Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Sozialversicherungspflicht. Ausübung mehrerer geringfügiger Beschäftigungen. Zusammenrechnung. Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze. Beginn der Sozialversicherungspflicht mit Bekanntgabe des Bescheides der Einzugsstelle oder des Rentenversicherungsträgers. rückwirkender Eintritt der Versicherungspflicht auch bei grob fahrlässigem Verhalten der Arbeitgebers ausgeschlossen. keine Anwendung der Geringfügigkeits-Richtlinien

 

Orientierungssatz

1. Wird die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 durch Zusammenrechnung mehrerer geringfügiger Beschäftigungen gem § 8 Abs 2 S 1 SGB 4 überschritten und tritt infolge dessen Versicherungspflicht ein, beginnt diese gem § 8 Abs 2 S 3 SGB 4 erst mit dem Tag der Bekanntgabe des die Versicherungspflicht feststellenden Bescheids durch die Einzugsstelle oder einen Träger der Rentenversicherung gegenüber dem Arbeitgeber als Zahlungspflichtigen.

2. Eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass § 8 Abs 2 S 3 SGB 4 nur in den Fällen gelten soll, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber das Verfahren zur Feststellung der Versicherungspflicht bewirkt haben und dessen Anwendung bei schuldhaftem Verhalten des Arbeitgebers ausschließt, ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen.

3. Der rückwirkende Eintritt von Versicherungspflicht ist somit auch bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigen Verhalten des Arbeitgebers ausgeschlossen. Die davon abweichenden Anordnungen in den Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit für die versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen vom 24.8.2006 (Geringfügigkeits-Richtlinien, dort Nr B 5.3 Abs 1 S 3) sind mit der gesetzlichen Regelung in § 8 Abs 2 S 3 SGB 4 nicht vereinbar. Ihnen kommt lediglich der Status von nicht bindenden Verwaltungsvorschriften zu, die als solche keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die Einführung eines in § 8 Abs 2 S 3 SGB 4 nicht enthaltenen Ausschlusstatbestandes bieten.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 376,88 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob bei der Beigeladenen im Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis 30. Juni 2006 wegen zweier geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse Sozialversicherungspflicht begründet wurde.

Die Klägerin, Schneidermeisterin und Inhaberin eines Werkstattateliers, beschäftigte die Beigeladene vom 1. August 2005 bis 30. Juni 2006 mit einem monatlichen Entgelt von 400,00 EUR. Ab 1. Dezember 2005 war die Beigeladene außerdem bei der Änderungsschneiderei Firma G. beschäftigt, zunächst mit einem monatlichen Entgelt von 210,00 EUR und ab 1. Januar von 186,67 EUR. Auf Anfrage der Beklagten teilte die Klägerin mit, die Beigeladene sei in ihrem Unternehmen sieben Stunden in der Woche beschäftigt. Sie habe die Beigeladene nicht schriftlich nach weiteren Beschäftigungen befragt. Nach den schriftlichen Angaben der Beigeladenen werde eine weitere geringfügige entlohnte Beschäftigung ausgeübt, die Höhe des Entgeltes sei ihr jedoch nicht bekannt. Die Firma G. gab gegenüber der Beklagten an, sie habe die Beigeladene schriftlich nach weiteren Beschäftigungen befragt, die Beigeladene übe eine weitere geringfügige entlohnte Beschäftigung aus und in der Summe erhalte diese monatlich unter 400,00 EUR. Mit an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 16. November 2006 stellte die Beklagte fest, die Beigeladene sei aufgrund der bei ihr ausgeübten Beschäftigung ab 1. Dezember 2005, dem Beginn der Mehrfachbeschäftigung, sozialversicherungspflichtig. In der Summe werde von der Beigeladenen die Entgeltgrenze von 400,00 EUR monatlich überschritten. Werde bei der Zusammenrechnung mehrerer Beschäftigungen festgestellt, dass die Voraussetzungen einer geringfügigen Beschäftigung nicht mehr vorliegen würden, trete zwar Versicherungspflicht mit dem Tage der Bekanntgabe der Feststellung ein. Dies gelte allerdings nicht, wenn es der Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig versäumt habe, den Sachverhalt für die versicherungsrechtliche Beurteilung aufzuklären. Bei der Klägerin liege grobe Fahrlässigkeit vor. Nach deren Angaben habe diese die Beigeladene nicht nach weiteren geringfügigen Beschäftigungen befragt bzw. sei ihr bekannt gewesen, dass die Summe der Entgelte aus allen Beschäftigungen die Grenze von 400,00 EUR übersteigen würde. Im Widerspruchsverfahren führte die Klägerin aus, es werde mit Nichtwissen bestritten, dass sie die Beigeladene nicht hinsichtlich weiterer Beschäftigungsverhältnisse befragt habe und ihr bekannt gewesen sei, dass diese mehr als 400,00 EUR je Monate verdient habe. Sie habe die Beigeladene mehrfach darauf hingewiesen, dass diese nicht mehr als 400,00 EUR verdienen dürfe. Diese habe ihr mehrfach bestätigt, dass dies nicht der Fall sei. Es könn...

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