Leitsatz (amtlich)

›Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses kann auch dann gegeben sein, wenn der Vermieter die Räume nur für begrenzte Zeit nutzen will. Ob ihm in einem solchen Fall vernünftige, nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme der Räume zur Seite stehen, kann nur aufgrund einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.‹

 

Gründe

I. Der Kläger ist Eigentümer einer Wohnung, die er an die Beklagte vermietet hat. Er beabsichtigt, ein von ihm derzeit bewohntes, nach seinen Angaben durch Erdarbeiten auf einem Nachbargrundstück erheblich beschädigtes Haus abzureißen und durch einen Neubau mit mehreren Wohnungen zu ersetzen. In eine dieser Wohnungen will er dann einziehen. In der Zeit zwischen Abbruch des alten Hauses und Fertigstellung der neuen Wohnung, die er mit ca. 1 1/2 bis 2 Jahren veranschlagt, möchte er die an die Beklagte vermietete Wohnung selbst nutzen. Er hat deshalb das Mietverhältnis gekündigt. Die Beklagte bestreitet unter anderem den Eigenbedarf.

Das Amtsgericht hat die auf Räumung der Wohnung gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, Eigenbedarf könne grundsätzlich nur dann geltend gemacht werden, wenn er nicht nur vorübergehender Natur sei. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Räumungsbegehren weiter. Das Landgericht hat mit Beschluß vom 11.11.1992 folgende Fragen zum Rechtsentscheid vorgelegt:

1) Ist es als berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses im Sinne von § 564 b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 anzusehen, wenn der Vermieter die Räume von vornherein nur vorübergehend für sich als Wohnung benötigt?

2) Bejahendenfalls: Muß der von vornherein nur vorübergehende Eigenbedarf eine bestimmte zeitliche Mindestdauer der Nutzung überschreiten, damit er als berechtigtes Interesse im Sinne von § 564 b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB angesehen werden kann?

3) Bejahendenfalls: Ist eine solche zeitliche Mindestdauer nach den Umständen des Einzelfalls oder nach generellen Kriterien zu bestimmen?

4) Sofern die zeitliche Mindestdauer nach generellen Kriterien zu bestimmen ist: Besteht eine absolute zeitliche Untergrenze, die die vorgesehene Dauer der Nutzung in jedem Fall überschreiten muß? Welche Zeitspanne bildet gegebenfalls diese Untergrenze?

Zur Begründung hat es ausgeführt, sofern ein von vornherein nur vorübergehender Eigenbedarf für eine Kündigung des Mietverhältnisses nach § 564 b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB generell nicht ausreiche, liege eine wirksame Kündigung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses nicht vor. Zu dem selben Ergebnis komme man, wenn die vom Kläger angegebene Bauzeit für die geplante Wohnanlage eine etwa erforderliche zeitliche Mindestdauer des Eigenbedarfs unterschreite. In beiden Fällen müsse die Berufung erfolglos bleiben, ohne daß es auf eine Beweisaufnahme ankomme. Entspreche hingegen der vom Kläger geltend gemachte vorübergehende Eigenbedarf den Anforderungen des § 564 b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB, so müsse die Kündigung, wenn die Beweisaufnahme die Richtigkeit der prognostizierten Bauzeit ergebe, als wirksam angesehen werden, so daß die Berufung zum Erfolg führe. Die Kammer neige der Auffassung zu, daß eine Kündigung des Mietverhältnisses nach § 564 b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht zulässig sei, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung von vornherein nur vorübergehend benötige. Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn die vorübergehende Nutzung sich über einen nach den Umständen des Einzelfalles erheblichen Zeitraum, in der Regel mehrere Jahre, erstrecke.

II. l. Die Vorlage, über die das BayObLG zu entscheiden hat (BayObLGZ 1991, 348, 350 und ständige Rechtsprechung des Senats), ist statthaft (§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO, vgl. BayObLGZ 1989, 319, 321 und BayObLGZ 1992, 100, 102). Die übrigen Voraussetzungen für den Erlaß eines Rechtsentscheids sind nur zum Teil gegeben.

a) Die Fragen, ob der Wunsch des Vermieters, den Wohnraum vorübergehend für sich zu nutzen, als berechtigtes Interesse an der Beendigung eines Mietverhältnisses anzusehen ist und nach welchen Kriterien in einem solchen Fall die Grenzen des berechtigten Interesses festzulegen sind (Fragen 1 bis 3), können Gegenstand eines Rechtsentscheids sein (§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Da sie aus einer speziell für den Kündigungsschutz bei Wohnräumen geltenden Vorschrift zu beantworten sind, handelt es sich um Fragen, die den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum betreffen. Die Fragen sind auch für die Entscheidung des Landgerichts erheblich. Gegen die Auffassung des Landgerichts, von ihrer Beantwortung hänge die Wirksamkeit der von dem Kläger ausgesprochenen Kündigung und damit der Ausgang des Rechtsstreits ab, bestehen keine Bedenken. Unter Berücksichtigung der dem Senat gesetzten Grenzen der Überprüfung (vgl. BayObLGZ 1987, 36, 38) sind auch keine Gründe ersichtlich, aus denen der Rechtsstreit ohne Beantwortung der Fragen entscheidungsreif wäre. Die Frage...

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