Leitsatz

  • Mehrheitsbeschluss über die Gestattung einer baulichen Veränderung des Gemeinschaftseigentums (hier: Dachterrassen-Errichtung) ist nicht nichtig, sondern bei nicht bestehender Duldungspflicht nur anfechtbar (das BayObLG folgt hier im Ergebnis der neuen Meinung des BGH vom 20.09.2000)
  • Unrichtige Abstimmungswertungen des Versammlungsleiters nicht entscheidend
  • Wiedereinsetzung (bei unverschuldeter Verhinderung der Beschlussanfechtungsfrist) wegen unrichtiger Auskünfte des Verwalters möglich
  • Die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen zu einer bestätigten Wiedereinsetzung können vom Rechtsbeschwerdesenat nur auf Rechtsfehler nachgeprüft werden
 

Normenkette

§ 14 Nr. 1 WEG, § 22 Abs. 1 WEG, § 23 WEG, § 22 Abs. 2 FGG

 

Kommentar

1. Ein Dachgeschoss-Wohnungseigentümer wollte - vergleichbar zur Nachbarwohnung - ebenfalls eine Dachterrasse vor seiner Wohnung errichten. Trotz Zustimmungsverweigerung des benachbarten Eigentümers wurde die bauliche Veränderungsmaßnahme mehrheitlich gestattet. Der Verwalter/Versammlungsleiter hatte allerdings erklärt, dass ein solcher Beschluss "allstimmig" gefasst werden müsste. Der über Wiedereinsetzungsantrag beschlussanfechtende Nachbareigentümer ging zunächst davon aus, dass kein gültiger Beschluss zustande gekommen sei, weshalb er ursprünglich auch keine Frist zur Anfechtung habe wahren müssen; Klarstellung sei erst in späterer Eigentümerversammlung erfolgt.

Wiedereinsetzung und Beschlussanfechtung wurden in allen 3 Instanzen als begründet bestätigt.

2. Äußerungen eines Verwalters/Versammlungsleiters haben keine ausschlaggebende rechtliche Bedeutung, selbst wenn sie in der Versammlungsniederschrift aufgenommen worden wären (vgl. BayObLGZ 1984, 213/216; WM 1999, 125; 1998, 684; 1997, 344). Dies gilt erst recht aus Gründen der Rechtssicherheit, wenn durch Beweiserhebung im späteren gerichtlichen Verfahren nachgewiesen wird, dass der Verwalter in der Versammlung mündlich erklärt hat, wenn nur einer der Eigentümer dagegen sei, dann könne der Antragsgegner die Dachterrasse nicht errichten, der Beschluss sei dann "nichtig".

3. Allerdings war der gefasste Mehrheitsbeschluss zur Errichtung der Dachterrasse nicht nichtig (so die bereits verfestigte frühere Rechtsprechung des Senats sowie Weitnauer/Lüke, § 22 Rn. 4 und § 23 Rn. 24 u. 26). Auch ein etwaiger Verstoß gegen § 23 Abs. 2 WEG (Gegenstandsbeschrieb der Beschlussfassung in der Einladung) führt nur zur Anfechtbarkeit (h.M.). Im übrigen hat die Entscheidung des BGH vom 20.09.2000 (NJW 2000, 3500 = ZMR 2000, 771) zwar die Nichtigkeit von Beschlüssen bereits aus der fehlenden Beschlusskompetenz der Eigentümerversammlung abgeleitet, nimmt jedoch Beschlüsse über bauliche Veränderungen nach § 22 Abs. 1 WEG hiervon ausdrücklich aus. Danach schafft § 22 Abs. 1 WEG eine grundsätzliche Beschlusskompetenz der Eigentümer (vgl. auch Buck, WE 1998, 90/92; Wenzel, ZWE 2000, 2/5), weil bauliche Veränderungen zwar, wenn auch nicht nach § 21 Abs. 3 WEG mehrheitlich, so aber doch "beschlossen" werden können, der konkrete Regelungsgegenstand also einem Beschluss zugänglich ist. Die nach § 22 Abs. 1 WEG erforderliche Einstimmigkeit ist dagegen erst eine Frage des rechtlichen "Dürfens" (Buck, a.a.O.). Es ist deshalb auch nicht zusätzlich danach zu differenzieren, ob die vorgesehene Maßnahme noch einen begrifflichen Bezug zur Instandhaltung oder Instandsetzung hat oder den Charakter schlichter Umgestaltung des Gemeinschaftseigentums aufweist. Dies erscheint deshalb sachgerecht, weil der Begriff der baulichen Veränderung sämtliche Maßnahmen umfasst, die über die ordnungsgemäße Instandhaltung oder Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums in Abweichung vom Zustand bei Entstehung des Wohnungseigentums oder nach Vornahme früherer zulässiger baulicher Veränderungen hinausgehen. Ein begrifflicher Gegensatz zwischen Instandhaltung und Instandsetzung einerseits, baulicher Veränderung andererseits besteht demnach nicht; so ist es auch folgerichtig, von einer generellen Beschlusszuständigkeit der Eigentümerversammlung auszugehen.

4. Im vorliegenden Fall bedurfte jedoch diese Veränderung der Zustimmung sämtlicher Eigentümer, insbesondere auch der unmittelbar benachbarten Antragstellerin (vgl. § 14 Nr. 1 WEG). Gerade deren Sondereigentums-Wohnwert sei fühlbar beeinträchtigt. Nach der Verkehrsanschauung könne sich auch ein Eigentümer in entsprechender Lage bei Nutzung seiner Terrasse dadurch verständlicherweise beeinträchtigt fühlen (vgl. auch BGHZ 116, 392/396).

5. Wiedereinsetzung wurde im vorliegenden Fall auch zu Recht bewilligt. Der Senat war an die von der Vorinstanz rechtsfehlerfrei festgestellten, die Wiedereinsetzung rechtfertigenden Gründe gebunden. Unter Berücksichtigung der konkreten Sachlage konnte sich hier die Antragstellerseite auf "irrtümliche" Feststellungen des Versammlungsleiters verlassen (unverschuldeter Rechtsirrtum). Diese Problematik wird dann in den Gründen der Entscheidung weiter vertieft und belegt.

6. Auch außergerichtliche Kostenerstatt...

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