Entscheidungsstichwort (Thema)

Testamentsauslegung

 

Leitsatz (redaktionell)

Sind in der Zeit zwischen der Testamentserrichtung und dem Erbfall tatsächliche Veränderungen eingetreten, die sich auf die im Testament getroffenen Verfügungen auswirken, so ist im Einzelfall durch Auslegung, gegebenfalls durch ergänzende Auslegung festzustellen, ob und inwieweit sie die Auslegung des im Testament erklärten Erblasserwillens beeinflussen können. Das gilt auch für nachträgliche Änderungen in dem bei Testamentserrichtung vorhandenen Vermögensbestand, wenn es für die Auslegung auf das Wertverhältnis der zugewendeten Gegenstände ankommt.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 2087

 

Verfahrensgang

LG Würzburg (Beschluss vom 26.01.1996; Aktenzeichen 3 T 2558/95)

AG Gemünden am Main (Beschluss vom 08.11.1995; Aktenzeichen VI 0193/95)

 

Tenor

I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluß des Landgerichts Würzburg vom 26. Januar 1996 aufgehoben.

II. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluß des Amtsgerichts Gemünden a. Main vom 8. November 1995 wird zurückgewiesen.

III. Der Beteiligte zu 2 hat die der Beteiligten zu 1 im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu erstatten.

IV. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 75.000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die im 84. Lebensjahr verstorbene Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Sie hatte eine Schwester und zwei Brüder. Deren Abkömmlinge sind die Beteiligten zu 1 bis 4. Die Beteiligten zu 5 und 6 sind die Kinder einer Halbschwester des verstorbenen Ehemanns der Erblasserin. Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus Bankguthaben und Wertpapieren im Wert von ca. 100 000 DM.

Die Erblasserin und ihr 6 Tage vor ihr verstorbener Ehemann hatten sich durch einen notariellen Erbvertrag vom 12.5.1948 gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. In einem gemeinschaftlichen Testament vom 18.7.1988, das von der Erblasserin handschriftlich geschrieben und von beiden Ehegatten unterzeichnet wurde, haben sie folgendes verfügt:

„Wir … bestimmen, daß nach unserem Ableben unser Anwesen mit Mobilar … an Frau Brigitte L… (Beteiligte zu 1) übergehen soll.

Unser Geld auf dem Konto … und Sparbuch bei der … geht nach Abzug aller Beerdigungskosten in vier gleiche Teile an

Frau Hilde St.(Schwester der Erblasserin und Mutter der Beteiligten zu 3 und 4),

Karl Tr. (Sohn eines Bruders der Erblasserin und Vater des Beteiligten zu 2),

Brigitte L. (Beteiligte zu 1, einziges Kind des anderen Bruders der Erblasserin),

Margarete H. (Halbschwester des Ehemanns der Erblasserin und Mutter der Beteiligten zu 5 und 6).”

Die im gemeinschaftlichen Testament Bedachten sind mit Ausnahme der Beteiligten zu 1 in der Zeit zwischen der Testamentserrichtung und dem Erbfall verstorben. Das im gemeinschaftlichen Testament genannte Hausgrundstück wurde von der Erblasserin und ihrem Ehemann mit notariellem Übergabevertrag vom 8.10.1991 einschließlich zweier Landwirtschaftsflächen an die Beteiligte zu 1 und deren Ehemann gegen Einräumung eines Leibgedings übertragen. Hierbei wurde der Wert des Grundbesitzes mit 149 118 DM angegeben.

Die Beteiligte zu 1 hat beim Nachlaßgericht einen Alleinerbschein beantragt. Ihren zunächst gestellten Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der die Beteiligten zu 1 und 2 je zu 1/4 und die Beteiligten zu 3 bis 6 je zu 1/8 als Miterben ausweisen sollte, hat sie zurückgenommen. Zur Begründung trug sie vor, die Zuwendung des Grundstücks sei als Erbeinsetzung zu werten, da das Vermögen der Erblasserin und ihres Ehemanns im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im wesentlichen aus dem Wohngrundstück bestanden habe. Bei den Geldzuwendungen handele es sich um Vermächtnisse.

Der Beteiligte zu 2 ist dem Erbscheinsantrag entgegengetreten. Er ist der Auffassung, die Ehegatten hätten die im Testament begünstigten Personen als Miterben zu gleichen Teilen eingesetzt, da ihnen nicht eine bestimmte Geldsumme, sondern ein Bruchteil des Geldvermögens zugewandt worden sei.

Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 8.11.1995 einen Erbschein angekündigt, der die Beteiligte zu 1 als Alleinerbin ausweisen soll. Hiergegen hat der Beteiligte zu 2 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat mit Beschluß vom 26.1.1996 den Vorbescheid des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1. Der Beteiligten zu 2 ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige weitere Beschwerde führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Beteiligte zu 1 sei nicht Alleinerbin der Erblasserin geworden. In dem gemeinschaftlichen Testament vom 18.7.1988 hätten die Ehegatten über das ihnen wesentlich erscheinende Vermögen verfügt. Die im Testament nicht erwähnten beiden landwirtschaftlichen Flurstücke von insgesamt 202 qm hätten sie als zum Wohnanwesen gehörig angesehen. Ihren gesamten als wertvoll angesehenen Grundbesitz hätten sie der Bete...

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