Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Dienstreise. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. betriebliches Interesse. vermeintliche Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Teilnahme an einem Segway-Parcours. Teambuilding-Maßnahme im Rahmen eines fachlichen Programmpunktes einer Tagung. kein Hinweis des Arbeitgebers auf Freiwilligkeit der Teilnahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der innere Zusammenhang zwischen der Teilnahme der Verletzten an einem Segway-Parcours als Team-Building-Maßnahme im Rahmen einer Tagung und ihrer versicherten Tätigkeit beim Unternehmen ist auch dann gegeben, wenn sie mit ihrer Teilnahme nicht eine objektiv geschuldete Handlung vornimmt, sondern einer vermeintlichen Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis nachgegangen ist und nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte - und angenommen hat - sie treffe eine solche Pflicht (vgl BSG vom 15.11.2016 - B 2 U 12/15 R = SozR 4-2700 § 2 Nr 37).

2. Solche besonderen Umstände liegen jedenfalls dann vor, wenn die Durchführung des Segway-Parcours als Team-Building-Maßnahme integraler Bestandteil eines fachlichen Programmpunktes der Tagung ist und nicht nur mittelbar dem Betriebsklima - quasi als positiver Nebeneffekt - dient, sondern unmittelbar betrieblichen Interessen/der Zielsetzung des Unternehmens.

3. Liegen besondere Umstände vor und weist das Unternehmen die Tagungsteilnehmer vor der Durchführung des Segway-Parcours nicht auf die Freiwilligkeit der Teilnahme hin, kann sich der Unfallversicherungsträger auch dann nicht auf Freiwilligkeit der Teilnahme am Segway-Parcours berufen, wenn die Teilnahme an der Tagung freiwillig war.

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 03.02.2020 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei dem Ereignis am 04.04.2017 um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) handelt.

Die 1985 geborene Klägerin war laut Anstellungsvertrag vom 17.04.2013 seit 01.07.2013 als Assistenz der Bereichsleitung und zum Zeitpunkt des Ereignisses vom 04.04.2017 als Service Request Managerin bei der F beschäftigt.

In der Zeit vom 04.04.2017 bis 05.04.2017 führte der Arbeitgeber der Klägerin eine 2-tägige Dienstveranstaltung (Klausurtagung/Kick-Off Bereich "Business Development", beginnend am 04.04.2017 um 8.30 Uhr bis 05.04.2017 um 16.00 Uhr im Romantikhotel H, P) durch, an der die Klägerin sowie ausschließlich Mitarbeiter des neu gegründeten Bereichs "Business Development" teilnahmen. Am 04.04.2017 nahm die Klägerin im Rahmen des Tagesordnungspunktes "Impulsvortrag in Cooperation mit S. E. T." (von 14.30 Uhr bis 17.30 Uhr) an einem Segway-Parcours teil. Laut Durchgangsarztbericht vom selben Tag stürzte die Klägerin mit dem Segway auf die linke Schulter und erlitt dabei eine Humeruskopffraktur. Ab 04.04.2017 war sie (bis voraussichtlich 18.04.2017) arbeitsunfähig erkrankt. In der Unfallanzeige vom 18.04.2017 wurde vermerkt, dass bei einer 2-tägigen Veranstaltung (vom 04.04. bis 05.04.2017) mit den Mitarbeitern des Bereichs "Business Development" am Nachmittag des 04.04.2017 ein Teambuilding-Event im Rahmen eines Segway-Parcours stattgefunden habe. Nach Einholung von Auskünften vom Arbeitgeber der Klägerin (Fragebogen "Betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung" vom 28.04.2017, unterzeichnet von Frau R (R), und Telefonvermerk vom 15.05.2017 über ein Telefonat mit dem Bereichsleiter der Klägerin, Herrn M (M), bewertete die Beklagte das Ereignis zunächst als versicherte Tätigkeit und übernahm die gesamten Behandlungskosten der Klägerin.

Am 11.12.2017 stellte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Antrag auf Anerkennung des Ereignisses vom 04.04.2017 als Arbeitsunfall und Gewährung von Verletztenrente. Nach Einholung eines 1. Rentengutachtens vom 05.06.2018 (F) und einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 13.07.2018 (C) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.10.2018 die Anerkennung des Ereignisses vom 04.04.2017 als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 SGB VII ab. Es bestehe kein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß §§ 26 ff. SGB VII. Die zum Unfall führende Handlung der Klägerin (Fahrt mit dem Segway) habe nicht der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Beschäftigung als Service Request Managerin gedient. Vielmehr habe es sich bei der Teilnahme am Segway-Parcours um eine Freizeitaktivität und damit um eine eigenwirtschaftliche und unversicherte Verrichtung im Rahmen einer Dienstreise gehandelt, die Klägerin habe damit objektiv weder eine Haupt- noch eine Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag erfüllt. Es habe auch kein besonderer Bezug zu dem Unternehmenszweck bestanden. Das Absolvieren des Segway-Parcours habe vielmehr erkennbar und abgrenzbar vom übrigen Programm der Unterhalt...

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