtes gestellt werden können, können bereits gestellte Anträge noch vom Steuerpflichtigen zurückgezogen werden. Die Zurückziehung des Antrages nach § 34 Abs. 5 EStG entbindet deshalb den Senat nicht davon, in eine Prüfung einzutreten, ob dem Bg. die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 5 EStG mit Recht von der Vorinstanz zugestanden ist oder nicht. Diese Prüfung ergibt, daß die Rb. des Vorstehers des Finanzamts begründet ist.

Eine Steuerermäßigung gemäß § 34 Abs. 5 EStG, d. h. die Anwendung eines gesenkten Steuersatzes auf die aus der unbestrittenen freiberuflich ausgeübten Nebentätigkeit des Bg. fließenden Einkünfte kann hier nur Platz greifen, wenn es sich dabei um Einkünfte aus "wissenschaftlicher" Tätigkeit handelt.

Nun ist zwar der Begriff "wissenschaftliche Tätigkeit", wie das von der Vorinstanz angezogene Urteil des Bundesfinanzhofs IV 73/52 U vom 30. April 1952 (Slg. Bd. 56 S. 425, BStBl 1952 III S. 165) sowie das Urteil IV 104/52 U vom 13. November 1952 (Slg. Bd. 57 S. 83, BStBl 1953 III S. 33) erkennen lassen, nicht zu eng zu fassen. Jedenfalls beschränkt sich dieser Begriff nicht auf die an den Hochschulen gelehrten Disziplinen.

Jedoch muß es sich um eine Tätigkeit handeln, durch die eine schwierige Frage oder Aufgabe auf Grund wissenschaftlicher Kenntnisse oder Erkenntnisse nach wissenschaftlichen Grundsätzen gelöst wird.

Die vom Bg. ausgeübte Tätigkeit, die ihm die Einkünfte von 3.565 DM erbracht hat, war jedoch andersgeartet. Der Bg. ist Mitglied der Zweigkirche der Christian Science. Die Christian Science ist nicht eine "Wissenschaft" im landläufigen Sinne dieses Wortes, sondern eine von Mary Baker-Eddy auf Grund persönlicher Erfahrungen gegründete Religion, die es sich als Ziel gesetzt hat, das ursprüngliche Christentum und sein verloren gegangenes Element des Heilens wieder einzuführen. Wie das beschwerdeführende Finanzamt mit Recht hervorhebt, handelt es sich also um die Lehre einer Sekte, mit der sich der Bg. beschäftigt hat. Bei der Abhaltung von Lehrkursen war es darum zu tun, die Lehren der Mutterkirche der Christian Science den Hörern zu vermitteln und diese Lehre auszubreiten. Daneben wurden vom Bg. im Sinne der Lehre der Christian Science an den bei ihm Hilfe Suchenden Heilungen mit geistlichen bzw. religiösen Mitteln ausgeübt.

Die von ihm erzielten Einkünfte sind ihm für die praktische Verwertung einer auf der Grundlage der Christian Science erworbenen Glaubenserkenntnis zugeflossen.

Ebensowenig wie die von einem im Arbeitsverhältnis stehenden Arzt aus der Ausübung einer neben seinem Lohnverhältnis betriebenen Praxis erzielten Einkünfte der Behandlung nach § 34 Abs. 5 EStG zugänglich sind, ist dies auch hier bei den Einkünften des Bg. aus seiner Tätigkeit als "Praktiker" und Lehrer der Christian Science der Fall.

Es handelt sich um die praktische Auswertung von Kenntnissen und Erkenntnissen, die ihrerseits wissenschaftlich fundiert sein mögen. Eine solche praktische Ausübung stellt aber keine wissenschaftliche Tätigkeit selbst im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG dar (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 171/55 U vom 6. Dezember 1956, BStBl 1957 III S. 129).

Somit ist für die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 5 EStG kein Raum, so daß an sich die angefochtenen Entscheidung deshalb aufzuheben und die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 1953 als unbegründet zurückzuweisen wäre.

Dennoch kann diese Entscheidung jetzt nicht ergehen. Der Bg. ist verheiratet. Durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 ist inzwischen der § 26 EStG 1951 für nichtig erklärt worden. Da § 26 EStG 1951 bereits für das hier im Streit befangene Jahr 1950 in gleicher Form bestand, liegt nahe, daß auch § 26 EStG 1950 nicht wirksam ist. Die durch die Nichtigkeit des § 26 EStG entstandene Lücke im EStG muß durch einen Akt des Gesetzgebers ausgefüllt werden. Der Senat hält es nicht für vertretbar, durch eine endgültige Entscheidung in der Sache die Rechtskraft der streitigen Veranlagung von 1950 herbeizuführen, weil dadurch möglicherweise der Bg. steuerlicher Erleichterungen aus der zu erwartenden gesetzlichen Neuregelung der Ehegattenbesteuerung verlustig gehen könnte.

Es werden deshalb die angefochtene Entscheidung und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts aufgehoben und die Sache an das Finanzamt zurückverwiesen. Das Finanzamt hat nunmehr die endgültige Entscheidung in der Sache zurückzustellen, bis die durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts entstandene Ungewißheit in der einkommensteuerlichen Behandlung der Ehegatten beseitigt ist. Sodann hat es unter Beachtung der oben dargelegten Rechtsgrundsätze und der für die Ehegattenbesteuerung vom Gesetzgeber zu treffenden Regelung die Veranlagung vorzunehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408760

BStBl III 1957, 227

BFHE 1957, 604

BFHE 64, 604

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