Leitsatz

Bei der Anfechtung eines Beschlusses über eine Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahme, die der klagende Wohnungseigentümer als optische Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums (hier: Farbwahl des Fassadenanstrichs) ansieht, können die auf den Kläger entfallenden Kosten der Maßnahme jedenfalls als Hilfsmittel für die Schätzung der klägerischen Beschwer dienen; wird nach dem Vortrag des Klägers das gesamte Gebäude optisch erheblich verändert, ist im Regelfall zu dem Kostenanteil ein Wert von etwa 1.000 EUR hinzuzurechnen, der dem ideellen Interesse an der Gebäudegestaltung Rechnung trägt.

 

Normenkette

WEG § 21 Abs. 5 Nr. 2, § 22 Abs. 2, § 46 Abs. 1; ZPO § 511

 

Das Problem

  1. Die Wohnungseigentümer beschließen, die nach außen sichtbaren Bestandteile der Fassade der Wohnungseigentumsanlage, die bislang grün gestrichen waren, dunkelgrau zu streichen. Später wird dieser Beschluss durch einen Zweitbeschluss bestätigt. Gegen diesen Zweitbeschluss wendet sich der Wohnungseigentümer K "bezüglich des Sockelanstrichs". Das Amtsgericht weist die Klage ab.
  2. Das Landgericht verwirft die Berufung als unzulässig. Das Landgericht meint, der Wohnungseigentümer K habe nicht glaubhaft gemacht, dass der Wert des Beschwerdegegenstands 600 EUR übersteige. Auf die Kosten eines Neuanstrichs komme es nicht an, weil dieser nur für eine Rückbauverpflichtung maßgeblich sei. Es liege nahe, auf die Wertminderung des Gebäudes abzustellen; hierzu habe K aber nicht ausreichend vorgetragen, und dass eine unliebsame Farbwahl eine Wertminderung von mehr als 600 EUR bedinge, sei nicht erkennbar.
  3. Mit der Rechtsbeschwerde will K es weiterhin erreichen, dass der Beschluss im beantragten Umfang für ungültig erklärt wird. Mit Erfolg!
 

Die Entscheidung

  1. Dem Landgericht sei bei der Anwendung von § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ein verallgemeinerungsfähiger Verfahrensfehler unterlaufen. Denn das Landgericht gehe davon aus, der klagende Wohnungseigentümer habe die Rechtsmittelbeschwer darlegen und gemäß § 294 ZPO glaubhaft machen müssen. Daran sei richtig, dass der Berufungsführer den Wert der Beschwer gemäß § 511 Abs. 3 ZPO glaubhaft machen müsse. Anders als im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sei jedoch ein auf den Wert des Beschwerdegegenstands bezogenes zwingendes, fristgebundenes Begründungserfordernis nicht vorgesehen (Hinweis auf § 520 Abs. 4 Nr. 1 ZPO). Daher dürfe das Berufungsgericht die Berufung nicht allein deshalb als unzulässig verwerfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstands nicht gemäß § 511 Abs. 3 ZPO glaubhaft gemacht worden sei. Vielmehr habe es den Wert bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung aufgrund eigener Lebenserfahrung und Sachkenntnis nach freiem Ermessen zu schätzen. Als Tatsachengericht müsse es dabei den Akteninhalt von Amts wegen (Hinweis auf § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO) auswerten, etwa in der Akte enthaltene Lichtbilder. Dass das Landgericht das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und durch eine eigene Schätzung unter Auswertung des Akteninhalts ausgeübt habe, lasse sich der Entscheidung nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen.
  2. Die Sache sei auch nicht zur Entscheidung reif. Zwar könne der Bundesgerichtshof den Wert der Beschwer schätzen, wenn das Beschwerdegericht dies unterlassen habe. Die Feststellungen des Landgerichts reichten aber nicht aus, um diese Schätzung zu ermöglichen (Hinweis auf § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 Abs. 1 ZPO). Der klagende Wohnungseigentümer wende sich vornehmlich gegen eine unliebsame Farbwahl des Fassadenanstrichs. Bei einer solchen Anfechtung eines Beschlusses über eine Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahme, die der Kläger als optische Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums ansehe, könnten die auf den klagenden Wohnungseigentümer entfallenden Kosten der Maßnahme jedenfalls als Hilfsmittel für die Schätzung der klägerischen Beschwer dienen. Werde nach dem Vortrag des klagenden Wohnungseigentümers das gesamte Gebäude optisch erheblich verändert, sei im Regelfall zu dem Kostenanteil ein Wert von etwa 1.000 EUR hinzuzurechnen, der dem ideellen Interesse an der Gebäudegestaltung Rechnung trage. Denn der Senat habe bereits darauf hingewiesen, dass bei Klagen, mit denen optische Veränderungen von Wohnungseigentumsanlagen rückgängig gemacht werden sollen, eine auf Tatsachen basierende Schätzung des klägerischen Interesses erfolgen müsse, und habe dabei auf die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts Bezug genommen. Dieses habe zutreffend darauf hingewiesen, dass es zu eng sei, auf den möglichen Wertverlust eines Wohnungseigentums abzustellen, wenn es um eine nachteilige Veränderung des optischen Gesamteindrucks der Wohnungseigentumsanlage gehe – ein solcher Wertverlust lasse sich nämlich ziffernmäßig oft nicht begründen.
  3. Im Fall wende sich der klagende Wohnungseigentümer gegen einen Beschluss über die Instandsetzung bzw. Modernisierung des gemeinschaftlichen Eigentums, die von allen Wohnungseigentümern gemeinschaftlich finanziert werden müsse....

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