Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. unangemessene Unterkunftskosten. Anforderung an die Aufforderung zur Kostensenkung. Beginn und Ablauf des Übergangszeitraumes. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Auch wenn die bisherigen Bemühungen des Arbeitsuchenden nicht den Anforderungen an eine ernsthafte und intensive Wohnungssuche genügen, kann ihm eine Obliegenheitsverletzung bzw ein Ablauf der 6-Monats-Frist nach § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 nicht vorgehalten werden, wenn er bisher nicht hinreichend darüber aufgeklärt wurde, in welcher Weise und mit welcher Intensität er nach einer angemesseneren Unterkunft suchen muss und welche Nachweise er dafür zu erbringen hat.

2. Die Ausgestaltung der Obliegenheiten des Sozialrechts zeigen, dass dem Leistungsberechtigten eine Obliegenheitsverletzung mit nachteiligen Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch nur vorgeworfen werden kann, wenn er in Kenntnis der konkreten Verhaltensanforderungen gegen diese verstößt (vgl BSG vom 25.5.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R = BSGE 95, 8 = SozR 4-4300 § 140 Nr 1). Ein anderes Ergebnis wäre im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wegen der gravierenden Rechtsfolgen verfassungsrechtlich bedenklich.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.03.2008; Aktenzeichen B 11b AS 41/06 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 4. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin nach dem 30.06.2005 Leistungen für die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zustehen.

Die 1949 geborene Klägerin bewohnt gemeinsam mit ihrer 1987 geborenen Tochter eine Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche von 82,28 qm. Auf ihren Antrag vom 14.09.2004 gewährte die Beklagte diesen mit Bescheid vom 26.10.2004 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2005 in Höhe von 1.033,77 EUR unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 525,77 EUR. Zugrunde gelegt wurden dabei - neben Heizkosten (ohne Warmwasser) in Höhe von 29,82 EUR und Nebenkosten in Höhe von 97,15 EUR - eine monatliche Grundmiete in Höhe von 398,80 EUR. Der Bescheid enthielt dabei folgenden Hinweis: "Ihre monatlichen Mietkosten (Kaltmiete) sind mit 398,80 EUR unangemessen hoch. Angemessen ist ein Wert von 343,20 EUR Kaltmiete. Ich fordere Sie deshalb auf, ihre monatlichen Kosten bis spätestens 30.06.2005 auf den angemessenen Wert zu reduzieren. Andernfalls werden ab 01.07.2005 die Kosten für Unterkunft auf den angemessenen Wert reduziert".

Auf den Weitergewährungsantrag vom 18.05.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 31.05.2005 für die Zeit vom 01.07. bis 31.12.2005 folgende Leistungen: Unterkunftskosten für den Juli in Höhe von 470,17 EUR (343,20 EUR Grundmiete, 29,82 EUR Heizkosten ohne Warmwasser, 97,15 EUR Nebenkosten), unter Berücksichtigung der Vollendung des 18. Lebensjahres der Tochter am 10.08.2005 und deren Herausfallen aus der Bedarfsgemeinschaft für August 300,39 EUR sowie für September bis Dezember in Höhe von 235,08 EUR.

Mit Schreiben vom 14.07.2005 beantragte die Klägerin die Anerkennung der tatsächlichen Unterkunftskosten. Zur Begründung trug sie vor, sie habe sich bisher erfolglos um günstigeren Wohnraum bemüht. Zum Nachweis legte sie folgende Unterlagen vor: Eine Bescheinigung der Stadtbau-GmbH, wonach sie seit 13.01.2004 wohnungssuchend gemeldet sei, eine Bescheinigung der Wohnbau-GmbH T. vom 11.07.2005, wonach sie sich Ende Juni und am 11.07.2005 wegen einer Wohnung gemeldet habe, eine Bescheinigung der Stadt R. vom 28.07.2005, wonach sie vom 07.01.2004 bis 07.01.2005 als wohnungssuchend vorgemerkt gewesen sei. Eine Bescheinigung des Evangelischen Bildungswerks vom 27.07.2005 wurde nachgereicht. Danach hat sich die Klägerin am 20.06.2005 dort mit einem Wohnungsgesuch gemeldet. Die Beklagte bewertete das Schreiben vom 14.07.2005 als Widerspruch und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 02.08.2005 wegen Fristversäumnis als unzulässig zurück.

Weiterhin wertete die Beklagte das Schreiben vom 14.07.2005 als Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 31.05.2005 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Mit Bescheid vom 18.08.2005 wurde die Abänderung des Bescheides vom 31.05.2005 mit der Begründung abgelehnt, dieser sei rechtmäßig erlassen worden.

Mit ihrem Widerspruch vom 25.08.2005 legte die Klägerin weitere Unterlagen vor, und zwar eine Bestätigung der Stadt R., Amt für Städtebauförderung und Wohnungswesen, vom 11.07.05, wonach die Klägerin für eine angemessene Wohnung (50 qm) seit dem 11.07.2005 vorgemerkt sei, eine Bestätigung der Wohnbau R. GmbH T. vom 09.08.2005, wonach die Klägerin seit dem Jahr 2004 wohnungssuchend gemeldet sei, eine Bestätigung der Stadtbau-GmbH vom 09.08.2005, wonach die Klägerin seit 15.01.2004 wohnungssuchend gemeld...

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