Leitsatz

Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er der Festsetzung der Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer für die private Nutzung eines Teils eines Gebäudes, das der Steuerpflichtige in vollem Umfang seinem Unternehmen zugeordnet hat, auf einen Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes, der sich nach dem gemäß Artikel 20 dieser Richtlinie vorgesehenen Zeitraum für die Berichtigung der Vorsteuerabzüge bestimmt, nicht entgegensteht.

Diese Besteuerungsgrundlage muss die Kosten des Erwerbs des Grundstücks, auf dem das Gebäude errichtet ist, enthalten, sofern dieser Erwerb der Mehrwertsteuer unterworfen war und der Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug erhalten hat.

 

Problematik

Eine Hausgemeinschaft errichtete 2003 ein Gebäude und ordnete es in vollem Umfang dem Unternehmen zu. Das Gebäude enthält die privat genutzten Wohnräume der beiden Gemeinschafter sowie die an einen der Gemeinschafter (steuerpflichtig) vermieteten Räume einer Steuerkanzlei. Der Anteil der vermieteten Räume beträgt 20,33 % des Gebäudes.

Die Hausgemeinschaft machte die gesamten Vorsteuerbeträge aus der Gebäudeerrichtung geltend. Für die private Nutzung setzte sie als Besteuerungsgrundlage monatlich jeweils 1/12 von 2 % der auf den privat genutzten Teil (79,67 %) entfallenden Herstellungskosten an (unter Berufung auf die Absetzung für die Abnutzung eines Gebäudes nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a EStG).

Das Finanzamt ging gemäß dem BMF-Schreiben v. 13.4.2004[1] davon aus, dass für die Besteuerungsgrundlage auf den in § 15a UStG vorgesehenen Zeitraum für die Berichtigung der Vorsteuerabzüge von zehn Jahren (Vorsteuerberichtigung) abzustellen sei (monatlich 1/12 von 10 % der insoweit entstandenen Herstellungskosten).

Im Klageverfahren legte das Finanzgericht München die Sache dem EuGH zur Auslegung des nicht definierten Begriffs "Betrag der Ausgaben" in Art. 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie vor[2]. Der EuGH erklärte mit dem vorliegenden Urteil eine solche Auslegung des Begriffs der Ausgaben (wie im BMF-Schreiben) mit der Zielsetzung des Art. 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (bzw. des § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG) für vereinbar.

 

Konsequenzen für die Praxis

Seit die EuGH-Rechtsprechung zunächst bei einem gemischt unternehmerisch/privat genutzten Gegenstands die volle Zuordnung zum Unternehmensvermögen ("Armbrecht"[3]) ermöglicht und anschließend die Steuerpflicht der privaten Wohn-Nutzung eines Unternehmensgebäudes ("Seeling"[4]) vorgegeben hatte, ergaben sich trotz der Besteuerung der privaten Nutzung von Wohnräumen Umsatzsteuervorteile. Einerseits ergab sich ein Finanzierungsvorteil durch den Sofortabzug der vollen Vorsteuerbeträge bei jährlich geringer Nutzungsbesteuerung von nur 2 % über 50 Jahre, darüber hinaus konnte nach Ablauf des Vorsteuerberichtigungszeitraums von 10 Jahren gem. § 15a UStG das Gebäude z. B. steuerfrei veräußert oder dem Unternehmensvermögen entnommen werden. Damit entfiel die Nutzungsbesteuerung, ohne dass sich eine Vorsteuerberichtigung ergab.

Der EuGH bestätigt ausdrücklich, dass die deutsche Lösung dazu dient, den von der 6. EG-Richtlinie bezweckten Zusammenhang von Vorsteuerabzug und Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen. Der o. g. Liquidationsvorteil verringert sich durch die Nutzungsbesteuerung von 10 % über 10 Jahre, und der unversteuerte Endverbrauch bei steuerfreier Weiterveräußerung entfällt. Die ab 1.7.2004 anzuwendende Neuregelung des deutschen Gesetzgebers in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 UStG als Reaktion auf das “Seeling-Urteil” ist jetzt gemeinschaftsrechtlich abgesegnet.

Sofern sich ein Unternehmer bei einem vor dem 1.7.2004 angeschafften und zugeordneten Gebäude "für einen Zeitraum vor dem 1.7.2004" auf die Steuerpflicht der privaten Nutzung beruft (gem. BFH-Urteil v. 24.7.2003[5] zum Fall "Seeling" gegenüber der bisherigen deutschen Praxis, dass die private Gebäudenutzung steuerfrei gem. § 4 Nr. 12 UStG sei), wendet die Verwaltung gem. Rz. 4 des BMF-Schreibens die neuen Grundsätze bereits an (so im Ausgangsfall des FG München und im Revisionsfall des Niedersächsischen FG[6] vor dem BFH[7]). Fragen der Rückwirkung wurden bisher nicht erörtert[8]. Dieses Anwendungsproblem kann sich m. E. aber nur noch stellen, wenn die Steuerfestsetzung, für die der Unternehmer erstmalig die Versteuerung der Privatnutzung eines solchen Gebäudes erklärt hat, noch nicht bestandskräftig ist.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 14.09.2006, C-72/05

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