Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung eines Zuschlages an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für Bestandsrenten. Mütterrente. Verfassungsmäßigkeit. Anpassung einer laufenden Rente. Familienlastenausgleich. Stichtag. Verwaltungsaufwand. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

 

Leitsatz (amtlich)

Die Regelung des § 307d Abs 1 SGB VI über die Berücksichtigung eines Zuschlages an persönlichen Entgeltpunkten für Bestandsrenten ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

Orientierungssatz

Bei den Kindererziehungszeiten nach den §§ 56, 249 und 307d SGB 6 handelt es sich zwar um Pflichtbeitragszeiten, denen aber mangels eigener Beitragsleistung des Versicherten in diesen Zeiten kein eigentumsrechtlicher Schutz iS des Art 14 Abs 1 GG zukommt.

 

Normenkette

SGB VI §§ 56, 249, 306, 307d; GG Art. 14 Abs. 1; VO (EG) Nr. 987/2009 Art. 44

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.06.2018; Aktenzeichen B 5 R 12/17 R)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.03.2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin höhere Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten zuzuerkennen sind und in der Folge daraus eine höhere Altersrente wegen Schwerbehinderung ab dem 01.07.2014.

Die 1951 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten nachfolgend zu ihrer Erwerbsminderungsrente mit Antrag vom 08.03.2012 die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die die Beklagte mit Bescheid vom 05.04.2012 ab Juni 2012 in Höhe von 871,92 € monatlich bewilligte.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 08.09.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 01.07.2014 eine monatlich laufende Rente in Höhe von 932,77 €, weil ab diesem Zeitpunkt ein Zuschlag für Kindererziehung zusätzlich zu berücksichtigen sei (sogenannte Mütterrente). Die Einzelheiten hinsichtlich der Rentenhöhe würden in Anlage 6 des Bescheides dargestellt. Danach betrugen die persönlichen Entgeltpunkte der Klägerin 35,3263 Punkte, hiervon entfielen auf Kindererziehungszeiten 0,9829. Diese waren im bisherigen Bescheid vom 05.04.2012 berücksichtigt. Mit Wirkung ab dem 01.07.2014 wurde ein weiterer Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung pro Kind von 1,0000 zuerkannt, so dass nunmehr persönliche Entgeltpunkte in Höhe von 36,3263 der Rentenberechnung zugrunde gelegt wurden.

Der hiergegen am 19.09.2014 eingelegte Widerspruch, der mit Schriftsatz vom 22.12.2014 begründet wurde, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2015 als unbegründet zurückgewiesen. Der Zuschlag sei gemäß § 307d Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - nur in Höhe eines Entgeltpunktes möglich gewesen, da die Klägerin am 30.06.2014 einen Anspruch auf eine Rente gehabt habe und in dieser Rente eine Kindererziehungszeit für den 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt eines vor dem 01.01.1992 geborenen Kindes angerechnet worden sei. Über die Verfassungsmäßigkeit dieser gesetzlichen Regelung habe der Rentenversicherungsträger nicht zu entscheiden.

Zur Begründung der hiergegen am 27.02.2015 zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhobenen Klage hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Ungleichbehandlung geltend gemacht. Die Lebensverhältnisse der Mütter, die im Jahr 1981 ein Kind auf die Welt gebracht hätten, seien im Verhältnis zu den nachfolgenden Geburtenjahrgängen fast gleich gewesen. Ein Differenzierungsgrund bestehe deshalb nicht mehr. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb den vor 1992 geborenen Kindern weniger als drei Jahre an Kindererziehungszeiten zuerkannt werden könnten. Des Weiteren hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen Verstoß gegen Artikel 44 Abs. 2 Verordnung EG Nr. 987/2009 geltend gemacht.

Mit Beschluss vom 11.09.2015 hat das SG den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt. Die hiergegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegte Beschwerde, die unter dem Az. L 20 R 772/15 B PKH geführt wurde, führte zur Aufhebung des Beschlusses und Gewährung von Prozesskostenhilfe, da die Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden gesetzlichen Norm noch nicht abschließend geklärt sei (Beschluss des 20. Senats des BayLSG vom 13.01.2016).

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG sodann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte habe § 307d SGB VI zutreffend angewandt. Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der Regelung bestünden nicht. Bei der Schaffung von Gesetzestatbeständen, die ausschließlich Vergünstigungen ohne Gegenleistung der Versicherten in Form von Versicherungsbeiträgen zum Gegenstand hätten, sei der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers besonders weit. Dies gelte im vorliegenden Fall insbesondere deshalb, weil der neu geschaffene § 307d SGB VI von der gesetzlichen Grundregel des § 306 SGB VI abweiche, nach welcher grundsätzlich Gesetzesänderun...

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